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Friedrich von Schlegel to Caroline von Schelling

Berlin den 20ten Oct. 98
Der Brief über den Sh[akespeare] kommt auch dießmal noch nicht mit! Es soll mir lieb seyn, wenn Wilhelm schon so weit mit der Professur im Reinen ist, daß er ungeduldig darüber wird. – Dies verdammte Grübeln! - Nun, die Unverständlichkeit und Selbständigkeit soll dafür auch fertig werden wie ein Donnerwetter. –
Den Allmanach erwarten wir sehnsuchtsvoll. Marianne hat mir von vielem vieles gesagt, was meine Begierde noch höher spannt. Aber auch auf Nachrichten von dem alten Herrn bin ich begierig, auf trostreiche Worte und gute Lehre. Denn ich muß Ihnen nur sagen, ich habe ganz neuen und frischen Muth, meinen Versuch <über Meister> fortzusetzen, oder vielmehr zu endigen, gleich in einem Stück. – Hier betrachtet man mich als advocatum Diaboli. Ueberhaupt ist das Geschrey groß über uns, und unsre Frechheit. – Verschiedene sind der Herz (die Leute kennen also doch ihre Quellen) verschiedenemal zu Leibe und Seele gegangen, man wisse für gewiß, daß im nächsten Stück ein schrecklicher Angriff auf Garve erscheinen werde.
In der elenden Brochüre, so in Leipzig erschienen ist, gehts ganz aufs Athen.[äum] los, aber doch vorzüglich auf mich, auch noch auf die Fr.[agmente] im Lyceum. Kästner soll hieher geschrieben haben, wir hätten die xenialische Tendenz, die illiberale Humanität classisch zu machen. –
Hören Sie, Sie wissen, ich wollte auch etwas Allgemeines über die Griechen fürs Athen.[äum] schreiben. Es sollte ein Gespräch werden. Aber ich habe mir nun überlegt, daß es besser ist, diese Form Wilhelmen zu überlassen. Es wird mir leichter und anzüglicher seyn, wenn ichs in einem Frauenbrief an Sie thun darf. Ich kann leicht von Ihren Mysticismchens Anfang, Anlaß und Anstoß nehmen. Noch schöner ists aber, wenn Sie nebst der Einwilligung auch noch sich sacrificiren und die kritischen Griechen und die abgebrochne Poesie noch einmal lesen wollen und schreiben, wie es der Kritik auf Ihrem ganz menschlichen Richterstuhle bedünken will. Denn das ist ja eben der Punkt, worauf es ankommt. Wichtiger ist es aber doch, daß Sie mir melden ob Sie Caroline, oder wie Sie sonst heißen wollen. –
Hardenberg ist in Weißenfels. Besorgen Sie diesen Brief bald an ihn, und wenn Sie ihn sehn, so grüßen Sie ihn auch mündlich auf das liebevollste und zärtlichste. Und so Du [Wilhelm] ihn gesehn hast, schreibe alles, was gut ist zu wissen und zu schreiben. –
Hören Sie, ich habe, seit ich hier, auch einige Romane gelesen, und Richter hat dadurch bey mir sehr gewonnen. Er ist weit origineller, als Hippel, obgleich dieser sein Original ist. Er hat ihn eigentlich vernichtet, und überflüßig gemacht. Hippels Geist liegt übrigens in den Worten: „Ich liebe Minen in Tinen“. Auch Jacobi hat den Hippel viel gelesen. Der Eindruck ist mir nun ewig, Jacobi sey in der Weichlichkeit gebildet <bis zum Künstlichen>, und auf seine eigne Eitelkeit eitel, und wieder <auf dieß Eitelseyn> eitel bis ins tausendste Glied. – Das bischen Anmuth in Sterne sollten wir doch nicht zu ausschließend schätzen. Er scheint mir noch ärmer als Richter. An Smollet gefällt mirs am besten, daß es ihm so Ernst ist mit seinem üblen Humor. Swift finde ich am größten: sein Gulliver scheint mir so tief und systematisch, daß er wohl selbst nicht recht wissen mag, wie <göttlich> groß der Gedanke sey. Sonst würde er ihn nicht oft so jämmerlich gemein misbrauchen und behandeln.
Vom Richter kann ich also wie gesagt nicht ganz ablassen. – Dagegen glaube ich jetzt, daß Voß und Wieland der Garve und Nicolai der Poesie sind. Es giebt jetzt offenbar ein wirklich böses Princip, einen Ahriman in der deutschen Litteratur. Das sind sie, die negativen Classiker. Ihr Dichten und Trachten scheint mir nicht etwa nur unbedeutend und weniger gut, sondern ihre Poesie ist absolut negativ, so gut wie die französische von Corneille bis Voltaire. Sie hat gar keinen Werth, sondern wirklichen Unwerth, und muß also in Belagerungsstand erklärt werden. Und ich wünsche zu Gott, daß W[ilhelm]s Annihilazion des alten W.[ieland] nicht bloß ein Ey bleiben mag.
Noch habe ich nichts durch den Tod verlohren. Da haben Sie Recht. Ich könnte viel. Manches würde aber anders auf mich wirken, als auf Euer einen. Das macht, weil ich doch nur gleichsam in <und auf> dem lebe, was wir Welt oder Erde nennen. Mir kommt es vor, als finge die moderne Geschichte jezt noch einmal an, und als theilten sich alle Menschen von Neuem in Geistliche und in Weltliche. Ihr seyd Weltkinder, Wilhelm, Henriette, und auch Auguste. Wir sind Geistliche, Hardenberg, Dorothea und ich. Sie mögen Sich ihre Stelle selbst bestimmen, wenn es ihnen nicht misfällt, die Menschheit so mitten durch zu schneiden, und wenn Sie nicht wie Böttiger auf beyden Achseln tragen wollen, werden Sie Sich wohl entschließen müssen, wie die Tyndariden bald hier bald dort zu seyn.
Im Ernst, meine Religion fängt an aus dem Ey ihrer Theorie auszukriechen, und ich wünsche, daß Ihr Romänchen ihr bald folgen mag. – Es hat mir und ihr, der Religion nämlich, Muth gemacht, daß einige von meinen Gedanken über die Unsterblichkeit der Veit so unmittelbar und klar einleuchteten, wie Ihnen einige über Natur und Organisation.
Leben Sie wohl und schreiben Sie Briefchen und Romänchen.
Friedrich.
Fichte ist auch gegen mich so biderb und wacker, wie er überall ist. Wenn es von dieser Sorte noch einige mehr gäbe, so wäre es eine Lust zu leben und ein Deutscher zu seyn.
Eben kommt Pasemandi und der Allmanach. Beyde werden mir nun wieder Zeit kosten; indessen sind sie doch willkommen, auch der erste, da er einen Brief von Fichte bringt.
Henriette ist jetzt sehr liebenswürdig und liebt Sie auch, so weit es die Bewunderung zuläßt; kurz nicht weniger als billig ist. Warum dieß Jacobische Jetzt bei ihrem Liebenswürdig? – Weil sie etwas jetzt ist.
Wie viel Pfund Liebesbriefe wollt Ihr denn haben von der Alten? – Ich habe seit einiger Zeit nicht mehr gesammelt. Henriette, die Veit und Schleiermacher haben sie wechselweise bekommen. – Schl.[eiermacher] meynt eben, sie wären nur in Masse interessant. Ich schicke sie demnach mit Fracht. – Ich habe sie doch endlich durch Deutlichkeit zur Vernunft gebracht.
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Metadata Concerning Header
  • Date: Samstag, 20. Oktober 1798
  • Sender: Friedrich von Schlegel ·
  • Recipient: Caroline von Schelling ·
  • Place of Dispatch: Berlin · ·
  • Place of Destination: Jena · ·
Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 24. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Die Periode des Athenäums (25. Juli 1797 ‒ Ende August 1799). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Raymond Immerwahr. Paderborn 1985, S. 184‒186.
Language
  • German

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