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Friedrich von Schlegel to Novalis

Berlin. Den 26sten Sept. 97
Zu gleicher Zeit fast erhielt ich Deinen Brief, und die frohe Botschaft von Hause, daß Ihr Euch so nahe gekommen, daß sie Dich beyde so lieben, Deinen Werth so anerkennen. Lange hab’ ich mich nicht so gefreut. Doch auch das ist herrlich, daß Du wieder so thätig bist, daß Du lebst; und nützlich hoff ich, soll es seyn, daß Du in eine frische Außenwelt kommst. Schreib mir darüber nur etwas recht Bestimmtes. Auf jeden Fall muß und will ich künftigen Sommer ein paar Wochen mit Dir zusammen leben. Wenn auch Du nach Pillnitz kämest! Gehst Du jetzt nach Dreßden, so vergiß mir ja nicht unsre (so kann ich nun sagen, sonst hätt’ ich gesagt, meine) Schwester. Sie misfiel Dir beym ersten Blick nicht, und wird Dir sehr gefallen mit der Zeit. Sie scheint bloß naiv und verständig, und hat doch tiefen Sinn, und ächte Vernunft. –
Ueber alles werth ists mir, daß ich so bey Dir war, daß Du mir alles zeigtest. <Du> glaubst <nicht>, wie sehr <Du> dadurch (bey mir) gewonnen hast, wie sehr ich dabey gewonnen habe. Ich liebe Deine Liebe. Das ehre ich an Dir, daß Dir Anerkennung von solchen Menschen werth ist. – Fichte ist bis zur Liebenswürdigkeit bloß gerecht, bis zur Delikatesse wacker; ich hab’ ihn oft entzückend gefunden. – – Welch, ein Mensch der bey dieser Eigenheit in Rücksicht auf Weiber, bey diesem Gegenstand, doch so viel ahndet!
In seiner Philosophie entdecke ich immer mehr. Jetzt ists mir bisweilen eine ernstliche Frage geworden, ob er mehr zu wenig Idealist, oder zu wenig Realist sey? Je weniger seine Philosophie mir genügt, ie mehr lerne ich aus ihr. – Ich habe viel geschrieben, und ich denke einige große Schritte gemacht.
Wie sonderbar traf mich Deine neu erwachte Liebe zur Poesie! Eben war ich seit zwey Tagen im höchsten Erguß, wie vorigen Winter in der Philosophie. Welten an Welten öffneten sich, und binnen drey Tagen war mir, als hätte ich vorher nichts, gar nichts von der Poesie verstanden. Du kannst denken, da Du mich kennst, daß Projekte die Menge gewachsen sind, beynah so viel wie in der Philosophie. Einige versuche ich gewiß mit Ernst, und von Einem hoffe ich schon mit Zuversicht Gelingen. – Alle sind so, daß kein Mensch der Jezigen sie machen kann, auch Goethe nicht, und doch kann ich aus Urschriften und Philosophie beweisen, daß sie kommen müssen, es mag sie machen wer will, und wann er will. Die Ideen würden aber auch beym ersten Blick grade Dich plötzlich treffen und Dir ganz gefallen.
Meine Briefe über Meister werden ein Buch. Ich nenne Dich, weil es mir Freude macht, und um Dich zu gemeinschaftlicher wissenschaftl[icher] Untersuchung zu spornen; ungeachtet ich bey dem Ton, den ich für nothwendig finde, eigentlich Nichts ganz persönlich mit Dir reden werde. – Ganz anders wird dies aber bey der Philosophie seyn. –
Könntest Du mir nicht alles schicken, was Du über Meister geschrieben hast, und traust Du mir wohl Verstand und Bescheidenheit genug <zu> um Diaskeuastendienste dabey zu verrichten? Ich würde dann in Deinem Geist die Chamfortsche Form wählen, auf die uns doch beyde der Instinkt geleitet hat. Ich habe so eben auch eine kritische Chamfortade von einigen Bogen in die Welt d.h. in die Druckerey geschickt. In einigen Wochen wirst Du sie also im Ilten Stück des Lyceums <nebst Lessing> lesen können. –
Es giebt auch einen Philosophen in Berlin; er heißt Schleyermacher, ist reformirter Geistlicher, und trägt viel zu meiner Zufriedenheit hier bey. Er hat Sinn und Tiefe, und das Höchste den kritischen Geist: dabey so viel Sinn für Mystik, daß es beynah hinreicht.
Auf Deine philosophischen Mitteilungen freue ich mich mit Heißhunger – Aber wenn auch Symphilosophie der eigentliche Nahme für unsre Verbindung ist: so sey nicht geizig und beschneide sie nicht ängstlich auf die Gränzen derselben. – Herrlich wär’s wenn ich Dir auch in der Philosophie Diaskeuastendienste leisten könnte. Bescheiden gehe ich gewiß zu Werke, und einen schicklichen Platz will ich Dir dann auch wohl vorschlagen. Ich wäre auch hier für die Chamf.[ortsche] Form, oder lieber für die synthetische. Jede andre wird <Dir> noch lange nicht so gelingen, daß die Form der Gedanken würdig ausfiele. Dieser bist Du Meister, sie ist Instinkt bey Dir wie bey mir. Auch ists eine große edle Form.
Der Pausias genügt mir gar nicht, und ist nicht einmahl so warm wie Alexis.
Endlich hast Du doch auch Augusten bemerkt. Begreifst Du wohl, daß man so ein Kind so lieben kann, wie man nur einmahl liebt, wenn man auch mehrmal etwas glücklich ist, und wogegen alles andre nichts ist?
Mir gehts gut und tüchtig. Es ist gewaltig viel Leben in mir. Es ist auch, Gott sey Dank zu einigen Explosionen gekommen, wo ich doch etwas Vulkanische Materie los werden kann. Wundre Dich nicht über den <etwas> dithyrambischen Ton dieses Briefs. Ich erwarte kommende Nacht ein schönes Notturno.
Sey verschwiegen, verstehe und laß Dich umarmen.
F. Schl.
<Grüße die Deinen.>
Schreib mir ja, wenn Du Neigung fühlst, recht viel; und ich bleibe es denn gewiß nichts schuldig. Du bist doch für mich in vielen Rücksichten der erste Mensch. –
Wenn Du Schelling siehst, so schreib mir von ihm. Es ist schwach von F.[ichte] ein schlechtes Buch der <logischen> Sympathie wegen gut zu finden. Aber ich wußte es lange, kann er doch sogar miserable Menschen in diesem Falle preisen.
Wenn Du die in Jena siehst, so sag ihnen von mir. Ich kann heute grade nicht schreiben. Der Schwiegerin kannst Du mittheilen was Dir gut dünkt.
Metadata Concerning Header
  • Date: Dienstag, 26. September 1797
  • Sender: Friedrich von Schlegel ·
  • Recipient: Novalis ·
  • Place of Dispatch: Berlin · ·
  • Place of Destination: Weißenfels · ·
Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 24. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Die Periode des Athenäums (25. Juli 1797 ‒ Ende August 1799). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Raymond Immerwahr. Paderborn 1985, S. 20‒22.
Language
  • German

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