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Friedrich von Schlegel to Ludwig Tieck

Dresden, den 27. Juli 1798
Ich wollte Ihnen nicht eher schreiben, liebster Freund, bis ich Ihnen einigen Bericht über eine spanische Lectüre hier geben könnte. Bis jetzt ist aber noch nichts geschehn, weil ich dumm genug gewesen bin, mich in die Dummheit der Engländer recht sehr vertiefen zu lassen. Ich habe die Arbeit des Malone etc. über die Ächtheit und Chronologie der Shakspearschen Dramen durchgearbeitet, und wenigstens gelernt, wie wenig daraus zu lernen ist. Desto mehr finde ich in Shakspeares erotischen Gedichten (die ich in der Andersonschen Sammlung Englischer Dichter recht nett gedruckt beysammen fand) und in den sogenannten unächten Schauspielen zu lernen. Durch beyde ist mir ein ganz neues Licht über Shakspeare aufgegangen; und beyde haben mich auch beyläufig entzückt. Die ersten mehr auf eine subjektive Weise; d. h. ich bin dadurch gleichsam verliebt in Shakspeare geworden, und ich weiß mir fast nichts, was ich so ganz nach meinem innersten Gemüth liebenswürdig finde als Adonis und die Sonnette. Das Interesse an den Dramen ist objektiver, sie mögen nun von Shakspeare seyn oder nicht. Ich habe eine große Vorliebe für den Äschylus jeder Art, sollte sie auch noch so Gothisch und Barbarisch seyn. In dieser Hinsicht hat Locrin sehr großen Reiz für mich, wegen des Kothurns, und die grelle Lustigkeit dazwischen ist sehr grandios. – Ich halte es indessen für im höchsten Grade wahrscheinlich, daß sie alle von Shakspeare sind, die meisten noch älter als die erotischen Gedichte. – Ich habe denn doch die Englischen Bestien excerpirt, da ich sie einmal gelesen hatte, und wenn Sie die Reedsche Ausgabe von 93 und Malone’s Essais über die Chronologie noch nicht gelesen oder gehabt haben, kann ich Ihnen einige interessante Fakta mittheilen, wenn ich zurückkomme.
Wenn Sie nur vorher mit Ihrem Aufsatze über den Cervantes fertig würden! Sie glauben nicht, wie sehr ich es wünsche, Sie auch einmal über die Poesie poetisiren zu hören, und im Athenäum nicht bloß über Sie, sondern auch Sie selbst zu lesen. Ich setze Ihnen das Ende des August als letzten Termin. Sind Sie dann nicht fertig, so schreibe ich Ihnen druckend einen Brief über die spanischen Angelegenheiten, an die ich nun unverzüglich gehen will. Glauben Sie aber, daß Ihrem Geiste jede kritische Geburth nur durch die Zange entrissen werden kann, so geben Sie mir nur einen Wink, und Sie sollen unverzüglich eine epistola critica de novellis hispanis von mir erhalten und wir können dann nach Belieben mit der Correspondenz fortfahren.
Geben Sie nur bald Nachricht von sich und empfehlen Sie mich den Ihrigen. Ihre Schwester Alberti sah ich zweymal; zuerst vor Empfang des Briefs, wo sie, jedoch in aller Zärtlichkeit etwas ungeduldig war; dann nachher als die Sonne wieder schien.
Ich umarme Sie herzlich. Ganz der
Ihrige
Friedrich Schlegel
Das muß ich Ihnen doch noch sagen, daß Sie von wegen der Volksmährchen zwey Freunde haben, die Sie nicht kennen: Novalis und der Philosoph und Physiker Schelling, von dem ich Ihnen sagte.
Das Stück von Lope auf das Sujet von Romeo hat nicht diesen Titel. Welchen es hat, sagen die Canaillen nicht. – Die Puritanerin wollte mir im Anfang weniger zusagen, sie ist etwas schwer. Nun gefällt sie mir ganz vorzüglich.
Metadata Concerning Header
  • Date: Freitag, 27. Juli 1798
  • Sender: Friedrich von Schlegel ·
  • Recipient: Ludwig Tieck ·
  • Place of Dispatch: Dresden · ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 24. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Die Periode des Athenäums (25. Juli 1797 ‒ Ende August 1799). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Raymond Immerwahr. Paderborn 1985, S. 153‒154.
Language
  • German

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