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Novalis to Friedrich von Schlegel

Tennstedt: den grünen Donnerstag 1797.
Bester Schlegel: mein Wunsch, mit Dir in Jena diesen Sommer zu leben, ist mir nicht gelungen. Daher jezt erst die Antwort auf Deinen herzlichen Brief. Erasmus ist wahrscheinlich jezt, indem ich dis schreibe, nicht mehr unter den Lebendigen. Dis beschleunigte meine Abreise – es blieb mir, da Jena nicht mein Aufenthalt sein sollte, kein Ort übrig als Tennstedt. Hoffentlich leb ich hier einige Monate in einer wünschenswerten Ruhe. Es soll mir recht lieb seyn, wenn Du mir oft von Dingen schreibst, denen vormals mein ganzes Leben gewidmet war, und die mich so glücklich an Sofiens Seite gemacht haben würden. Auch jezt noch sind die Wißenschaften das Hauptintereße was ich an der Welt nehme. Mein Plan, nach Jena zu gehn, entstand hieraus, und ich rechnete freylich dabey sehr mit auf Euren erweckenden Umgang.
Der Tod von Erasmus hat eher eine wohlthätige, als nachtheilige Wirkung auf mich gethan. Er hat meine Kräfte eher vermehrt, als vermindert. Er hat unbeschreiblich viel gelitten. Meine Eltern und Geschwister thun mir sehr leid. Schon Sofiens Tod hatte Sie erschüttert, und nun so kurz darauf – zum erstenmal den Verlust eines Kindes und Bruders.
Du kannst denken, wie es mir in dieser Gegend, der alten Zeugin meiner und Ihrer Herrlichkeit, vorkommt. Dennoch hab ich eine geheime Freude, so nah ihrem Grabe zu seyn. Es zieht mich immer näher, und dieser Zug macht jezt zuweilen mein unaussprechliches Glück. Mein Herbst ist da und ich fühle mich so frey, gewöhnlich so kräftig – es kann noch etwas aus mir werden. Soviel versichre ich Dir heilig – daß es mir ganz klar schon ist, welcher himmlischer Zufall ihr Tod gewesen ist – ein Schlüssel zu allem – Ein wunderbarschicklicher Schritt. Nur so konnte so manches rein gelößt, nur so manches Unreife gezeitigt werden. Eine einfache, mächtige Kraft ist in mir zur Besinnung gekommen. Meine Liebe ist zur Flamme geworden, die alles Irdische nachgerade verzehrt. Deine Hoffnung hat recht gehabt – Es ist weit mehr Heilkraft, Ausdauer und Widerstand in meiner Seele, als ich selbst wußte – eine Heilkraft, die dem Übel die Quelle abgräbt – eine Ausdauer, die Stunden nicht messen – Widerstand gegen alles, was mein Heiligthum entweihen will. 4 Jahre war ich auf Academien, und Ein Jahr hab ich studirt – 25 Jahr bin ich alt geworden und nur ein halb Jahr hab ich gelebt.
Du wirst gewiß mit mir zufrieden seyn. Vielleicht erfährst Du noch, wie lieb ich Dich habe. Diesen Sommer müssen wir noch einige Tage zusammenleben. Vielleicht komm ich von hier aus zum Besuch nach Jena.
Schicke mir doch die Stücke von dem neuen phil.[osophischen] Journal und was Du drucken läßt. Du sollst es immer schleunig wiederhaben. Jezt hätt ich gern auf einige Tage die drey Stücke der Horen, wo Agnes drin ist. Meine Wirthin will sie gern lesen. Empfiehl mich den Deinigen und bleibe der Freund
Deines
Freundes Hardenberg
Metadata Concerning Header
  • Date: Donnerstag, 13. April 1797
  • Sender: Novalis ·
  • Recipient: Friedrich von Schlegel ·
  • Place of Dispatch: Tennstedt ·
  • Place of Destination: Jena · ·
Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 23. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Bis zur Begründung der romantischen Schule (15. September 1788 ‒ 15. Juli 1797). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Ernst Behler u.a. Paderborn u.a. 1987, S. 358‒359.
Language
  • German

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