Jena, den 30ten Jan. 97
Hier ist endlich der erste Theil meines Werkes. Ich bitte so vorlieb zu nehmen. Die guten Folgen Ihrer Kritik müssen Sie erst in den nächsten Bänden erwarten. Sie werden hier nichts Neues finden, als die Vorrede. Wenn Sie indessen das Ganze noch einmahl lesen und Lust haben, aufzuschreiben, was Sie vorzüglich tadelhaft finden, so wird es für die Zukunft nicht verlohren seyn. – Es kommt mir freylich jetzt vor, als wäre ich ein wenig herausgewachsen; und es wäre schlimm, wenn das nicht so wäre. Die Sünde, Ihren freundschaftlichen Brief so spät zu beantworten, müssen Sie dem steten Strudel von Arbeit, in dem ich mich befunden habe, zu Gute halten. –
Ich bin gewaltig in die Spekulation gerathen diesen Winter. Ich bin über die Hauptsache so ziemlich aufs Reine; auch über Fichte’s System. Doch kann meine Philosophie leicht zehn Jahre in meinem Pulte ruhn. Ich rede selbst mit Fichte immer nur über die Außenwerke. Ich finde immer mehr Geschmack an dem Menschen, seitdem ich mich von dem Wissenschaftslehrer eigentlich entschieden getrennt habe. Seine Ecken und Härten stören mich nicht. Ich mag die abgeglätteten Menschen nicht. – Ich mache Sie auf ein Philosophisches Journal aufmerksam, welches an die Stelle des verunglückten bey Michaelis treten soll, und von Fichte und Nieth.[ammer] herausgegeben wird. Außer diesen werden Schelling und Ich vorzüglich Antheil daran nehmen. In dem ersten Stück werden Sie eine ganz populäre Darstellung der Wissenschaftslehre v.[on] F.[ichte] finden. Wir stimmen aber einen sehr polemischen Ton an. Den Präsidenten des Eutin.[ischen] Klubbs, der sich so sehr vergangen hat, hatte ich schon im Xten Stück von Deutschl.[and] etwas gehänselt. Hier geschiehts noch einmahl von mir und besser.
So lange F.[ichte] dialektisch polemisiert, ists vortrefflich. Wenn er sich nur nicht s.[einer] Laune überlassen wollte. – Wir sagens uns hier ins Ohr, daß das Naturrecht von Kant das schlechteste ist, was er noch geschrieben hat. Was meynen Sie dazu?
Ich habe mich neulich sehr nützlich und angenehm mit Ihnen in den Horen unterhalten. Könnte es doch auch einmahl wieder mündlich geschehen! Mein Bruder und alle Kunstverständigen sind sehr erbaut von Ihrer Beurth.[eilung] des Meister; am meisten aber Goethe selbst, er der Kaiser Lothar, wie Sie am besten wissen werden.
In Rücksicht Schillers habe ich Ihren mir sehr werthen Rath dem Geist nach befolgt. Ich bin bald nach Erscheinung der Xenien einmahl bey ihm gewesen, wo ich auch mit seinem Benehmen zufrieden war. Meine Absicht dabey war, bloß ihm <anschaulich> zu beweisen, daß ich Jenes so aufgenommen wie ich mußte, und wie ich es auch ohne Affektazion wirklich aufgenommen hatte. Denn ich habe eine ziemlich dicke Haut, und darunter ein vielleicht ehrliches, aber leichtsinniges Herz. Ich habe selbst eine starke polemische Ader, und mag es gern, wenn man sich öffentlich und entschieden sagt, was man will und meynt. –
Ein Verhältniß wieder anzuknüpfen, was wegen der gänzlichen Verschiedenheit doch nicht bestehen könnte, hielt ich nicht für rathsam. – Den Caesar habe ich mir unter einem bescheidenen Vorwande wieder geben lassen. Jetzt ist es für einen jungen Schriftsteller keine sonderliche Ehre mehr, an den Horen Theil zu nehmen, da die Schofelanten so mit hellen Haufen zugelassen sind. Auch bedarf der C.[aesar] in Rücksicht der Form einer gänzlichen Umarbeitung, nicht bloß einzelner Correcturen, wobey mir die Erinnerungen an Ihre Kritik nützlich seyn werden. Repliciren werde ich nichts, denn eine Recens.[ion] des Alm.[anach] im Xten Deutschl.[and] werden Sie hoffentlich für keine Replik nehmen. Wenn Sie nur Ihr Urtheil drüber geben wollen, wirds mir willkommen seyn. Sie werden gewiß kein illliberales Wort darin finden. – Auch werde ich nie mehr repliciren als die Nothwendigkeit ergeben darf. Wenn man s.[ich] aber mit einem Gegner wie S.[chiller] einmahl einläßt, so muß es mit Kartätschen geschehen. Und das wird denn auch bey der geringsten nächsten Aeußerung geschehen müssen.
Goethe hat, wie Sie wissen werden, und wie er meinem Bruder ausdrücklich versichert hat an den Epigrammen auf mich nicht den geringsten Antheil, und nichts wider mich. –
Das einzig Verhaßte in den Xenien für mich ist der Angriff auf Reichardt's <moralischen Charakter und bürgerliche Verhältnisse>, da ich jetzt weiß, so gut man so etwas wissen kann, daß er ein ehrlicher Mann ist. Diese Lizenz soll aber von G.[oethe] herrühren. Ich war mehrere Wochen in Weißenfels und Halle, wo ich Wolf sehr oft gesehen. Er ist nicht nur der tüchtigste Alterthumskenner sondern auch der witzigste Kopf, den ich kenne. Ich war immer zu ganzen Tagen bey ihm; aber ich fühlte nie, auch nach 10, 12 Stunden ununterbrochnem Gespräch allein mit ihm die geringste Leerheit. Ich muß noch einmahl länger mit ihm zusammen seyn.
Hier zerbricht man sich den Kopf über den Verfasser von Agnes. Erst war es Goethe. Daß das nicht sey, kann nun wohl jeder aus der Fortsetzung mit Händen greifen. Einige sind seltsam genug gewesen auf die <Fr.[au] v.[on]> Wollzogen zu rathen. Mir scheint der Gedanke, sich so verstellen zu wollen, ziemlich Schillerisch.
Empfehlen Sie mich ja allen d.[en] Ihrigen recht herzlich; Ihrer lieben Frau, Dorchen, den Kleinen und allen Hausfreunden. Ich rechne mich zu den Ihrigen und bin oft in Gedanken bey Ihnen.
Ihr
Friedrich Schlegel
Wenn Ihnen Schelling unbekannt sey, so versäumen Sie ja nicht seine Bekanntschaft zu machen. Ich setze ihn auf dem philosophischen Parnaß gleich nach Fichte. Sein Bestes sind die Briefe über Dogmatism und Kritizism in dem Nieth.[ammerschen] Journ.[al] 95 d.[as] letzte Stück.
Haben Sie meine Rec[ension] des Woldemar gelesen?
Den einliegenden Brief nebst dem Ex.[emplar] bitte ich an meine Schw.[ester] zu senden. In das für Sie bestimmte habe ich Ihren Nahmen geschrieben.
Hier ist endlich der erste Theil meines Werkes. Ich bitte so vorlieb zu nehmen. Die guten Folgen Ihrer Kritik müssen Sie erst in den nächsten Bänden erwarten. Sie werden hier nichts Neues finden, als die Vorrede. Wenn Sie indessen das Ganze noch einmahl lesen und Lust haben, aufzuschreiben, was Sie vorzüglich tadelhaft finden, so wird es für die Zukunft nicht verlohren seyn. – Es kommt mir freylich jetzt vor, als wäre ich ein wenig herausgewachsen; und es wäre schlimm, wenn das nicht so wäre. Die Sünde, Ihren freundschaftlichen Brief so spät zu beantworten, müssen Sie dem steten Strudel von Arbeit, in dem ich mich befunden habe, zu Gute halten. –
Ich bin gewaltig in die Spekulation gerathen diesen Winter. Ich bin über die Hauptsache so ziemlich aufs Reine; auch über Fichte’s System. Doch kann meine Philosophie leicht zehn Jahre in meinem Pulte ruhn. Ich rede selbst mit Fichte immer nur über die Außenwerke. Ich finde immer mehr Geschmack an dem Menschen, seitdem ich mich von dem Wissenschaftslehrer eigentlich entschieden getrennt habe. Seine Ecken und Härten stören mich nicht. Ich mag die abgeglätteten Menschen nicht. – Ich mache Sie auf ein Philosophisches Journal aufmerksam, welches an die Stelle des verunglückten bey Michaelis treten soll, und von Fichte und Nieth.[ammer] herausgegeben wird. Außer diesen werden Schelling und Ich vorzüglich Antheil daran nehmen. In dem ersten Stück werden Sie eine ganz populäre Darstellung der Wissenschaftslehre v.[on] F.[ichte] finden. Wir stimmen aber einen sehr polemischen Ton an. Den Präsidenten des Eutin.[ischen] Klubbs, der sich so sehr vergangen hat, hatte ich schon im Xten Stück von Deutschl.[and] etwas gehänselt. Hier geschiehts noch einmahl von mir und besser.
So lange F.[ichte] dialektisch polemisiert, ists vortrefflich. Wenn er sich nur nicht s.[einer] Laune überlassen wollte. – Wir sagens uns hier ins Ohr, daß das Naturrecht von Kant das schlechteste ist, was er noch geschrieben hat. Was meynen Sie dazu?
Ich habe mich neulich sehr nützlich und angenehm mit Ihnen in den Horen unterhalten. Könnte es doch auch einmahl wieder mündlich geschehen! Mein Bruder und alle Kunstverständigen sind sehr erbaut von Ihrer Beurth.[eilung] des Meister; am meisten aber Goethe selbst, er der Kaiser Lothar, wie Sie am besten wissen werden.
In Rücksicht Schillers habe ich Ihren mir sehr werthen Rath dem Geist nach befolgt. Ich bin bald nach Erscheinung der Xenien einmahl bey ihm gewesen, wo ich auch mit seinem Benehmen zufrieden war. Meine Absicht dabey war, bloß ihm <anschaulich> zu beweisen, daß ich Jenes so aufgenommen wie ich mußte, und wie ich es auch ohne Affektazion wirklich aufgenommen hatte. Denn ich habe eine ziemlich dicke Haut, und darunter ein vielleicht ehrliches, aber leichtsinniges Herz. Ich habe selbst eine starke polemische Ader, und mag es gern, wenn man sich öffentlich und entschieden sagt, was man will und meynt. –
Ein Verhältniß wieder anzuknüpfen, was wegen der gänzlichen Verschiedenheit doch nicht bestehen könnte, hielt ich nicht für rathsam. – Den Caesar habe ich mir unter einem bescheidenen Vorwande wieder geben lassen. Jetzt ist es für einen jungen Schriftsteller keine sonderliche Ehre mehr, an den Horen Theil zu nehmen, da die Schofelanten so mit hellen Haufen zugelassen sind. Auch bedarf der C.[aesar] in Rücksicht der Form einer gänzlichen Umarbeitung, nicht bloß einzelner Correcturen, wobey mir die Erinnerungen an Ihre Kritik nützlich seyn werden. Repliciren werde ich nichts, denn eine Recens.[ion] des Alm.[anach] im Xten Deutschl.[and] werden Sie hoffentlich für keine Replik nehmen. Wenn Sie nur Ihr Urtheil drüber geben wollen, wirds mir willkommen seyn. Sie werden gewiß kein illliberales Wort darin finden. – Auch werde ich nie mehr repliciren als die Nothwendigkeit ergeben darf. Wenn man s.[ich] aber mit einem Gegner wie S.[chiller] einmahl einläßt, so muß es mit Kartätschen geschehen. Und das wird denn auch bey der geringsten nächsten Aeußerung geschehen müssen.
Goethe hat, wie Sie wissen werden, und wie er meinem Bruder ausdrücklich versichert hat an den Epigrammen auf mich nicht den geringsten Antheil, und nichts wider mich. –
Das einzig Verhaßte in den Xenien für mich ist der Angriff auf Reichardt's <moralischen Charakter und bürgerliche Verhältnisse>, da ich jetzt weiß, so gut man so etwas wissen kann, daß er ein ehrlicher Mann ist. Diese Lizenz soll aber von G.[oethe] herrühren. Ich war mehrere Wochen in Weißenfels und Halle, wo ich Wolf sehr oft gesehen. Er ist nicht nur der tüchtigste Alterthumskenner sondern auch der witzigste Kopf, den ich kenne. Ich war immer zu ganzen Tagen bey ihm; aber ich fühlte nie, auch nach 10, 12 Stunden ununterbrochnem Gespräch allein mit ihm die geringste Leerheit. Ich muß noch einmahl länger mit ihm zusammen seyn.
Hier zerbricht man sich den Kopf über den Verfasser von Agnes. Erst war es Goethe. Daß das nicht sey, kann nun wohl jeder aus der Fortsetzung mit Händen greifen. Einige sind seltsam genug gewesen auf die <Fr.[au] v.[on]> Wollzogen zu rathen. Mir scheint der Gedanke, sich so verstellen zu wollen, ziemlich Schillerisch.
Empfehlen Sie mich ja allen d.[en] Ihrigen recht herzlich; Ihrer lieben Frau, Dorchen, den Kleinen und allen Hausfreunden. Ich rechne mich zu den Ihrigen und bin oft in Gedanken bey Ihnen.
Ihr
Friedrich Schlegel
Wenn Ihnen Schelling unbekannt sey, so versäumen Sie ja nicht seine Bekanntschaft zu machen. Ich setze ihn auf dem philosophischen Parnaß gleich nach Fichte. Sein Bestes sind die Briefe über Dogmatism und Kritizism in dem Nieth.[ammerschen] Journ.[al] 95 d.[as] letzte Stück.
Haben Sie meine Rec[ension] des Woldemar gelesen?
Den einliegenden Brief nebst dem Ex.[emplar] bitte ich an meine Schw.[ester] zu senden. In das für Sie bestimmte habe ich Ihren Nahmen geschrieben.