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Friedrich von Schlegel to Novalis

Jena den 5ten Mai 97
Schon längst hätte ich Dir gesagt, bester Freund, wie sehr sehr leid es mir thut, daß wir diesen Sommer nicht zusammenleben sollen; hätte ich nicht buchstäblich von einem Tag zum andern auf das IIte Heft des Journals gewartet. Erst eben heute erhalte ichs, und schicke Dir von Novitäten mit, was ich weiß und habe. Du kannst alles behalten nach Belieben; nur die Woltmannie, das historische Rosenwasser, möchte ich am nächsten wieder haben. In XII. Deutschland sind nur ein paar Blätter von mir, aber ein paar andre drollige Aufsätze. –
Ich verliehre sehr viel dabey, daß Du nicht hier seyn kannst. Läßt es sich, da Du Tennst[edt] sobald verlassen willst, nicht möglich machen, daß Du wenigstens ein 4 Wochen hier zubrächtest? Auch den Meinigen würde das sehr angenehm seyn. – Mir gehts nicht zum besten. Ich habe immer mit meiner Gesundheit zu mäkeln, muß entsetzlich arbeiten, ohne fertig werden zu können, und lebe dabey in einer traurigen Einsamkeit. Doch in 10 Tagen kommen sie wieder von Dresden.
Mit der Stimmung, die in Deinem Briefe herrscht bin ich im Ganzen zufrieden. Die Einsamkeit in T.[ennstedt] ist Dir gewiß sehr wohlthätig. Bey solchem unersetzlichen Verlust ist man besser allein. Man muß das ganz selbst ins Reine bringen. Sehr viel Freude macht mir, was Du von Deiner Thätigkeit schreibst.
Du glaubst nicht, wie ganz ich bey Dir bin, und wie ganz ich in Deine Lage eingehn kann. Aber ich versichre Dich, daß ichs oft beneidenswürdig finden könnte, einen solchen Verlust gehabt zu haben. Du glaubst nicht, wie drükkend ich oft eine Lücke fühle, die es vielleicht immer bleiben wird. Sieh darin keine Äußerung der Hypochondrie, sondern altes Resultat meiner Erfahrung und Vernunft.
Das 1ste Stück von Lyceum und Schellings Buch erhältst Du unmittelbar, wie ich sie bekomme. Agnes find ich nicht unter meines Bruders Büchern. Sie ist also wohl verliehen. – Das dritte Stück soll noch schlechter seyn wie das zweyte.
Die IIte Nummer des Journ[als] von Schelling finde ich unter uns gesagt ein wenig trivial. Meine Recensionen <von Schl[osser] und Stolb[erg]> rechne ich unter die schlechten Arbeiten von mir, wie wohl sie mir viel Mühe gemacht haben, besonders die erste; und wie wohl es mich nicht im Geringsten gereut, dem Lumpenhunde die volle Ladung der Verachtung zu fühlen gegeben zu haben.
Was die Rec.[ension] in der A. L. Z. betrifft: so glaubte ich bloß, sie müßte Dich insofern unterhalten, als Du allein sie ganz verstehn kannst. Indessen rechnete ich freylich dabei zu sehr auf die Hefte. In der Stimmung, wo Du vorigen Winter meine Sächelchen oft zu partheiisch lasest, hätte sie Dir doch auch wohl Spaß gemacht, wegen der leisen vafrities, die so durchhin geht. Hast Du sie ernstlich genommen, lieber Freund: so erlaube mir immer zu sagen, das Unrecht sey auf Deiner Seite; wiewohl es eben kein großes Unrecht seyn mag. Indessen scheint es mir doch ganz unter der Würde der Philosophie, sie ernstlich zu treiben, oder gar etwas Brauchbares und Ganzes dabey zu beabsichtigen. – Was ich jetzt ackere, der Grundriß der Gr[iechischen] Poesie nähmlich, das wird nun etwas Ganzes, im vollsten Sinne des Wortes und auch höchst brauchbar: ob Du aber irgend etwas damit wirst anfangen können, daran zweifle ich sehr.
Du wirst mir aber doch erlauben, daß ich die ersten Philosopheme, so ich in die Welt schicken will mit einem Brief an Dich eröffne? Ich würde da über das Ganze am gemüthlichsten reden können. Doch darfst Du im Voraus nicht wissen, weder was im Buch noch was im einleitenden Brief stehn soll. Spaßhaft soll aber beydes werden, auch wohl ernsthaft, und wenn es schlechthin seyn muß, auch wohl brauchbar. – Ich zähle mit Gewißheit darauf, daß Dein Republikanismus unsre respektiven Philosophien besser vereinigt, als meine Hefte.
Der Hülsen geht auch wieder an Dich zurück. Er verdient es gar sehr, daß Du ihn ganz beherzigst. Ich habe wohl so einige Partheylichkeit für ihn, da eben in Rücksicht der vafrities und in vielen anderen Rücksichten so etwas von meinem Geiste in ihm ist. Aber vielleicht ist das bey Dir keine Mißempfehlung. Ich setze ihn in mancher Rücksicht über Schelling. Methode hat er so wenig wie dieser und wird sie eben so wenig lernen.
Ich bin zufrieden mit der Rec.[ension] des Nieth.[ammerschen] Journ.[als] nicht weil sie gelobt wird, sondern weil ich meine innerste Absicht vollkommen dabey erreicht. Das wollte ich eben: Nieth.[ammer] sollte mich verstehn, Fichte aber nicht. H[err] Jedermann sollte es vollkommen verstehn, aber jeder anders. Ganz klar und doch unergründlich tief. Doch mündlich mehr darüber. Da es nun mein Debut auf dem philosophischen Theater war, und ich von so unzähligen äußern Ketten geengt war: so erlaubst Du mir immer, diese leichte Formazion (denn als Recens.[ion] und nach ihrem Zweck ist diese nach meinem Urtheil besser als irgendeine andere meiner Schriften) als einen wichtigen Fortschritt meines Geistes anzusehn. Alles was ich vorher schrieb (Du weißt, welche Katastrophe ich meyne), betrachte ich jetzt als Kinderey. Es ist gewissermaßen der größte Triumph für mich, daß sogar Du, dem das Geheimniß doch gesagt war, durch meine sokratische Verstellungskunst bist – wenn Du mir den groben Ausdruck für eine sehr würdige Absicht verzeihn kannst – angeführt worden. Ich sehe es mit Freude, daß ich meinen philosophischen Mimus wie ein Roscius spielen werde.
Das mit der Kunst ist ein sicher[es] Zeichen, daß Du mich nicht verstanden hast. Denn nie haßte ich die Kunst so, als in dieser Epoche. Ich denke oft mit stiller Wonne an die Späße meines Cyklus, wo ich wider die Poesie und vornehmlich wider die Griechen etwas schreiben will; und nicht für die Langeweile.
Der Bote ist schon zum zweytenmal wieder da. Ich umarme Dich recht herzlich, liebster alter Freund. Wie schön wäre es, wenn wir so allein beysammen sitzen könnten ein paar Tage und philosophirten, oder wie wirs immer nannten – fichtisiren! – Den Menschen Fichte gewinne ich immer lieber. Aber für Dich ist seine Philosophie doch wohl nicht liberal genung? Lebe tausendmal wohl und schreibe bald und recht int[eressant].
Dein Schlegel
Uebrigens wars mir sehr lieb, daß Du mir Dein Urteil – welches mir nicht bloß über alles Philosophische, sondern auch über alles Individuelle, was ich schreibe, mehr gilt als das aller Goethes und Fichtes und selbst meiner Schwiegerin – mitgeteilt hast wie es war. Thu’ das ja immer sofort.
Nachschrift:
Die Zeichen in Woltm[ann]s Buch sind vorzüglich komische Stellen, bey denen Du auch gegenwärtig zu denken belieben wirst
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  • Schlegel, Friedrich von  Schlegel, Friedrich von: Schlosser, Johann Georg: Zweites Schreiben an einen jungen Mann, der die kritische Philosophie studieren wollte (Rezension)
Metadata Concerning Header
  • Date: Freitag, 5. Mai 1797
  • Sender: Friedrich von Schlegel ·
  • Recipient: Novalis ·
  • Place of Dispatch: Jena · ·
  • Place of Destination: Tennstedt ·
Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 23. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Bis zur Begründung der romantischen Schule (15. September 1788 ‒ 15. Juli 1797). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Ernst Behler u.a. Paderborn u.a. 1987, S. 361‒363.
Language
  • German

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