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Novalis to Friedrich von Schlegel

Wiederstedt. den 14ten Junius. 1797.
Deine beyden Briefe hab ich erhalten. Du erhältst hier Hülsen, das 3. Heft, und das Attische Museum zurück. Seit dem 1sten Junius bin ich von Grüningen weg und hieher, wo ich in Gesellschaft meiner ganzen Familie gelebt habe und in 8 Tagen über Dessau, Wörlitz und Halle mit meiner Mutter und Schwestern nach Weißenfels zurückkehren werde. Freylich hab ich durch diese Veränderung meines bisherigen Aufenthalts manches eingebüßt und befinde mich seitdem ungleich übler – ich bin auch unthätiger – indeß verlaß ich mich auf die Wahrscheinlichkeit diesen Sommer doch größtentheils in der Einsamkeit ungestört auf den Salinen zuzubringen. Von Kösen aus komm ich sobald, als möglich, auf einige Tage, nach Jena. Wie viel besser wärs gewesen, bey Euch den Sommer zuzubringen. Nichts als eine Grille meines guten Vaters hindert dieses in mehr als einer Rücksicht für mich wohlthätige Project.
Du wünschest mehr von mir in Betreff meiner Sehnsucht zu hören – Bester, wenn es mir nur nicht immer schwerer würde, davon zu reden. Ich weiß auch wenig davon zu sagen – Es bleibt beym Alten – es wird immer älter – immer tiefer – immer befassender. Glaube nicht, daß ich Woltmann viel davon geschrieben habe. Immer nur Weniges und das halb mit Gewalt mir entrissen. Die Veranlaßung unsers Briefwechsels brachte das so mit sich. Diese Geschichte brachte uns in Verhältniß und meinen ersten Brief glaubte ich Ihr, ihm und mir schuldig zu seyn. Doch davon nichts weiter – es scheint mir hierinn etwas zu liegen, was eigentlich blos zwischen mir und Woltmann hätte bleiben sollen und was Du verstehst, ohne daß ichs Dir zu erklären brauche. Du, bester Freund, kannst nichts bey mir verliehren, hast nichts bey mir verlohren. Im Gegentheil bist Du mir so lieb geworden, daß ich Dich vielleicht noch einmal auf die Probe setze und Dir den höchsten Beweis meines Zutrauens gebe.
Deine Streitigkeit mit ihm ist mir gänzlich unbekannt, wiewohl ich sie voraussah. In die Handhabung Deines kritischen Rechts menge ich mich nicht und fühle in mir keinen Beruf Dich zu beurtheilen.
Uebrigens aber nehme ich den wärmsten Antheil an Deinen philosophischen Plänen – denen ich erst jezt meinen vollen Beyfall zu schenken angefangen habe. Ich glaube überzeugt zu seyn, daß Du berufen bist in der Philosophie die ehrenvollste Rolle des endlichen Vermittlers zu spielen. Deine Hefte spuken gewaltig in meinem Innern, und so wenig ich mit den einzelnen Gedanken fertig werden kann, so innig vereinige ich mich mit der Ansicht des Ganzen und errathe einen Überfluß des Guten und Wahren. Willst Du mich nennen, so ist es mir lieb in dieser großen Angelegenheit mit genannt zu werden – Vielleicht liefre ich Dir ein Beywort zu meinem Namen, indeß und wenn Gott will, auch eine specielle Veranlaßung dazu. Mit Fichten hast Du ungezweifelt recht – ich rücke immer mehr in Deinen Gesichtspunct seiner WL. [Wissenschaftslehre] hinein. Von Weißenfels aus schreib ich Dir sogleich und zwar, alsdann, jede Woche, so gewiß ich lebe. Mündlich hoff ich Dir aber zu zeigen, wie sehr ich Dir vertraue, und dann wirst Du mit mir in dieser Welt zufrieden seyn.
Mit Schelling such ich je eher, je lieber bekannt zu werden. In Einem Stücke entspricht er mir mehr, als Fichte. Ich will bald wißen, was ich an ihm haben kann. Hülsen, Schelling und Fichte nezessitiren Dich. Hülsen ist Deinem Gesichtspunct am nächsten – aber so schwerfällig. Fichte kann nicht aus der WL. [Wissenschaftslehre] heraus, wenigstens nicht ohne eine Selbstversetzung, die mir unmöglich scheint.
Schelling könnte in der Kraft Dein Rival seyn; er übertrift Dich vielleicht an Bestimmtheit – aber wie eng ist seine Sfäre gegen die Deinige. Fichte ist der gefährlichste unter allen Denkern, die ich kenne. Er zaubert einen in seinem Kreise fest. Keiner wird wie er mißverstanden und gehaßt werden. Aber die Mißverständnisse werden hier erschöpft werden. Du bist erwählt gegen Fichtes Magie die aufstrebenden Selbstdenker zu schützen. Ich hab es in der Erfahrung, wie sauer dieses Verständniß wird – Manchen Wink, manchen Fingerzeig, um sich in diesem furchtbaren Gewinde von Abstractionen zurechtzufinden, verdank ich lediglich Dir und der mir vorschwebenden Idee Deines freyen, kritischen Geistes.
Lebe wohl – Bester – grüße die Deinigen und Fichte.
Dein
Hardenberg
Metadata Concerning Header
  • Date: Mittwoch, 14. Juni 1797
  • Sender: Novalis ·
  • Recipient: Friedrich von Schlegel ·
  • Place of Dispatch: Wiederstedt · ·
  • Place of Destination: Jena · ·
Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 23. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Bis zur Begründung der romantischen Schule (15. September 1788 ‒ 15. Juli 1797). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Ernst Behler u.a. Paderborn u.a. 1987, S. 371‒372.
Language
  • German

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