Montag
Ich bin in der Stadt, habe Geschäfte, Schleyermacher wird hier eßen; bis er kömmt, will ich Dir erzählen, daß ich gestern Reichardt’s Oper gesehen habe. – Du siehst, wie verführbar ich bin; ich hatte es mir erst fest vorgenommen, mit Dir hinzugehen. Ich wollte Dir schreiben, wie sie mir gefällt, aber ich weiß doch blutwenig darüber zu sagen. Während man es hört, kann man wohl eher sagen, dies oder jenes ist schön, auch habe ich mir wirklich einiges angezeichnet, was mir wohl gefiel, aber wer behält den Eindruck wohl noch so lange, daß er etwas darüber nachsagen könnte – besonders das erstemal! So eine bunte Musik muß man mehr als einmal hören. Einen bestimmten Totaleindruck kann diese Oper schon darum nicht machen, weil sie im ganzen keinen bestimmten Charakter hat; aber einzelne Stücke von großer Schönheit sind darin, die wohl schwerlich irgend ein anderer noch so machen wird. Die Leute sagen, es wäre zu viel Musik darin. Das habe ich nun nicht gefunden, mir war zu wenig darin, Musik nämlich; aber freilich zu lang ist alles – tädiös – es folgt nichts rasch auf einander, es wird nichts unterbrochen – so ausgesponnen und doch nicht ausgearbeitet, es dünkte mich ein paarmal unfertig, wie auf den Kauf fabricirt. Schon daß sie nicht recitirt wird, ist ein großer Mangel. Diese Art von Opern, halb Prosa und halb nicht Prosa, unterbricht das Ganze immer unangenehm. Die Musik scheint jedesmal entweder unnöthiger Weise anzufangen oder mal-à-propos aufzuhören, und es klingt nichts so lahm und so ganz gegen das poetische Wesen einer Oper als die ersten gesprochenen Worte nach einer Arie. Hingegen ist das Recitativ hohe, bedeutende Prosa, die sich sehr leicht und ohne Härte in einer höheren begeisterten Stimmung zur Poesie des Gesangs erhebt. Doch hier ist es mehr Gotter’s als Reichardt’s Fehler. Diese Musik hat weder so viel Grazie, noch so viel edle Zärtlichkeit, so viel Liebe, so viel Witz, Laune und Fröhlichkeit als seine Claudine von Villa-Bella. Für alledem hat er hier Vaudevilles, mit und ohne Variationen; diese bedeuten denn auch Naivheit, Brutalität – in manchen originellen Stellen wird man an die Hexenscenen im Macbeth erinnert. Caliban und der Page sind wohl am besten durchgeführt und am fleißigsten gearbeitet; im ganzen aber glaube ich nicht, daß er sich über sich selbst darin erhoben hätte, und es ist gewiß nicht von seinen besten Sachen. Was mich aber ordentlich ärgert, das ist: daß er seinen eigenthümlichen Genius zu verlaßen anfängt und theils in der Mozart’schen Manier, theils nach neuen italienischen Componisten arbeitet und das doch nur aus Eitelkeit, um in der Mode zu sein und dem Publicum zu schmeicheln – denn ich habe ihn sonst jene Meister sehr herunter machen hören – und das ist einem Künstler, wie Reichardt wohl sein könnte, sehr übel zu nehmen.
Was aber die Oper selbst betrifft, so ist es himmelschreiend, wie man mit ,dem Sturm‘ umgegangen ist. Gotter läßt einmal seinen lächerlichen Poeten im ,schwarzen Mann‘ sagen: Ich habe Shakespeare’s größtes Meisterstück umgearbeitet; da muß er offenbar seine ,Geisterinsel‘ damit meinen. Reichardt hat mit allen erdenklichen Blasinstrumenten nicht vermocht, nur einen Theil des Zaubers wieder hinein zu wehen, den der Dichter so ehrlich heraus gefegt hat. Prosper ist so zahmmüthig, daß er sich nicht zu zaubern getraut und sich für seine eigne Zaubereien fürchtet; Miranda hat sich sehr naiv in Gurli verwandelt; Fernando hört nicht auf, sich über sich selbst zu wundern; Caliban? – ein Regenfeuer aufs Theater? – da würden die Damen erschrecken – ein brutaler betrunkner Holzhauer ist weit natürlicher; Ariel hat Equipage bekommen, seitdem er so korpulent ist, und macht nur kleine Wege im Hause herum, zu Fuß. – Alles andre, Spiel und Decorationen und Gesang, sind nach advenant, und so erhebt sich die ganze Oper auf Flügeln der goldnen Mittelmäßigkeit nicht selten zur erhabenen Langenweile, die sehr leicht in Mittheilung übergeht.
Ich bin in der Stadt, habe Geschäfte, Schleyermacher wird hier eßen; bis er kömmt, will ich Dir erzählen, daß ich gestern Reichardt’s Oper gesehen habe. – Du siehst, wie verführbar ich bin; ich hatte es mir erst fest vorgenommen, mit Dir hinzugehen. Ich wollte Dir schreiben, wie sie mir gefällt, aber ich weiß doch blutwenig darüber zu sagen. Während man es hört, kann man wohl eher sagen, dies oder jenes ist schön, auch habe ich mir wirklich einiges angezeichnet, was mir wohl gefiel, aber wer behält den Eindruck wohl noch so lange, daß er etwas darüber nachsagen könnte – besonders das erstemal! So eine bunte Musik muß man mehr als einmal hören. Einen bestimmten Totaleindruck kann diese Oper schon darum nicht machen, weil sie im ganzen keinen bestimmten Charakter hat; aber einzelne Stücke von großer Schönheit sind darin, die wohl schwerlich irgend ein anderer noch so machen wird. Die Leute sagen, es wäre zu viel Musik darin. Das habe ich nun nicht gefunden, mir war zu wenig darin, Musik nämlich; aber freilich zu lang ist alles – tädiös – es folgt nichts rasch auf einander, es wird nichts unterbrochen – so ausgesponnen und doch nicht ausgearbeitet, es dünkte mich ein paarmal unfertig, wie auf den Kauf fabricirt. Schon daß sie nicht recitirt wird, ist ein großer Mangel. Diese Art von Opern, halb Prosa und halb nicht Prosa, unterbricht das Ganze immer unangenehm. Die Musik scheint jedesmal entweder unnöthiger Weise anzufangen oder mal-à-propos aufzuhören, und es klingt nichts so lahm und so ganz gegen das poetische Wesen einer Oper als die ersten gesprochenen Worte nach einer Arie. Hingegen ist das Recitativ hohe, bedeutende Prosa, die sich sehr leicht und ohne Härte in einer höheren begeisterten Stimmung zur Poesie des Gesangs erhebt. Doch hier ist es mehr Gotter’s als Reichardt’s Fehler. Diese Musik hat weder so viel Grazie, noch so viel edle Zärtlichkeit, so viel Liebe, so viel Witz, Laune und Fröhlichkeit als seine Claudine von Villa-Bella. Für alledem hat er hier Vaudevilles, mit und ohne Variationen; diese bedeuten denn auch Naivheit, Brutalität – in manchen originellen Stellen wird man an die Hexenscenen im Macbeth erinnert. Caliban und der Page sind wohl am besten durchgeführt und am fleißigsten gearbeitet; im ganzen aber glaube ich nicht, daß er sich über sich selbst darin erhoben hätte, und es ist gewiß nicht von seinen besten Sachen. Was mich aber ordentlich ärgert, das ist: daß er seinen eigenthümlichen Genius zu verlaßen anfängt und theils in der Mozart’schen Manier, theils nach neuen italienischen Componisten arbeitet und das doch nur aus Eitelkeit, um in der Mode zu sein und dem Publicum zu schmeicheln – denn ich habe ihn sonst jene Meister sehr herunter machen hören – und das ist einem Künstler, wie Reichardt wohl sein könnte, sehr übel zu nehmen.
Was aber die Oper selbst betrifft, so ist es himmelschreiend, wie man mit ,dem Sturm‘ umgegangen ist. Gotter läßt einmal seinen lächerlichen Poeten im ,schwarzen Mann‘ sagen: Ich habe Shakespeare’s größtes Meisterstück umgearbeitet; da muß er offenbar seine ,Geisterinsel‘ damit meinen. Reichardt hat mit allen erdenklichen Blasinstrumenten nicht vermocht, nur einen Theil des Zaubers wieder hinein zu wehen, den der Dichter so ehrlich heraus gefegt hat. Prosper ist so zahmmüthig, daß er sich nicht zu zaubern getraut und sich für seine eigne Zaubereien fürchtet; Miranda hat sich sehr naiv in Gurli verwandelt; Fernando hört nicht auf, sich über sich selbst zu wundern; Caliban? – ein Regenfeuer aufs Theater? – da würden die Damen erschrecken – ein brutaler betrunkner Holzhauer ist weit natürlicher; Ariel hat Equipage bekommen, seitdem er so korpulent ist, und macht nur kleine Wege im Hause herum, zu Fuß. – Alles andre, Spiel und Decorationen und Gesang, sind nach advenant, und so erhebt sich die ganze Oper auf Flügeln der goldnen Mittelmäßigkeit nicht selten zur erhabenen Langenweile, die sehr leicht in Mittheilung übergeht.