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Friedrich von Schlegel to Caroline von Schelling

Berlin, den 29ten Oct. 98.
Bey Possemandi und beym Allmanach blieb ich letzthin stehn; da will ich also auch wieder anfangen. – Was Schiller betrifft, so bewundre ich nächst der heldenmüthigen Selbstentäußerung in dem Goethesken Prolog, der mir wie eine ausgehöhlte Fruchthülse vorkommt, nichts so sehr wie die Geduld. Denn um solche lange Drachen in Papier, in Worte und Reime auszuschnitzen, dazu gehört doch eine impertinente Geduld. Uebrigens erinnert mich sein Glück an sein Unglück, daß ihm die ästhetischen Briefe nicht rein herauskamen, und gestört wurden. Die <stecken> ihm nun im Geblüte, und die ganze Würdeanmuth ist auf die innern Theile gefallen. Auch vergeht selten eine lange Zeit, daß er sich nicht [in] einigen Gedichten, die aesthetischer als dichterisch sind, Luft macht. Wenn das erste Eilftel <seines Wallensteins> so Goethesk ist wie der Prolog, so bin ich auf alle eilf Eilftel nicht sehr begierig. Ich kann mir denken, daß eine so angestrengte Nachahmung bey dem Spiel und Anblick und erstem Eindruck täuscht: aber beym Lesen muß dann die Täuschung wegfallen. – Ich hatte gehofft, er würde etwa im dreyßigjährigen Kriege eine Mittelgattung zwischen seiner alten und seiner neuen Tollheit entdecken.
Unter G.[oethes] Sachen bete ich die Metamorphose absonderlich an; die schöne Müllerin, das versteht sich ohnehin. In der langen Idylle auf die Schauspielerin ist viel pittoreske Väterlichkeit. Alles, was Sie mir von Goethe geschrieben haben, ist schön und herrlich, daß er zufrieden ist, daß er die Ironie verstanden hat. Aber auch, daß Sie mirs so ordentlich geschrieben haben, und gleichsam Briefe mit mir wechseln zu wollen scheinen dürften. – Glück auf! Fahren Sie fort, ich bleibe jetzt regelmäßig bis um ein Uhr auf. Das giebt schon Zeit zum Schreiben.
Aber in der Art, wie ihr den Sternbald nehmt, kann ich weder ihm noch Ihnen beystimmen. Habt Ihr denn die Volksmährchen vergessen, und sagt es das Buch nicht selbst klar genug, daß es nichts ist und seyn will, als eine süße Musik von und für die Fantasie? – Von der Mahlerey mag er weiter kein Kenner seyn, außer daß er Auge hat, immer wie sein Franz in Gedanken an Gemählden arbeitet, und den Vasari über alles liebt. Ist denn Ariost wohl in der Kriegskunst gründlicher unterrichtet gewesen?
Possemandi habe ich, weil ers wollte, zu Bendavid geführt, ihm Nicolai’s Beschreibung von Berlin gegeben. Mehr hab’ ich nicht für ihn thun können, er wohnte weit; doch ging ich alle Tage hin <ohne ihn treffen zu können>, bis ich eines Morgens erfuhr, er sey die Nacht nicht zu Hause gekommen. Da er in die schöne Welt eingeführt war, so dachte ich, würde er die Gelehrten weiter nicht brauchen. – Doch sagt das Fichte nicht, <wenn er sehr bekannt mit ihm ist>.
Henriette ist nicht bloß voller Freude, sondern im Stillen sehr glücklich mit dem Gedanken, daß sie Euch willkommen ist. Ich denke auch, Ihr werdet sie von hier mitnehmen. – Was wird dann erst die alte Ungeheuern sagen und klagen! Sie strebt jetzt nach Stolz und anständiger Kälte. Indessen bin ich doch nicht ganz sicher, daß sie kein Recidiv von Zärtlichkeit bekommt. Der Himmel verhüte es!
Trostlos ist es, daß der liebenswürdige Mann so umthan ist. Sie wird Ihnen hart zu verdauen seyn. Er hat wie billig ein Mädchen; worüber [H. ?] eine kleine boshafte Freude hatte, wie sie es erfuhr. Nur sollte es eigentlich eine Jüdin seyn.
Henr.[iette] grüßt Euch alle herzlich. Ist <denn> das nicht merkwürdig genug, wenn Ihr eine solche Henriette bekommen sollt? – Und glauben Sie es nur, daß es eine Aufopferung ist, wenn ich sie weggebe. – Sie wollen noch mehr von meinen Entwürfen über meine Angehörigen wissen? – Für Sie und Auguste hatte ich ja schon in Dreßden mir etwas ausgedacht. Sie sollen ein Romänchen schreiben und Auguste soll reiten lernen. Das ist genug. Man soll immer nur für das nächste sorgen, sagt der Abbé Goethe; und das ist nun für Euch das nächste.
Tiecks Amli arbeitet jezt an einer neuen Magelone. Vielleicht ists also nicht bloß Mangel an Kunstsinn, sondern innerliche Fatigue, daß sie so oft einschläft.
Baggesen ist jetzt in Paris, und Humbold bemüht und quält sich ihn, weil er ein Genie sey, zu achten; hat mir auch ein Exempl.[ar] von seinem aesthetischen Versuch über Hermann assignirt.
Die Unzelmann hat neulich sehr artig nach W.[ilhelm] gefragt und an ihn gegrüßt. Leviathan fährt fort zu grüßen.
Marianne thut dicke mit Goethe, ist übrigens sehr elegant, sehr artig und unbedeutend genug.
Brinckmann ist in Paris unzufrieden und unglücklich.
Wenn ich doch bald einen Brief von Hardenb.[erg] erhielte! Ein Projekt habe ich indessen nicht für ihn, so wenig wie für mich selbst. Eins der reizendsten und nothwendigsten unter meinen Projekten wäre eine Pandora für Schleierm.[acher]. Ich wünschte, daß er, wenn wir einmal scheiden müssen, wieder eine gute Frau bekäme, die seiner würdig ist.
Hülsen heyrathet effectivement in einigen Wochen, und errichtet eine Erziehungsanstalt. Das ist nun also in Richtigkeit. Aber wo wird Schelling, der Granit, eine Granitin finden? Wenigstens muß sie doch von Basalt seyn? <Und diese> Frage ist nicht aus der Luft gegriffen. Denn ich glaube, er hat un tant soit peu Liebesfähigkeit. Will er die Le[vi], so will ich sie schicken. Er hat Eindruck auf sie gemacht. Von mir hat sie gesagt, ich hätte wie der Messias unter Euch gesessen und Ihr hättet mich auch ganz apostolisch behandelt.
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Metadata Concerning Header
  • Date: Montag, 29. Oktober 1798
  • Sender: Friedrich von Schlegel ·
  • Recipient: Caroline von Schelling ·
  • Place of Dispatch: Berlin · ·
  • Place of Destination: Jena · ·
Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 24. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Die Periode des Athenäums (25. Juli 1797 ‒ Ende August 1799). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Raymond Immerwahr. Paderborn 1985, S. 188‒190.
Language
  • German

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