Siebeneichen: bey Meißen
den 26sten December. 1797.
Die Antwort auf Deinen lieben, herzlichen Brief kommt etwas spät. Seit Michaïlis hab ich reisen wollen, und habe daher alle Briefe bis zur ruhigen Zeit meines Freyberger Aufenthalts verspart. Erst den 1sten Dec.[ember] bin ich von Weißenfels abgereißt. Bis dahin war ich in Artern und Kösen. In Artern lebt ich mit Funk und Tielemann sehr angenehm. Dann reißt ich durch Thüringen über Jena nach W.[eißenfels], und da blieb ich denn noch einige Wochen. Ich hatte eigentlich soviel an Dich zu schreiben, daß ich mich fürchtete. Jetzt will ich nur wieder anfangen – Nachgerade bring ich schon das Nöthige an den Mann.
Dein Bruder hat mir einen sehr angenehmen Nachmittag gegönnt. Wir haben bis zur Erschöpfung gesprochen. Die Guten haben mir lebhaft mercken lassen, daß ich Ihnen etwas werth bin. Von Dir ist sehr viel gesprochen, von Dir, dem Hypermystischen, hypermodernen HyperCyniker. Wir haben uns gemeinschaftlich Deiner Thätigkeit, Deiner Hoffnungen gefreut.
Deine Fragmente hatte ich, nebst Lessing, schon gelesen. Lessing hat mir unter allen Deinen epigrammatischen Dythiramben am besten gefallen. Du bist da an den fruchtbarsten Gegenstand für Dich gekommen – Er ist für Dich, was Laudanum für Brown ist – Eine Art von Universal Medicin.
Du bist dephlogistisirter Lessing. Deine Fragmente sind durchaus neu – ächte, revolutionaire Affichen. Manche haben mir bis ins Marck gefallen. Wo wird die Fortsetzung Lessings, nach Deinem Bruch mit Reichardt, dessen Urkunde ich noch nicht gelesen habe, erscheinen? Die Geschichte der griechischen Poesie schicke mir doch sobald Du kannst, auch bogenweise.
Euer Journal ist lang von mir erwartet. Mit ihm kann eine neue Periode der Litteratur beginnen. Meine Theilnahme versprech ich euch mit Freuden – Aber noch Geduld bis Ostern. Du sollst dann das von mir in Händen haben, was ich zu machen im Stande bin. Es sind Bruchstücke des fortlaufenden Selbstgesprächs in mir – Senker. Du kannst sie dann behandeln, wie Du willst. Revolutionairen Inhalts scheinen sie mir hinlänglich – freylich bin ich noch zu sehr jezt in Vorübungen begriffen. Beweise bleib ich schuldig. Mancherley ist mir seit 3 Monaten durch den Kopf gegangen. Erst Poësie – dann Politik, dann Physik en Masse. In der Poësie glaub ich festen Fuß gefaßt zu haben – denn es scheint mir, als sey ich überall auf Deine Entdeckungen gestoßen. In der Politik glaub ich nicht ohne Grund au fait zu seyn – Allen, denen ich noch davon gesagt – hat die Wahrheit meiner Sätze einzuleuchten geschienen. In der Physik bin ich noch in der Gährung. Hauptideen glaub ich gefaßt zu haben – aber hier will ich gleich practisch auftreten – Zu einem Tractat vom Lichte, ist vieles fertig. Das Licht wird nur der Mittelpunct, von dem aus ich mich in mancherley Richtungen zerstreue.
Die Philosophie verstehe ich immer besser, je tiefer ich in die übrigen Wissenschaften eindringe. Ich lebe jetzt wircklich recht schön – heiter – unaufhörlich beschäftigt, und ganz meiner Disposition unterworfen.
Daß wir uns sehn könnten! Meine und Deine Papiere gegen einander auszuwechseln! Du würdest viel Theosophie und Alchymie finden.
Schelling hab ich kennen gelernt. Freymüthig hab ich ihm unser Misfallen an seinen Ideen erklärt – Er war sehr damit einverstanden und glaubt im 2ten Theile einen höhern Flug begonnen zu haben. Wir sind schnell Freunde geworden. Er hat mich zum Briefwechsel eingeladen. Diese Tage über werd ich auch an ihn schreiben. Er hat mir sehr gefallen – ächte Universaltendenz in ihm – wahre Strahlenkraft – von Einem Punct in die Unendlichkeit hinaus. Er scheint viel poëtischen Sinn zu haben. Jetzt ist er über den Alten – Er findet in der Odyssee Göthens Mutterboden. Auf das Lyceum hab ich seine Aufmercksamkeit gelenkt.
Körner hab ich jetzt kennen gelernt. Es ist mir unbegreiflich, daß Du noch so lange mit Ihnen hast leben können. Für mich schon ist es schwer, nicht bey ihm anzustoßen. Sie hat mir, unter den Dreyen, noch am besten gefallen – Vielleicht nur den Abend. Wie ich Sie erwartete, fand ich Sie – freylich für Dresden mehr, als zu gut. In Dresden würd ich doch oft da seyn, besonders da ich mir Mühe gebe – mich zu geniren – nach jedermanns Weise. Von Göthe und Schiller hab ich mit Ihnen geredet und dann Allgemeines. Für <ordinairen> Witz und einzelne Bemerckungen sind sie empfänglich – das Höchste sehn Sie nicht. Man befindet sich bey Ihnen, wie man sich in jeder Gesellschaft befinden sollte. Ihre Bildung ist die Nothdürftige – die jeder Mensch haben muß.
Nach den Feyertagen treff ich vielleicht Gesler einmal dort. Humbold[t] sen. ist in Paris – zum Behuf einer Caracteristik des Zeitalters?? Was sagst Du dazu? Der schwerfällige Humbold[t] Mimus dieses unendlichen Proteus? Göthe hat einen Prometheus vor – und den Faust.
Dein Bruder hat mir geschrieben, daß die Kritik von Hermann und Dorothea fertig ist. Ich bin unbeschreiblich gespannt. H.[ermann] und D.[orothea] ist für mich erstaunlich viel. Ich habe mir noch nicht verstattet, ein Urtheil darüber zu fällen – und <noch> kann ich auch kein Gedicht darüber machen.
Deine Schwester hab ich zweymal nicht getroffen. Nach den Feyertagen denk ich Sie doch zu finden.
Ich sehe baldigen Nachrichten von Dir mit Verlangen entgegen. In Freyberg bin ich ganz isolirt – Ich bedarf geistiger Würze. Dein Bruder, Schelling und Du sind mir vollkommen genug. Bald mehr – auch zur Probe – Ein Bogen mystischer Fragmente. Du lebst prächtig in Berlin – soviel ich aus Deinen Briefen in Jena geschlossen habe. Schreibe mir doch mehr von Schleyermacher.
Am Aufmercksamsten bin ich auf Deine Philosophie – und Deinen Roman – Lezterer ist mir freylich Räthsel – Du und ein Roman – non credo. Nur ein wenig bestimmter – Du sollst auch von mir bestimmtere Dinge über meine bisherigen Thaten in der Phil.[osophie] erfahren. Hier kann ichs nicht so gut – meine Papiere hab ich nicht bey mir – und die Zeit und die Sammlung fehlt. Sobald ich wieder in Freyberg bin sollst Du einen langen Brief nebst dem <Probe> Bogen erhalten.
Meisters Lehrjahre hab ich jezt lange nicht angesehn. Tausenderley Neues könnt ich darüber aufschreiben, wenn ich Zeit hätte. Dein Buch wird mir, denk ich, alle Müh ersparen und mir jede bisherige Mühe reichlich belohnen.
Medio Januars komm ich wieder mit Tielemann und Funk in Dresden zusammen. So gut ich mit Ihnen dran bin, so gehören Sie doch beyde nicht zu meinen ächt republicanischen Freunden i.[d] e.[st] mit denen ich gemeine Sache habe. Der leztere hat den meisten Sinn – der Erstere mehr unterhaltendes Talent. Beyde, wie mir dünkt, wircklich brav und freundschaftsfähig.
Lebe wohl – bester Schlegel – behalte mich lieb. Friede Sey mit Dir.
Dein
Freund
v Hardenberg.
den 26sten December. 1797.
Die Antwort auf Deinen lieben, herzlichen Brief kommt etwas spät. Seit Michaïlis hab ich reisen wollen, und habe daher alle Briefe bis zur ruhigen Zeit meines Freyberger Aufenthalts verspart. Erst den 1sten Dec.[ember] bin ich von Weißenfels abgereißt. Bis dahin war ich in Artern und Kösen. In Artern lebt ich mit Funk und Tielemann sehr angenehm. Dann reißt ich durch Thüringen über Jena nach W.[eißenfels], und da blieb ich denn noch einige Wochen. Ich hatte eigentlich soviel an Dich zu schreiben, daß ich mich fürchtete. Jetzt will ich nur wieder anfangen – Nachgerade bring ich schon das Nöthige an den Mann.
Dein Bruder hat mir einen sehr angenehmen Nachmittag gegönnt. Wir haben bis zur Erschöpfung gesprochen. Die Guten haben mir lebhaft mercken lassen, daß ich Ihnen etwas werth bin. Von Dir ist sehr viel gesprochen, von Dir, dem Hypermystischen, hypermodernen HyperCyniker. Wir haben uns gemeinschaftlich Deiner Thätigkeit, Deiner Hoffnungen gefreut.
Deine Fragmente hatte ich, nebst Lessing, schon gelesen. Lessing hat mir unter allen Deinen epigrammatischen Dythiramben am besten gefallen. Du bist da an den fruchtbarsten Gegenstand für Dich gekommen – Er ist für Dich, was Laudanum für Brown ist – Eine Art von Universal Medicin.
Du bist dephlogistisirter Lessing. Deine Fragmente sind durchaus neu – ächte, revolutionaire Affichen. Manche haben mir bis ins Marck gefallen. Wo wird die Fortsetzung Lessings, nach Deinem Bruch mit Reichardt, dessen Urkunde ich noch nicht gelesen habe, erscheinen? Die Geschichte der griechischen Poesie schicke mir doch sobald Du kannst, auch bogenweise.
Euer Journal ist lang von mir erwartet. Mit ihm kann eine neue Periode der Litteratur beginnen. Meine Theilnahme versprech ich euch mit Freuden – Aber noch Geduld bis Ostern. Du sollst dann das von mir in Händen haben, was ich zu machen im Stande bin. Es sind Bruchstücke des fortlaufenden Selbstgesprächs in mir – Senker. Du kannst sie dann behandeln, wie Du willst. Revolutionairen Inhalts scheinen sie mir hinlänglich – freylich bin ich noch zu sehr jezt in Vorübungen begriffen. Beweise bleib ich schuldig. Mancherley ist mir seit 3 Monaten durch den Kopf gegangen. Erst Poësie – dann Politik, dann Physik en Masse. In der Poësie glaub ich festen Fuß gefaßt zu haben – denn es scheint mir, als sey ich überall auf Deine Entdeckungen gestoßen. In der Politik glaub ich nicht ohne Grund au fait zu seyn – Allen, denen ich noch davon gesagt – hat die Wahrheit meiner Sätze einzuleuchten geschienen. In der Physik bin ich noch in der Gährung. Hauptideen glaub ich gefaßt zu haben – aber hier will ich gleich practisch auftreten – Zu einem Tractat vom Lichte, ist vieles fertig. Das Licht wird nur der Mittelpunct, von dem aus ich mich in mancherley Richtungen zerstreue.
Die Philosophie verstehe ich immer besser, je tiefer ich in die übrigen Wissenschaften eindringe. Ich lebe jetzt wircklich recht schön – heiter – unaufhörlich beschäftigt, und ganz meiner Disposition unterworfen.
Daß wir uns sehn könnten! Meine und Deine Papiere gegen einander auszuwechseln! Du würdest viel Theosophie und Alchymie finden.
Schelling hab ich kennen gelernt. Freymüthig hab ich ihm unser Misfallen an seinen Ideen erklärt – Er war sehr damit einverstanden und glaubt im 2ten Theile einen höhern Flug begonnen zu haben. Wir sind schnell Freunde geworden. Er hat mich zum Briefwechsel eingeladen. Diese Tage über werd ich auch an ihn schreiben. Er hat mir sehr gefallen – ächte Universaltendenz in ihm – wahre Strahlenkraft – von Einem Punct in die Unendlichkeit hinaus. Er scheint viel poëtischen Sinn zu haben. Jetzt ist er über den Alten – Er findet in der Odyssee Göthens Mutterboden. Auf das Lyceum hab ich seine Aufmercksamkeit gelenkt.
Körner hab ich jetzt kennen gelernt. Es ist mir unbegreiflich, daß Du noch so lange mit Ihnen hast leben können. Für mich schon ist es schwer, nicht bey ihm anzustoßen. Sie hat mir, unter den Dreyen, noch am besten gefallen – Vielleicht nur den Abend. Wie ich Sie erwartete, fand ich Sie – freylich für Dresden mehr, als zu gut. In Dresden würd ich doch oft da seyn, besonders da ich mir Mühe gebe – mich zu geniren – nach jedermanns Weise. Von Göthe und Schiller hab ich mit Ihnen geredet und dann Allgemeines. Für <ordinairen> Witz und einzelne Bemerckungen sind sie empfänglich – das Höchste sehn Sie nicht. Man befindet sich bey Ihnen, wie man sich in jeder Gesellschaft befinden sollte. Ihre Bildung ist die Nothdürftige – die jeder Mensch haben muß.
Nach den Feyertagen treff ich vielleicht Gesler einmal dort. Humbold[t] sen. ist in Paris – zum Behuf einer Caracteristik des Zeitalters?? Was sagst Du dazu? Der schwerfällige Humbold[t] Mimus dieses unendlichen Proteus? Göthe hat einen Prometheus vor – und den Faust.
Dein Bruder hat mir geschrieben, daß die Kritik von Hermann und Dorothea fertig ist. Ich bin unbeschreiblich gespannt. H.[ermann] und D.[orothea] ist für mich erstaunlich viel. Ich habe mir noch nicht verstattet, ein Urtheil darüber zu fällen – und <noch> kann ich auch kein Gedicht darüber machen.
Deine Schwester hab ich zweymal nicht getroffen. Nach den Feyertagen denk ich Sie doch zu finden.
Ich sehe baldigen Nachrichten von Dir mit Verlangen entgegen. In Freyberg bin ich ganz isolirt – Ich bedarf geistiger Würze. Dein Bruder, Schelling und Du sind mir vollkommen genug. Bald mehr – auch zur Probe – Ein Bogen mystischer Fragmente. Du lebst prächtig in Berlin – soviel ich aus Deinen Briefen in Jena geschlossen habe. Schreibe mir doch mehr von Schleyermacher.
Am Aufmercksamsten bin ich auf Deine Philosophie – und Deinen Roman – Lezterer ist mir freylich Räthsel – Du und ein Roman – non credo. Nur ein wenig bestimmter – Du sollst auch von mir bestimmtere Dinge über meine bisherigen Thaten in der Phil.[osophie] erfahren. Hier kann ichs nicht so gut – meine Papiere hab ich nicht bey mir – und die Zeit und die Sammlung fehlt. Sobald ich wieder in Freyberg bin sollst Du einen langen Brief nebst dem <Probe> Bogen erhalten.
Meisters Lehrjahre hab ich jezt lange nicht angesehn. Tausenderley Neues könnt ich darüber aufschreiben, wenn ich Zeit hätte. Dein Buch wird mir, denk ich, alle Müh ersparen und mir jede bisherige Mühe reichlich belohnen.
Medio Januars komm ich wieder mit Tielemann und Funk in Dresden zusammen. So gut ich mit Ihnen dran bin, so gehören Sie doch beyde nicht zu meinen ächt republicanischen Freunden i.[d] e.[st] mit denen ich gemeine Sache habe. Der leztere hat den meisten Sinn – der Erstere mehr unterhaltendes Talent. Beyde, wie mir dünkt, wircklich brav und freundschaftsfähig.
Lebe wohl – bester Schlegel – behalte mich lieb. Friede Sey mit Dir.
Dein
Freund
v Hardenberg.