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Friedrich von Schlegel to Caroline von Schelling

Wenn ich doch nur mehr schreiben könnte, liebe Caroline! Es geschähe so gerne. – Sie müssen nicht übel nehmen, daß ich nun in dem Gedränge von Allem, was ich eigentlich schreiben wollte und sollte, jetzt immer dem den Vorzug gebe, was das Journal betrifft. – Schreiben Sie mir doch ja, alles was Sie für sich dazu zu thun denken, auch noch ehe Sie fixiert sind. Ich rathe Ihnen dann, so gut ichs weiß. Rathen auch Sie mir, und überlegen Sie alles, was ich von meinen Arbeiten und Projekten dafür schreibe, recht kritisch und gründlich. – Besonders aber auch das, was Wilh.[elm] thun kann und will, befördern Sie durch Ihre Theilnahme. Wenn er meinen Vorschlag wegen der neuesten lyrischen Gedichte des Meisters eingeht: so können Sie ihm gewiß sehr viel dazu helfen. – Lassen Sie sich <weder> Wilhelms Treiben noch Ihre Arbeitsscheu den Gedanken verleiden, selbst Beyträge zu geben. Wenn Sie dieß aber auch nicht gleich können oder wollen, so bleibt Ihnen doch sehr viel übrig – durch Theilnahme und Rath unsern Eifer zu verdoppeln und zu berichtigen. –
Ich habe immer geglaubt, Ihre Naturform – denn ich glaube, jeder Mensch von Kraft und Geist hat seine eigenthümliche – wäre die Rhapsodie. Es wird Ihnen vielleicht klar, was ich damit meyne, wenn ich hinzusetze, daß ich die gediegene feste klare Masse für Wilhelms eigentliche Naturform, und Fragmente für die meinige halte. – Ich habe wohl auch Rhaps.[odien] versucht und W.[ilhelm] kann gewiß sehr gute Fragmente machen, aber ich rede nur von dem, was jedem am natürlichsten ist. Man erschwert sichs gewiß sehr, wenn man, besonders bey wenig Uebung, eine Form wählt, die Einem nicht natürlich und also nur durch große Kunst und Anstrengung erreichbar ist. – Sollten Sie jemahls einen Roman schreiben: so müßte vielleicht ein andrer den Plan machen, und wenn nicht das Ganze aus Briefen bestehn sollte, auch alles darin schreiben, was nicht <in> Briefen wäre. –
Sie können wohl Fragmente sprechen und auch in Briefen schreiben: aber sie sind immer gerade nur in dem, was ganz individuell und also für unsern Zweck nicht brauchbar <ist.> – Ihre Philosophie und Ihre Fragmentheit gehn jede ihren eignen Gang. – Seyn Sie also ja vorsichtig bey der Wahl der Form, und bedenken Sie, daß Briefe und Recensionen Formen sind, die Sie ganz in der Gewalt [haben]. An den Briefen über Sha.[kespear]’s komischen Geist schreiben Sie doch auch mit, wenn der Vorschlag acceptirt wird? –
Was sich <aus> Ihren Briefen drucken ließe, ist viel zu rein, schön und weich, als daß ich es in Fragm.[ente] gleichsam zerbrochen, und durch die bloße Aushebung kokett gemacht sehn möchte. Dagegen denke ich, es würde mir nicht unmöglich seyn, aus Ihren Briefen Eine große philosophische Rhapsodie zu – diaskeuasiren. Was meynen Sie dazu? – Das wäre etwas für den Sommer, wenn ich wieder bey Ihnen bin: denn ich bin sehr geneigt mit Euch zu ziehn und im Sommer vollends bey Euch zu bleiben: dagegen aber auf den Winter wieder hierher zurückzukehren. – Was mir auf die Länge jetzt noch in Jena sehr fehlen würde, sind Bücher, die ich hier haben kann, wie ich wünsche, und die ich dort ganz entbehren muß. Wenn ich mich schon in Ruhe hinsetzen dürfte und einen meiner Romane ausführen, so wäre es etwas anders. Doch würde ich auch dabey homogene Lektüre brauchen. – Es freut mich sehr, daß W.[ilhelm] mich wieder zu sich wünscht, und wie haben Sie glauben können, daß ich einer Einladung wiederstehen könnte, die <nur> mit meinen Wünschen entgegenkam?
Was Sie mir von Augusten schreiben, freut mich sehr. Nur das nicht, daß Sie sie nicht mitbringen wollen. – Singen kann sie hier so gut lernen, wie irgendwo. Vielleicht könnte ich ihr Zutritt in der Faschischen Singakademie verschaffen, wo sie Vokalmusik hören würde, wie man sie selbst in Dresden gar nicht hat. So oft Ihr in Gesellschaften gingt, wo sie nicht Lust hätte, oder Sie nicht gut fänden, daß sie mitginge, könnte sie mit mir ins Theater gehn. Ich verspare das absichtlich auf die Zeit und bin seit einem Vierteljahr nicht dreymahl dringewesen. – Oder sie kann auch Griechisch mit mir lesen. – Ich bitte Sie recht sehr, es zu überlegen. Mit der Unschuld, das ist nichts. Erstlich kann Auguste Berlin sehen und unschuldig bleiben. Wenn die Unschuld <aber> darin besteht, daß man immer an demselben Fleck klebt: so ist Auguste, die schon so vieler Menschen Städte und Sitten gesehn hat, ein weiblicher Odysseus, nicht mehr unschuldig, und hat also nichts zu verlieren. – Im Ernst, ich dächte, es könnte ein kleiner Beytrag zu der Art von Bildung, die ihr nächst dem Beyspiel doch auch etwas der Zufall gegeben hat, und die sie so sehr von andern Mädchen ihres Alters unterscheidet, seyn, Berlin zu sehn. – Und dann, denken Sie nicht an die Trennung?
– Eben kommen zwey Briefe von W.[ilhelm]. Ehe ich sie aber erbreche, will ich, da die Zeit bis zum Abgange der Post nur sehr kurz ist, noch folgendes melden, worauf sich Tieck in seinem Brief bezieht.Eschen hat Ungern durch seine letzten Briefe sehr disgustirt, und Reichardt noch mehr. U.[nger] hat an Eschen ziemlich pikirt und resolut geschrieben, und mirs mitgetheilt, wobey er sagte: Er wünsche, daß Eschen die ganze Sache überdrüßig werden möchte. Nun habe ichs mit Tieck fürs beste gehalten, den Verlauf davon abzuwarten, und wenn es sich mit Eschen zerschlägt, Un.[gern] Tieck vorzuschlagen. Unger hat doch die erste Idee gehabt und ist am Ende der beste Verleger. – Das war das. – Mit R.[eichardt] hab’ ich nicht wegen seiner Vorwürfe über den Voßiden gebrochen, worauf ich <ihm> nicht geantwortet; ja auch manches herrische Betragen hab’ ich nicht geahndet. Allein zuletzt hatte er mich nicht aus Bosheit, sondern aus Leidenschaftlichkeit und Albernheit bei Unger verklatschen wollen, wo er aber seinen Zweck ganz verfehlt hat. Da ich es erfuhr, schrieb ich ihm ein verweisendes aber freundschaftliches Billet. Er schrieb drauf sehr lang und sehr gemein – worauf ich ganz kurz von ihm Abschied nahm.
Ich zweifle sehr, daß ich Fichte’n und Niethammer jetzt etwas schicken kann. Der Fragmente, die im Sinn des Journals philosophisch sind, hab’ ich nicht sehr viel. Zwar sehr viel Materien, aber nicht Fragm.[ente] oder jetzt nicht druckbar. Was ich ihnen leicht geben könnte, wäre <wohl> 1 oder 1 ½ Bogen. Aber bey den meisten und grade bey den besten bin ich sehr ungewiß, ob sie Fichten einleuchten würden – oder auch zu sehr. Ich kann doch eigentlich nicht recht in den Geist des Journals eingreifen, außer daß ich etwa die Kritik, oder wo es Noth thut, Polemik gegen elegante Philosphen, die zugleich auf Philologie oder Poesie Anspruch machen, übernehme. Wenn nun aber mein Aufsatz nicht in den Geist des Ganzen eingriffe: so wäre er <ihnen> doch nur ein Lückenbüßer, und von wenig Werth. Für mich aber d. h. für die Fragmente in unser Journal sind mir die paar eigentlich philosophischen sehr viel werth der Abwechselung wegen. – Wollen Sie wohl Fichten vorläufig, bis ich ihm selbst schreiben kann, ein paar entschuldigende Worte darüber sagen? – Nieth.[hammer]s mache ich meinen herzlichsten Glückwunsch.
Metadata Concerning Header
  • Date: Dienstag, 12. Dezember 1797
  • Sender: Friedrich von Schlegel ·
  • Recipient: Caroline von Schelling ·
  • Place of Dispatch: Berlin · ·
  • Place of Destination: Jena · ·
Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 24. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Die Periode des Athenäums (25. Juli 1797 ‒ Ende August 1799). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Raymond Immerwahr. Paderborn 1985, S. 59‒62.
Language
  • German

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