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Friedrich von Schlegel to Novalis

Berlin. Den 28ten May 98.
Dein M[anu]script wird in den Jahrbüchern gedruckt. Zu einem Werkchen für sich würden wohl alle Buchhändler mehr Popularität verlangt haben, und da ich einige Worte darüber fallen ließ, sah ich daß es nicht ging. Es wird bald gedruckt, und daran schien Dir zu liegen. Ja ein Theil davon ist schon gedruckt. Das ist ein Umstand der Dir vielleicht nicht gefallen wird; der aber durchaus nicht zu ändern war. Es ist gewöhnlich und gesetzlich in den Jahrbüchern, recht viele Nummern zu haben, und es giebt auch eine ziemliche Anzahl stehende Artikel. Da war nun Dein Aufsatz für auf einmal zu lang und ich habe endlich einwilligen müssen, daß die Gedichte am Schluß des Stücks, was eben gedruckt ward, geordnet sind, und der Glauben und Liebe <ist> für den Anfang des nächsten Stücks, und die politischen Aphorismen für das nächstfolgende bestimmt. Der Verleger hat mich wegen der Bedingungen gefragt. Ich habe ihm gesagt, Du hättest nichts davon erwähnt; im Fall Du es überhaupt wolltest, soll er so viel geben als gebräuchlich ist. W.[ilhelm] kann es Dir noch mitnehmen. Ich sehe eigentlich nicht ein, warum Du es ihm schenken wolltest. <Das Honorar für den Blüthenstaub will Wilh.[elm] Dir mitbringen.>
Mit Deinen Ideen über Monarchie bin ich im Wesentlichen (denn ich glaube wohl daß auch manches Einzelne Dir wesentlich, worin ich nicht einstimmen kann) d.h. im Ganzen vollkommen Eins. Ich finde sie sehr philosophisch, und zwar von der historischen Philosophie. Du hast dadurch eigentlich etwas ganz neues in mir angeregt, nämlich schon durch die Idee des Repraesentanten im Blüthenstaub. Durch diesen hast Du Dich zuvörderst um das Athen[aeum] wohl verdient gemacht. Besonders die Ausbildung und der Ausdruck haben mich erfreulich überrascht. Ich finde den Sprung von Deinen Heften bis dahin ungeheuer groß. – Der Reichtum an Ideen konnte mich nicht so überraschen, aber erfreut hat er mich in hohem Grade. Es kann Dir vielleicht interessant seyn zu wissen, daß ich jetzt <auch> mit Deiner Mittlertheorie im Prinzip einig bin, und ich hatte in meinen Heften einiges über diese Sphäre der Willkühr notirt, was fast wörtlich mit dem Deinigen übereinstimmt. Es kann Dir interessant seyn, meyne ich, weil es der reine Beyfall des Philosophen <ist>: ich verstehe Dich vollkommen über einen Punkt, worin unser Sinn und Gefühl vielleicht eine andre Richtung hat. Nur darin muß ich Dir historisch Unrecht geben, daß Du die alten Götter auch für Mittler hältst, nur für unvollkommnere. Sie waren ganz und gar keine, sondern wahrhafte Götter selbst. Von der Einheit Gottes, die den Alten nicht bloß den Philosophen sehr bekannt <war>, hatten sie etwas bessere Begriffe als der Haufen der Christen. Sie hielten sie mit der Vielheit nicht streitend; zugleich einer und viele. Was ich hier sage, geht aufs Ganze und aufs Wichtigste. Es gab einzelne Ausnahmen pp.
Caroline weiß sich noch nicht recht in Deine Religiosität zu finden, und mag sie vielleicht bisweilen für ein Erbstück der Fantasie halten. Sie hälts mit der Religion wie mit den Griechen und mit der Philosophie. Es hat ihr immer viel Freude gemacht, sich über diese Dinge zu wundern.
Es darf Dich nicht gereuen, Deine Heiligthümer ausgestellt und öffentlich gemacht zu haben. Wenn ich nach meinem kleinen Kreise urtheilen darf, so sind Dir alle gewiß, die viel Sinn haben; die andern wirst Du ganz abstoßen. Du wirst beynah so viel Versteher als Leser haben. Ich nenne Dir unter meinen hiesigen nur Tieck, der Deine Religion auch sehr poetisch findet. Besonders bey einigen Frauen meiner Bekanntschaft bist Du sehr beliebt geworden. Ein sehr interessantes und religieuses Mädchen die den Blüthenstaub ordentlich studirte, meynte von dem Glauben, er sey wie von einem betrunknen Gott.
Was die individuelle Tendenz desselben betrifft, so möchte ich mündlich mit Dir darüber sprechen und ich wollte Dir <hier> Männer genug zuweisen, mit denen Dich ein Gespräch mehr mit der Eigenthümlichkeit der Preuß.[ischen] Monarchie bekannt machen könnte, als ganze Bücher darüber. Du Sakrament willst alle Welt nach Berlin schicken und selbst nicht kommen! Ich sage Dir: Komm zur Huldigung, den 6ten Juli.
Ich sehe Dich doch auf jeden Fall, denn ich komme auf <4->6 Wochen nach Dresden. Aber wirst Du nun diese Zeit immer oder wenigstens oft in Dresden sein können? –
Du kannst hier bey mir (d.h. bey uns} wohnen, wenn Du nicht viel begehrst. Kosten machte Dir die ganze Reise gewiß sehr wenige. –
Du hast verwundert oder unzufrieden geschienen, daß ich nicht den ganzen Sommer in Dresden seyn will. Ich hoffe, Du glaubst daß ich nie erkalten kann. Aber wenn ich auch hier nicht so gut und so schön lebte, dürfte es doch so besser seyn. Mein Verhältniß mit Caroline ist unendlich verletzbar, und jetzt unendlich verstimmt. Dieß schmerzt mich auch darum, weil ich glaube, daß wir Freunde seyn könnten. Meine Freundschaft oder Fraternität <mit W[ilhelm]> kann nie etwas andres seyn als ein heilsamer und piccante dolce Antagonism zu gemeinschaftlichen Zwecken und Werken. Doch still davon!
Schleiermacher lernst Du aus dem Ende des 6ten und dem 7ten Bogen einigermaßen kennen. Du wirst mein Eigenthum und das fremde Gut wohl scheiden können.
Du hast nun gewiß das Ite Athen.[aeum] die Aushängebogen des Ilten und die erste Abtheilung der Gesch[ichte] der Gr.[iechischen] Poesie. Schreib nur recht bald und recht freymüthig darüber, und mache Dich auch auf dem kritischen Wege um das Athen.[aeum] wohl verdient. Nicht bloß über das Meinige sondern über alles. Vor allem wünsche ich zu erfahren, ob Du mit <den> kleinen Freyheiten die ich mir mit dem Blüthenstaub genommen, nicht unzufrieden bist, und wie viel Du mir künftig mit Deinen Aufsätzen erlauben willst. Mein Bruder wünscht daß vors erste keine Fragmente wieder ins Athen.[aeum] <kommen>, und ich wüßte nicht daß Du Dich einer Form ausschließend bedientest, die bey Dir zwar Instinkt ist, die aber doch besonders bey einem begeisterten Dilettanten der Schriftstellerey leicht zu lax werden, und sich der Formlosigkeit nähern kann. – Sehr lieb war es mir daher, was Du in dem lezten Briefe von Dialogen andeutest. Die Anekdoten nimmst Du gewiß auch so mystisch oder laß mich lieber sagen historisch, wie ich; ich hatte einmahl eine solche Idee. – Ueber Deine große Idee wünsche ich bald mehr zu wissen. Könnten wir uns nicht darüber und über die Philosophie überhaupt in einen wechselmaieutischen regelmäßigen Briefwechsel setzen, der im Athen.[aeum] erschiene?
Zu noch einer großen Arbeit von mir lade ich Dich hiemit völlig als Theilnehmer ein. Es sind die philosophischen Rhapsodien, historische Ansichten der Phil.[osophie] die in fünf bis sechs Massen eine Charakteristik der φ des Zeitalters geben werden. Die erste Masse wird nur von Fichte, Hülsen und Schelling <handeln>. <Sie erscheint schon im Illten Stück>. Willst Du mir Deine jetzigen Resultate auch darüber zu beliebigem Gebrauch mittheilen, so wird es mir sehr willkommen. Bey der zweyten Masse muß ich aber recht eigentlich auf Deine Hülfe rechnen. Sie wird mit einer Polemik gegen Kants Moral und M[oral] L[ehre] aus moral-polit[ischen] Prinzipien von Schleierm.[acher] eröffnen; eine Charak.[teristik] Kants von mir, und Ansicht der französischen φ, vorzüglich aber Philosophie der Physik, Affinität, Kombinazionen, gegenwärtiges Verhältniß beyder u.s.w. Schleierm.[acher] ist auch Chemiker und Physiker, indessen rechne ich doch hiebey vorzüglich auf Deine Hülfe. Darf ich dieß, so nenne ich Dich in der Einleitung der ersten Masse – unter Deinem angen.[ommenen] Nahmen als Mitarbeiter. – Du wunderst Dich vielleicht über die Verbindung und Absonderung dieser Gegenstände in die beyden Massen? – Die zweyte Masse soll <auf> Philosophie der Universalität, und Universalität der φ gehn, wie die erste ein Ideal der abstrakten φ enthalten wird.
Ists Dir möglich, so komm auf einige Wochen zur Huldigung. Ich habe einen kleinen Kreis von Menschen um mich der eine weitere Reise verlohnt.
Hältst Du Dir die Jahrbücher der Pr.[eußischen] Mon[archie]? Sonst werde ich Dir ein Exemplar von dem Stücke, worin Dein Aufsatz, schicken.
Schreib mir bald und öfter, und vor allen Dingen zürne nicht, daß ich nicht den ganzen Sommer in Deiner Nähe leben kann. Schreib mir doch einmal wie Dir Auguste vorkömmt. Du verstehst mich.
Fr. Schlegel
Sollte die Briefform Dir nicht sehr angemessen für philosoph.[ische] und andre Aufsätze seyn?
Gefällt Dir der Vorschlag einer epistolar.[ischen] Symphilosophie, so will ich Dir einen Grundriß derselben vorschlagen, versteht sich um die Freyheit zu organisiren nicht sie zu beschränken.
Metadata Concerning Header
  • Date: Montag, 28. Mai 1798
  • Sender: Friedrich von Schlegel ·
  • Recipient: Novalis ·
  • Place of Dispatch: Berlin · ·
  • Place of Destination: Freiberg · ·
Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 24. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Die Periode des Athenäums (25. Juli 1797 ‒ Ende August 1799). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Raymond Immerwahr. Paderborn 1985, S. 132‒135.
Language
  • German

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