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Friedrich August Wolf to Friedrich von Schlegel

H. 8 Jun. 98
Müßen Sie mich, mein theurer Freund, nicht für ganz entschlafen halten? In der That, so sehr ich mich kenne, hätte ich mir doch gegen Sie ein so ewiges Schweigen kaum zugetraut. Aber, wie Sie selbst denken können, die Sache ist so gegangen ἄνευ προαιρέσεως, und das Beste ist Alles zu vergeßen, und dergleichen – nicht mehr zu thun. Dieß ist denn für izt meine προαίρεσις, und ich will sehen, was ich dadurch gut machen kann, wenn Sie anders das Schweigen schlecht finden.
Aber wen solte auch ein solcher Wecker, als Sie mir unlängst schickten, nicht aus der Lethargie ausjagen? Ihre Schrift ist das erste Buch, das ich seit langer Zeit mit vorzügl.[ichem] Attachement und Eifer gelesen habe: es hat durch Sachen, Vortrag und Ton etwas (wie ein hiesiger Prof. sagt) so anzügliches, daß ich auch öfter dazu zurückkehren werde. Möchten Sie nur bald alles, was Sie bereits vor sich liegen haben, so verarbeiten, daß man daß Ganze übersehen könnte! Denn ohne eine Vorrede, die bei meinem Exempl.[ar] nicht ist, kann ich die Endpuncte schwer errathen, wo Sie stehen bleiben wollen, zumal da Sie die Römer mitaufgenommen haben. Doch es sind andere wichtigere Sachen, worüber ich gern noch Ihnen schreiben möchte, wenn Sie, wie ich gewiß hoffe, meine freimüthigste Art zu schreiben für die freundschaftlichste halten werden. Denn so innig ich Ihren tief eindringenden Blick ehre, so scheinen Sie mir doch hie und da weiter zu blicken, als ich die Möglichkeit eines sichern Erfolgs einsehe; an diesem und jenem andern Ort entging Ihnen vielleicht ein Datum, das dem Räsonnement eine andre Richtung gegeben hätte; zuweilen muß ich auch blos fragen, wie Sie gewiße Stellen meinen, und (damit ich Sie, wo möglich, ein bischen böse mache) so möchte ich in dieser Rücksicht mit einer Klage über die erste Periode anfangen, die gewiß doch nicht von Ihnen zur Mahlerei des historischen Dunkels bestimmt war. Allein ich weiß sogleich nicht, worauf deren geht, und auch in den übrigen Zeilen, den 4 ersten, sehe ich nicht recht helle. Lachen Sie nun, wenn Sie wollen, über den Anfang meiner Beurtheilung; aber gleichwohl müßen Sie mir den letzten Zweifel lösen: dann sollen Sie sehen, wie einig wir hingegen in vielen andern Dingen sind.
Vorizt laßen Sie mich noch ein wenig mit Ihnen schwatzen, um mich im voraus vor dem Eckel zu verwahren, den ich noch diesen Nachmittag in einem Concil. academ. haben muß. Wie glücklich sind Sie bei Ihrer gegenwärtigen Lebensart, die Ihnen so alle Zeit zu eigner Herrschaft überläßt und Narren, die weder amüsant noch belehrend sind, zu fliehen erlaubt. Daß Ihnen Heindorf gefällt, freut mich sehr, und das um sein selbst willen: denn er bedarf einen Wegweiser, um nicht einseitig zu werden. An Empfänglichkeit fehlt es ihm übrigens so wenig wie an ächter Herzens Güte. – Durch Spalding, der mir neulich einige angenehme Tage gemacht hat (möchten Sie ihm doch bald nachahmen!) erhielt ich das 1ste Stück Ihres Athenäums, wo Sie mich durch die Elegischen Fragm.[ente] in Wahrheit entzückt haben. Da sind Verse, die einer nordischen Seele das griech. Getön einschmeicheln, obgl.[eich] ein paar fast ganz Voßisch sind; Doch wuste sie Sp.[alding] zu vertheidigen. Auch die Kritik von dem Roman Pfarr hier, wiewol die vermuthl.[ich] ganz von Ihrem Herrn Bruder ist, hat meinen ganzen Beifall, und ist zugleich so geschrieben, daß unser Hans Hagel nicht sogleich Ceter rufen kann. Denken Sie, der Mensch hat sich vom Hermann verlauten laßen, so ein Gedicht mache er, wenn er sich zu dergl. herabließe, in 3 Wochen! Kann man die Unverschämtheit höher treiben?
Ähnlich ist diejenige des Hrn Schloßer in seinem Homer und die Homeriden: sie ist mit allzugrossen Ignoranzen obenein verbrämt. Der Mensch verdiente beinahe, daß man ihm andre Arbeiten recommandirte, als dergl. mit dem Alterthum! Aber das ist das Unglück, daß so viele nicht meinen, daß mehr dazu gehört, als eine Tinktur aus den Claßen mitgebracht. – Begieriger bin ich auf eine in Paris herausgekommene Schrift, wo mein Paradoxe litteraire sur Homere refutirt wird; So heißt wenigstens der Titel; das Buch ist bei Deker zu haben, wie man mir gesagt hat; aber nur ein entfernter Gelehrter erwähnte desselben in einem Pscript vor wenig Tagen erst. Hier ist es nicht zu haben.
Noch eine dringende Bitte. Wäre es Ihnen mögl.[ich], mir in kurzem, nur fürs erste den Twining wiederzuschicken? Den Pye könnte ich eher noch entbehren. Auf alle Weise bitte ich Sie daher, den erstern zu beschleunigen. Haben Sie wol nicht auf der Bibl. angeklopft, was von alten Commentatoren zur Poetik des Aristot. da ist, ob Madius, Piccolomin. und dergl. Leute?
Doch ich muß schließen, wenn ich nicht eine notam Prorectoralem verdienen will. Also ein herzliches Χαιρε καὶ ερρωσο.
F. A. Wolf.
<Vor 14 Tagen hatten einige bei der Univ. hier große Lust mich mit Klein zum Huldigungs-Deputirten zu wählen. Zu rechter Zeit besann man sich eines – Bessern, und so kommt Hr. Niemeyr. Um uns daher durchzusprechen, müßen wir Halle wählen>.
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Metadata Concerning Header
  • Date: Freitag, 8. Juni 1798
  • Sender: Friedrich August Wolf ·
  • Recipient: Friedrich von Schlegel ·
  • Place of Dispatch: Halle (Saale) · ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 24. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Die Periode des Athenäums (25. Juli 1797 ‒ Ende August 1799). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Raymond Immerwahr. Paderborn 1985, S. 136‒138.
Language
  • German

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