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Novalis to Friedrich von Schlegel

Kösen: den 5ten Septemb.
Damit Du nur siehst, daß ich Dein gedenke – Es ist so viel, was ich Dir schreiben möchte. Seit Du weg bist – bin ich eine Zeit lang recht unthätig, recht kranck – und eine Zeit recht thätig – recht gesund gewesen. Die letzte Zeit währt noch. Ich bin in der Brandung – an festes Land schlägt mich ein Wogenstrom. Mein Geist ist jezt fruchtbarer, vielleicht glücklicher, als je. Sobald ich meine Beute ein wenig gemustert, und gesäubert habe, so sollst du Theil an meiner Habe nehmen. Vor 14 Tagen gieng ich hieher – in köstlicher Gegend leb ich ganz frey – Deinen Bruder hab ich 2mal besucht – Bey Fichte war ich auch – Die Deinigen haben meine frohen Stunden um einige vermehrt. Ich war, wie zu Hause, bey Ihnen. Herzlicher und vergnüglicher kann man nicht seyn – Lebendiger leben wenige, als die Beyden. Wir geriethen gleich tief in die Mitte des Gesprächs – Sie haben mich so frey reden lassen – und ich wußte, daß ich reden konnte. Was mich am nächsten angeht, wird auch von Deinem Bruder anerkannt.
Der köstliche Almanach auf [17]98. hat uns herrlich unterhalten. Die ersten Bogen war[en] dort – (Pausias) aber nicht – Prometheus las sie vor – ich hab ihn da mehr musikalisch, als poetisch genossen. Er ist sehr schön in seiner Art – ein Muster der Verschmelzung – Aber die Zueignung, die bet ich an – die sagt mir zu – die 6te Stanze – Guter, fühle es mit mir – dieser Almanach hat mich von neuen in die Welt der Dichter gezogen – Meine alte Jugendlieb’ erwacht. – Himmlisch wohl ist mir schon wieder in diesen glücklichen Regionen geworden. Pausias, den ich seitdem gesehn –
Schön ist er wircklich, sieh ihn nur an, es
wechseln die schönsten
Kinder Florens um ihn, bunt und gefällig,
den Tanz.
Doch wollen wir nicht, wie die Deinigen, ungerecht gegen Alexis und Dora seyn – die Mitte v[on] A[lexis] und D[ora] – bleibt doch ein Maximum. Von den Balladen und sonst will ich nichts sagen – Genung, daß hier ein reicher Schatz von Leben liegt. Schick uns nur bald das epische Gedicht.
Bey Fichte gerieht ich auf eine Lieblingsmaterie – Er war meiner Meynung nicht – aber mit welcher zarten Schonung sprach er darüber, da er meine Meynung für eine Abgedrungne hielt – Es soll mir unvergeßlich seyn.
Schellings Ideen pries er, wie Schmidt, gewaltig – bes[onders] die Einleitung.
Michailis geh ich nach Dresden und Freyberg – in Freyberg bleib ich vor der Hand. Schreibe mir nach Weißenfels – bis ich Dir v[on] Freyberg aus schreibe.
Lebe wohl. Schreibe mir bald. Jezt bin ich wieder zum Schreiben gestimmt – Du sollst bald wieder etwas von mir hören.
Dein
Hardenberg.
Metadata Concerning Header
  • Date: Dienstag, 5. September 1797
  • Sender: Novalis ·
  • Recipient: Friedrich von Schlegel ·
  • Place of Dispatch: Bad Kösen · ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 24. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Die Periode des Athenäums (25. Juli 1797 ‒ Ende August 1799). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Raymond Immerwahr. Paderborn 1985, S. 13‒14.
Language
  • German

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