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Friedrich von Schlegel to Auguste Böhmer

Ich glaubte, Du würdest finden, ich hätte in meinem letzten Brief zu viel gehofmeistert und moralisirt, wovon Du, wie ich weiß, keine Freundin bist, obgleich Du einem bisweilen Lust dazu machst. Ich freue mich daher sehr, daß Du ihn so freundschaftlich aufgenommen hast, wie er gemeynt war; noch mehr aber, daß Du so fleißig bist, und so schön Griechisch lernst. Wenn es Dir Freude macht, so laß Dir von der Mutter aus meinen Büchern Xenophontis Cyropaedia geben, und behalte ihn für Dich. Es ist ein leichter Roman, den Du bald wirst lesen können. Er wird Dir wohl zu schlecht gebunden seyn; wenn die Mutter aber einmahl wieder Geld für mich hat, oder bekömmt, wie es sich wohl niemahls fügen wird, so laß ihn Dir ganz nach Deinem Geschmack hübsch einbinden, wie Du ihn haben willst.
Zu erzählen habe ich Dir nicht so viel, wie Du mir; weil Du die Leute und den Ort hier nicht kennst. Doch habe ich ziemlich oft eine Bekannte von Dir gesehen - die Liebeskind. Sie hat auch nach Dir sehr emsig gefragt, scheint aber dennoch etwas langweilig und abgelebt. Sie hat mir aufgetragen, die Mutter zu grüßen, und beym Weggehn schärfte sie mir noch besonders ein, zu melden, wie ihr Gatte Regierungsrath im Anspachschen sey. Sie reisen nun bald dahin, und kommen vielleicht durch Jena. Sie mag wohl glauben, daß das was recht Besonders ist. Wenn ihr Liebeskind freylich nicht Regierungsrath wäre, so wäre er auch gar nichts.
Du schreibst mir viel von Felsen, Rauhthälern, klaren Bächen. Dergleichen giebts hier gar nicht. Statt dessen aber Staubwolken, Marmorpaläste von Sandstein, lange und breite Straßen, und schmutziges Wasser. Das kleine Paradies ist mir doch fast lieber als der ungeheure Thiergarten, wo man sich so leicht verirren kan in den vielen dunklen Gängen. Wo kein Staub ist, ist er sehr schön und bis auf die Aussicht freylich unermeßlich viel schöner und besser als das Paradies.
Die Liebeskind habe ich vorzüglich bey einer Bekannten von mir, der Mad. Herz, gesehen, die mir unter den hiesigen Frauen noch so mit am besten gefällt. Sie wohnt ohngefähr so weit von mir als die Drießnitz von Jena. Das nennt man hier aber ganz nahe. Der Mann wohnt noch viel weiter von ihr. –
Die Komödie brauchst Du mir nicht zu beneiden, liebes Kind, obgleich ich sie Dir gern abträte. Ich kann nur selten hingehn, es kostet jedesmahl einen halben Thaler. Auch bin ich oft engagirt, oder habe zu thun, wenn ich am liebsten hinginge: ein andresmahl sind schlechte Stücke. Fleck habe ich nur noch in einer unbedeutenden Rolle eines unbedeutenden Markbrandenburgischen Festgeburthstagstücks des unbedeutenden Rambach gesehn. – In demselben starb die Unzelmann so artig, daß ich sie gleich hätte küssen mögen. Der dumme Dichter läßt die artige kleine Frau eine Viertelstunde lang sterben, und dann einen ganzen Akt durch als Leiche allein auf dem Theater en Parade liegen. Ist das nicht abscheulich?
Mit dem Gefallen in Berlin läßt es sich wohl halten. Ich muß es wohl ertragen. Ich denke schon immer daran, wie Ihr künftiges Frühjahr hieher kommt, nach Pilnitz geht, ich Euch im Herbst dahin nachfolge und mit Euch nach Jena gehe, und wieder mit Euch lebe. – Dann liest Du doch auch wieder Griechisch mit mir, wenn ich schon nicht so viel Geduld mit Deiner Flüchtigkeit habe, wie Wilhelm.
Schreibe mir nur fleißig, und rechne mir nicht wieder solche kleine Zettel für einen ganzen Briefsonntag vor. Ich habe Dich recht lieb.
Dein Friedrich S.
N. S. Sage doch Niethammer: Ich schriebe ihm mit nächster Post, und schickte ihm zunächst den Begriff der Philologie, über den ich stark her wäre.
Fichten grüße von mir, so oft wie Du ihn siehst. Den kleinen Eschen etwa alle Monathe einmahl.
Reichards Melodie zu dem Liede im Shakespear und die Bogen vom Romeo schicke ich mit dem Il.ten Stücke des Lyceums.
Ich habe die Mutter recht lieb dafür, daß sie F[ichte] liebenswürdig findet. Ich schreibe ihr das nächstemahl desto mehr, dafür daß ich heute bloß der Tochter geschrieben habe. – Ein Zöllner (und Sünder) hat sich mit vielem Interesse nach Deiner Mutter, der Zöllnerin, erkundigt.
Die Herz ist zwar weiter nichts als eine alte Kokette, die unbändig schön gewesen und jetzt noch ist, eine pikante Bosheit und naive Gutmüthigkeit hat; aber an Jenisch unverschämter Plattheit ist sie doch unschuldig.
Dieß für die Mutter.
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  • Schlegel, Friedrich von  negativ bewerten  Rambach, Friedrich Eberhard: Otto mit dem Pfeile, Markgraf von Brandenburg
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  • Zöllner, Johann Friedrich   grüßen  Schelling, Caroline von
Metadata Concerning Header
  • Date: Mitte August 1797
  • Sender: Friedrich von Schlegel ·
  • Recipient: Auguste Böhmer ·
  • Place of Dispatch: Berlin · ·
  • Place of Destination: Jena · ·
Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 24. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Die Periode des Athenäums (25. Juli 1797 ‒ Ende August 1799). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Raymond Immerwahr. Paderborn 1985, S. 5‒7.
Language
  • German

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