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Friedrich von Schlegel to Caroline von Schelling

Den 27ten Nov.
Eine solide Antwort kann ich Ihnen heute nicht geben. Zwar Empfindungen und Gedanken genug. Aber nur Facta: Denn U.[nger] habe ich noch nicht ordentlich gesehn, seit W[ilhelm]s Antrage, Henriette war gestern auch nicht zu Hause, und von Vieweg ist da wieder ein Zettel, wo freylich eben nicht viel drin steht, außer daß er ein Lump ist, und daß W[ilhelm]s Brief ihn sehr in Schrecken gesetzt hat. Von diesem wünsche ich nun recht bald zu wissen, ob er V[ieweg] einen solchen Termin überhaupt gestatten will, und welchen längsten. Ich kann nicht klug draus werden, ob der Kerl wirklich noch hofft und hoffen will, oder ob er nur in Angst vor W[ilhelms] Dräuen ein deutliches vernehmliches Nein zu vermeiden sucht.
In unserm Hause ist nichts weiter vorgefallen, und es geht alles von selbst so wie Sie wollen und rathen. Für jezt ist alles in Vergessenheit versenkt, und er ist nachgiebiger und zuvorkommender gegen uns wie jemals, damit wir es nur bey jener Vergessenheit lassen, die für den Augenblick recht ersprießlich ist. Wir haben Hoffnung, daß er im Sommer in Handlungsgeschäften nach Paris geht. Geschieht das, so leben wir nicht nur hier oder in Dresden oder wo es sonst am besten, freyer und was mich betrifft fleißgünstiger, sondern der Weg zu dem Weitern bahnt sich dann wie von selbst. Daß wir mit nach Paris giengen, glaube ich nicht, wenigstens nicht fürs erste. – Doch wer weiß ob das nicht alles Gebäude in der Luft sind. Wäre das Projekt bloß seines, so würden wir keine Notiz davon nehmen, aber da Josef Theil daran hat, dürfen wir eher eine Hoffnung [hegen].
Es folgt nun für jezt eben weiter nichts daraus, als das eine, daß ich die Veit, ehe nicht alles in Ordnung ist, und sie frey, weniger als je verlassen darf. – Uns bürgerlich zu verbinden ist eigentlich nie unsre Absicht gewesen, wie wohl ich es seit geraumer Zeit für nicht möglich halte, daß uns etwas andres als der Tod trenne. – Zwar widersteht es meinem Gefühl ganz die Gegenwart und die Zukunft auszugleichen und zu berechnen; und wenn die verhaßte Ceremonie (welches aber nicht füglich, nicht möglich ist) die einzige Bedingung jener Unzertrennlichkeit würde, so würde ich nach dem Gebot des Augenblicks handeln, und meine liebsten Ideen vernichten. – Wenn ich aber davon und von allem übrigen wegsehe, so wäre schon die Verschiedenheit des Alters für mich Grund genug dagegen. Jezt da wir beyde jung sind, macht es eigentlich nichts aus, daß sie sieben Jahr älter ist. Aber wenn es ihr nicht länger anständig ist, meine Frau in diesem Sinne zu seyn, dann bin ich noch sehr jung, und werde, wenn ich mich <auch> ganz ohne Rücksichten wie ein Fremder beurtheile, eben so wenig ohne Frau leben als mich mit einer Gesellin begnügen können. Sie würde <wahrscheinlich> nicht meine lezte Liebe seyn, wenn sie auch meine einzige wäre; so wie ihre zu mir nicht ihre erste ist.
Alles was Sie mir darüber geschrieben, freut mich sehr und ist recht und schön. Schreiben Sie mir mehr und nehmen Sie Sich meiner an.
Vorgestern besuchte mich Hülsen, der aber schon wieder fortgereißt ist. Er hat mir sehr gefallen, und ich habe wohl [Lust] ihn einmal zu besuchen wie er mich einlud. Könnten wir nicht alle zu Ostern zu ihm reisen? Es ist sieben Meilen von hier. – An ihm hätten wir gewiß einen recht tüchtigen Mitarbeiter für das Athen[äum] gehabt. Er sagte mir von allerley, unter andern von einer Abhandlung über die Centralsonne; und ich denke, er wäre recht der Mann dazu, die Astronomie zu einer schönen Wissenschaft zu bilden. – Mit Fichte hat er einen närrischen Handel gehabt. Dieser sagt ihm, wie er nach Halle reißt, allerley über Homer an Wolf, daß er a priori auf dasselbe Resultat der Unächtheit der homerischen Poesie gekommen sey. Hülsen richtet es ehrlich aus. Nun darf man Wolf nur ein klein wenig a posteriori oder a priori kennen, um zu wissen, wie komisch ihm jene Meldung erscheinen mußte. Von diesen natürlichen Wolfischen Ironismen hat nun Fichte wiedergehöhrt und macht Hülsen Vorwürfe, er habe sein Vertrauen gemisbraucht, woran dieser gewiß nicht gedacht.
Wünscht man etwa, daß den schönen Wissenschaften das Fell über die Ohren gezogen werde, daß man sie mir anträgt? Ich acceptire sie, und bitte aber noch weitmehr um den IVten Theil von Kants kleinen Schriften, der mir längst offerirt und acceptirt, und ohne den ich die ersten nicht recensiren kann.
Hirt zugl. Ochsen antworte ich vielleicht ein paar Zeilen bey der nächsten Gelegenheit, wo ihn W.[ilhelm] mit Spott lauset. Eigentlich ist es gegen meine Maxime auf eine solche Anspielung auf Facta und Persönlichkeiten, die die litterarische Rechtlichkeit betreffen, nicht zu antworten. Indessen ist die Art freylich so elend, daß es fast unter aller Notiz ist.
Sehr, sehr lieb ist mirs, daß Ihr Henriette zu Euch nehmen und haben wollt. Eigentlich wäre es ein wahrer Jammer, wenn sie Gouvernante würde. Für Augusten wäre ihre Gesellschaft ein unersätzliches Gut, und sie könnte auch viel nützliches von ihr lernen. Woran sich die Sache eigentlich stößt, ist daß sie ängstlich wegen des Geldes, weil sie nun nach diesem häuslichen Erbrechen und in der Hitze des ersten Anfalls von Selbständigkeit, die Geldunterstützung, die sie bisher von Veit und Josef gehabt, nicht länger ertragen kann, und die Interessen ihres kleinen Capitals doch für die Bedürfnisse ihrer mäßigen Eleganz nicht ganz hinreichen. – Wenn Ihr ernstlich wollt, daß sie zu Euch kommen soll, so verschafft Ihr, wenn Ihr könnt, Gelegenheit durch eine Uebersetzung aus dem Englischen oder Französischen etwas zu verdienen. Sie kann es gewiß sehr gut, versteht sich was leichtes, einen Roman, Reisebeschreibung oder Des[gl.] etwas.
Ihre Comission soll gleich besorgt werden, und ob ich gleich wenig Geld habe, so dürfen Sie doch keines schicken.
Nehmt die Gemählde nur ja der Schrift nicht, wenn es seyn kann. W.[ilhelm] könnte immer gleich jezt an Hartknoch schreiben. Sollte es denn nicht möglich seyn, die Mitarbeiten unsrer Freunde dennoch aufzunehmen? Es geht mir sehr hart an. W. müßte dem Buchhändler – Hülsen – HardenbergSchleiermacher nennen. Wir gehören doch zu einer Centralsonne! – Ueberlegt es mit dem Geiste und mit dem Gemüthe. –
Für die Nachricht von Goethe danke ich schönstens, und bitte mir immer die Brosamen von Eurem Herrentische mitzutheilen. – Sie haben H[ardenberg]s Brief geöffnet, aber, wie es scheint, nicht gelesen: denn sonst hätten Sie doch wohl etwas Erstaunen über unsere Symbiblismen geäußert.
Augustens Ungestüm und Verlangen nach Henriette hat mich ganz bezaubert, sowie überhaupt ihr Brief. Küssen Sie sie auch einmal in meiner Seele, aber ohne das sie es weiß.
Metadata Concerning Header
  • Date: Dienstag, 27. November 1798
  • Sender: Friedrich von Schlegel ·
  • Recipient: Caroline von Schelling ·
  • Place of Dispatch: Berlin · ·
  • Place of Destination: Jena · ·
Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 24. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Die Periode des Athenäums (25. Juli 1797 ‒ Ende August 1799). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Raymond Immerwahr. Paderborn 1985, S. 201‒203.
Language
  • German

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