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Novalis an Friedrich von Schlegel

Freiberg: den 18.[sic!] Dezember 1798.
Soeben erhalte ich Deinen langen, reichen Brief – der mich von neuen lebhaft in Deine jezige, sorgenvolle Lage versetzt – Vielleicht könnte ich Dir thätigen Beystand leisten, wenn ich erst von hier weg wäre – Du weißt selbst, wie es um mich steht – ich lebe ein unsichres Leben – seit 2 Jahren hab ich nicht mehr für die Zukunft gesorgt – vieles vernachlässigt, was ich nicht mehr zu brauchen glaubte – mich so frey, als möglich, zu machen gesucht. Zufälle haben mich bisher erhalten – mit der größesten Fassung und in der heitersten Ruhe hab ich scheiden wollen. Jetzt scheint sich manches gegen meinen Plan zu verbinden – anstatt mich entbehrlich zu sehn – und werden zu sehn – fühl ich mich durch ein Gefühl von Pflicht an alte und neue Bekannte gebunden – ich fühle, wie nüzlich ich noch vielen sein kann, wie Kameradschaft mich zwingt, meine Lieben in diesem verwirrenden Zustande nicht zu verlassen, und jede Not dieses Lebens mit ihnen zu theilen. Wenn ihr alle glücklich wärt, so könnt ich getrost von dannen gehn; so aber darf ich mir ein so glückliches Schicksal nicht allein anmaßen. Dringt dies durch, so muß ich bald ein neues Leben anfangen – wo nicht – ein höheres. Der frühe Tod ist jetzt mein großes Loos – das Fortleben der zweyte Gewinn. Die Zeit meines Abgangs von hier ist entscheidend. Scheid ich, so hab ich es in der Gewalt – Dir einen kleinen Dienst zu thun – bleib ich – so sezt mich meine dann mit Macht erwachende Industrie gewiß bald in den Stand, Dir hülfreich zu seyn.
Deine Bitte hat mich von neuen in dem Vorsatz bestärkt, wo möglich, wenn ich fortlebe, ein reicher Mann zu werden, hoffentlich nach einem großen Plane – ich habe mich geärgert, so wenig nüzliche Bekanntschaften zu haben –
Wärst Du in Jena, so hätt ich noch eher Hoffnung, Dir gleich helfen zu können – wenigstens per tertium. Wenn Dir meine ganze Lage bekannt wäre – Du würdest Dich bald selbst von der temporellen Unmöglichkeit überzeugen, Dir jezt meinerseits zu helfen.
Die Ungewißheit der Zukunft nöthigt mich jezt zu einem Fleiße im Detail, der meine schriftstellerischen Projecte verzögert – besonders da jezt Kranckheit und andre Unannehmlichkeiten mich so sehr gestört haben und noch stören.
Seit 3 Wochen hab ich keinen ordentlichen Gedanken gehabt. Bis dahin bin ich sehr glücklich gewesen – Die Zeit kommt bald wieder – Schreibe mir nur je eher, je lieber, wie Du oder ein glücklicher Zufall – Dir geholfen hat – wer Deinen Proceß besorgt – kurz Deine Domestika.
Etwas Gutes hast Du mir geschrieben – daß das Athenaeum fortgeht – ich habe der Schwägerinn – deshalb geschrieben – sein Aufhören hat mich entsetzlich verdrossen – Mein neuer Plan geht sehr ins Weite – auf Ostern theil ich ihn Wilhelm in extenso mit. Bleib ich bey euch, so soll dieser Plan ein Hauptgeschäft meines Lebens werden – Er betrift
Die Errichtung eines litterairischen, republicanischen Ordens - der durchaus mercantilisch politisch ist – einer ächten Cosmopoliten Loge.
Eine Buchdruckerey – ein Buchhandel muß das erste Stamen seyn. Jena – Hamburg, oder die SCHWEITZ, wenn Frieden wird – müssen der Sitz des Bureaus werden. Jeder schaffte einige tüchtige Candidaten – Gemeinschaftlicher Fleis, gemeinschaftlicher Kopf – gemeinschaftlicher Kredit kann den kleinen Zündfunken bald vergrößern. Ihr sollt nicht mehr von Buchhändlern litterairisch und politisch gewissermaaßen dependiren.
Wer weiß, ob Dein Project nicht in das Meinige eingreift – und eben so den Himmel in Bewegung sezt, wie meines den irrdischen Sphäroid.
Man hat lange genug von solchen Projecten gesprochen. Warum sollen wir nicht etwas ähnliches auszuführen suchen. Man muß in der Welt seyn, was man auf dem Papier ist – Ideenschöpfer.
Auf Deine Gedancken von Religion und Bibel geh ich jezt nicht ein – kann auch nicht eingehn, weil mir das Meiste davon cimmerisch dunkel ist – einige treffliche Einfälle – besonders die Fühlhörner – ausgenommen.
Mündlich einmal mehr davon – oder schriftlich, wenn lesbare Bruchstücke fertig und gedruckt sind.
Ich weis nicht, ob ich Dir schon von meinem lieben Plotin schrieb. Aus Tiedemann lernt ich diesen für mich gebornen Philosophen kennen – und erschrack beynah über seine Aehnlichkeit mit Fichte und Kant – und seine idealische Aehnlichkeit mit ihnen. Er ist mehr nach meinem Herzen als beyde. Jemand hat mir gesagt, daß meine Entdeckung nicht neu, und schon in Maimons Leben diese wunderbare Uebereinkunft bemerckt worden sey. Warum ist aber alles still davon? In Plotin liegt noch vieles ungenuzt – und er wäre wohl vor allen einer neuen Verkündigung werth.
Zu dem Athenaeum im neuen Styl werd ich vielleicht litterairische Correspondenznachrichten im flüchtigsten, leichtesten Styl einschicken, wenn es wircklich noch so weit kommt – vielleicht kommt da gleich etwas von Plotin etc. mit hinein.
Schade, daß ich jezt noch so viel zu thun habe – Stoff zu interessanten Briefen hätt ich im Uebermaaß. Mit den romantischen Projecten muß ich auch noch eine Zeitlang zurückhalten –
Der Kaufmann ist jezt an der Tagesordnung. Chymie – und Mechanik oder Technologie im allg.[emeinen] Sinn müssen jetzt vorzüglich dran. Das Andre muß warten.
Lebe wohl –
Dein
treuer Freund Hardenberg.
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Briefkopfdaten
  • Datum: Montag, 10. Dezember 1798
  • Absender: Novalis ·
  • Empfänger: Friedrich von Schlegel ·
  • Absendeort: Freiberg · ·
  • Empfangsort: Berlin · ·
Druck
  • Bibliographische Angabe: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 24. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Die Periode des Athenäums (25. Juli 1797 ‒ Ende August 1799). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Raymond Immerwahr. Paderborn 1985, S. 208‒210.
Sprache
  • Deutsch

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