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Friedrich von Schlegel to Caroline von Schelling

Ich habe gestern einen dummen Streich gemacht, und Euch Ungers Anerbieten aber nicht mit allen begünstigenden Nebenumständen vorgetragen. U.[ngers] wollen nähmlich zu dieser Zeit schon auf dem Garten wohnen, und sie hat mehrmahlen ausdrücklich zu erkennen gegeben, daß sie Euch in nichts geniren wollen. Dieß ist freylich auch sehr nötig, da sie mit aller Welt hadert und zankt. Z.B. Sanders sind von ihren Feinden. Mit Viewegs ists so heimlicher, und äußerlich gut, doch auch ein ewiges Fickfacken.
Meinen gestrigen Brief, den ich unserm größten Virtuosen im negativen Sinn mitgab, werden Sie hoffentlich erhalten haben. –
Was Tieck betrifft, so ehre ich W[ilhelm]s Wärme für seine Kunst um so mehr, da sie nicht bloß aus der heiligen Quelle der reinen Sympoesie entspringt wie auch seine ehemalige Liebe und Bewunderung für Bürger und Schiller, sondern auch mehr Großmuth, ja mehr Erfindung drin ist. Glaubt mir doch, daß ich, was er etwa hat <und weiß>, willig anerkenne. Aber er selbst, der Mensch, ist noch nichts wie ein – Junge. Von Charakter ist auch nicht ein Keimchen sichtbar, und ich fürchte, ich fürchte, bey gänzlichem Mangel an Gutheit, Klugheit und Weisheit – sinkt er mit eiligen Schritten in die Classe der jungen Halunken der deutschen Litteratur – der Woltmann pp. Er hat einen kleinen Instinkt von gentlemanity und honesty, aber wie bald kann der bey einem Charakterlosen im Gedränge verloren gehn. –
Was mir für sein Talent noch einen schwachen Schimmer von Hoffnung giebt ist daß er an seinem Aufsatz <über Shakesp.[ear]> drückt und nicht endigen kann. Wenn’s hoch kommt, so kann er vielleicht noch <außer dem Supplementbande zu Richter> eine lebendige Note zu Plato’s Jon werden. Er ist eben auch <so> ein Rhapsode, was das Bornirte und den Dünkel betrifft. Meine Zusammenstellung mit Richter wird ihn ungemein schmeicheln. Ob ich in den Fragmenten noch etwas über ihn sage, daran zweifle ich. Eigentlich kann er doch bis jetzt nur ein Objekt der empfehlenden oder der wünschenden Kritik seyn. Die erste hat das ihrige an ihm gethan. Nun bliebe also nur die letzte. –
Ich weiß so positiv, daß er voll Dünkel ist, wie der erste und beste andre Lump; und <nun> hält ihn W.[ilhelm] für bescheiden und ist bis zur Unvorsicht offen gegen ihn. Darüber bin ich in Gedanken ergrimmt, in W.[ilhelm]s Seele, wenn ich mir lebhaft vorgestellt, welch einen Eindruck der Brief gemacht; und darum hab’ ich mich so harter Ausdrücke bedient.
Was sollte ich viel vom M. [Dorothea] schreiben, wenn mich auch <nicht> Ihre Art, meine erste Mittheilung oder Eingebung aufzunehmen oder zu erwiedern, etwas still gemacht? – Sie ist eine wackere Frau von gediegnem Werth. Sie ist aber sehr einfach und hat für nichts in und außer der Welt Sinn als für Liebe, Musik, Witz und Philosophie. In ihrem Armen habe ich meine Jugend wieder gefunden, und ich kann <sie> mir jetzt <gar nicht> aus meinem Leben wegdenken. Dieß ist nicht Täuschung, sondern Einsicht, da wir, beyde reicher an Sinn und Vernunft als an Fantasie, die Gränzen unsrer <Verbindung> so bestimmt sehen und wissen; und sie besonders hat es immer auf eine große Art, wenn gleich sehr weiblich ertragen, wenn ich diese Gränzen mit aller Härte meiner Offenheit bestimmte. Wenn ich sie auch nicht glücklich machen kann, so hoff ich doch, der Keim des Glückes in ihrem Innern soll durch meine Liebe so gedeihen, daß ihm die umgebenden Nebel nichts mehr schaden können.
Die Einlage von Herz bitte ich recht bald an Hufeland zu besorgen.
Metadata Concerning Header
  • Date: Mitte Februar 1798
  • Sender: Friedrich von Schlegel ·
  • Recipient: Caroline von Schelling ·
  • Place of Dispatch: Berlin · ·
  • Place of Destination: Jena · ·
Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 24. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Die Periode des Athenäums (25. Juli 1797 ‒ Ende August 1799). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Raymond Immerwahr. Paderborn 1985, S. 85‒86.
Language
  • German

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