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Friedrich von Schlegel to Novalis

Berlin. Den 17ten Dec. 98.
Dein herrlicher, liebevoller Brief ist uns ein rechter Labsal gewesen: denn außer der, die wir selbst bilden, ist hier alles um uns Stickluft der Plattheit. Wir können uns ruhig und ohne Störung an Deiner Freundschaft freuen, da wir Deiner Hülfe wenigstens nicht so augenblicklich bedürfen. – Da ich zuerst schrieb, war alles in Gährung und ungewiß; dabey ich ohne Geld und ohne Mittel, und so tausend Zufälle, wo daran alles wäre gelegen gewesen. – Nun wird die Welt schon klar; heute sehe ich meine Freundin zum ersten Male in ihrer eignen Wohnung, und in kurzer Zeit ist sie geschieden. Es ist alles gütlich verhandelt, und auch der Punkt des Vermögens nach Billigkeit abgemacht. Darüber nachher noch mehr.
Diesen Winter bleiben wir noch hier; das Aufsehn scheun wir nicht, und es wird immer am besten gleich abgethan. Eigentlich heyrathen werde ich sie nicht: denn das ist die einzige Bedingung, unter der man ihr den jüngsten Sohn lassen will und lassen kann. Es ist mir auch viel lieber, wenn keine Ceremonien nöthig sind. Ich glaube ich habe Dirs noch nicht gesagt, daß ich auf diese Weise mit der Leibnizischen Philosophie in Verwandschaft gerathe. Meine Freundin ist nämlich durch einen sinnreichen Zufall die Tochter des alten Mendelsohn. Das ist eben der Stein des Anstoßes gegen jene Ceremonie. Denn durch eine Taufe würde die Familie mehr als billig beleidigt werden.
Den Sommer bleiben wir nicht hier, und ich denke wir werden in Dresden seyn. Wir wünschen sehr, Dich zu sehn! – Sollen wir etwa noch zu Dir nach Freyberg kommen ehe wir dorthin gehn, oder geht es in Dresden? – Du würdest Dich an ihr freuen, an einer Frau, die sich in einem so langen Elende ohne eine Stütze als die Energie der Verzweiflung mit dieser Würde emporgehalten hat, und nun mit dieser stillen Kraft daraus hervortritt. An äußrer Bildung und Zierlichkeit steht sie der Schwiegerin weit nach. Sie ist nur eine Skizze, aber durchaus in einem großen Styl. Ihr ganzes Wesen ist Religion obgleich sie nichts davon weiß. Wenn sie mich verlöhre, sie würde mir nach Indischem Gebrauch folgen aus eigentlicher Religion, und ohne zu ahnden daß das außerordentlich oder auch nur daß es recht wäre. Ich sage Dir das, weil ich es Dir nicht länger verhehlen mag, daß ich ihr Deine Mysterien mitgetheilt habe. Alle diese Gedanken und Ansichten sind ihrem Gefühl so nah, daß es mir unnatürlich schien, sie nicht einzuweihen. – Die Religiösität ihres Gefühls ist um so entschiedner, da ihr Verstand noch vom Unglück wie betäubt ist, und sie keine Begriffe hat. Laß uns bald wissen, wie es mit unserm Sehn und Wiedersehn seyn kann und seyn soll, und schreib mir auch bald Antwort auf den biblischen Brief.
Nun noch mehr Detail über die Oekonomie. Aus Deinem Brief scheint mirs, Du kannst nur jetzt nichts thun, vielleicht aber gegen Ostern oder so, eher und leichter.
Ihr eigent[hümliches] Vermögen wird deponiert und sie erhält davon nur die Interessen, hat davon mit dem was für den jüngsten Sohn ausgesetzt ist, jährlich 400 Thaler. Außerdem hat sie zwar über etwa 1100 Thaler frey zu disponiren. Von dieser Summe aber müssen wenigstens 500 Thaler auf den einzigen sehr möglichen Fall, daß sie eine große Krankheit bekommt, dergleichen sie mehrmals gehabt hat, unangebrochen bleiben. Sie hat für sich 200 Thaler Schulden und wir haben zusammen 200 Thaler, Die erste Einrichtung muß auch von diesem Capital bestritten werden. Da ich nun in Gemeinschaft der Güter mit ihr trete, und von nun an unzertrennlich mit ihr lebe: so ist es freylich sehr nothwendig, daß ich mich auch rangire, über dem sind zwey Reste von meinen alten Schulden, jeder zu 90 Thaler so alt, daß sie nun nicht viel länger warten können. Was aber das schlimmste ist, so würde es der Familie sehr auffallen, wenn sie ihr Recht so sehr gebrauchen, und viel mehr von ihrem eignen Capital gleich sich geben lassen würde, als man weiß daß sie für sich oder ihre eignen Schulden braucht. Dieß geht aus sehr vielen Rücksichten nicht an.
Kannst Du also vielleicht binnen hier und Ostern, oder wann es Dir sonst bequem ist, meine Bitte erfüllen, so bestätige und wiederhole ich sie.
Uebrigens kannst Du nun gewiß seyn, daß der merkantilische Geist mir hold seyn will, da ich nun nicht mehr blos für mich zu sorgen habe, da mein Leben nun nicht mehr ein Chaos ist, sondern Mittelpunkt und Form hat und neu auf festen Boden angeht. Damit muß ja aller Erwerb und Handel, ja das Eigenthum selbst anfangen: mit der Familie.
F[rie]d[rich]
Über das oekon[omische] bitte ich Dich gegen Caroline und Charlotte ein gänzliches Stillschweigen zu beobachten. Alles übrige wissen sie oder dürfen sie wissen.
Wirst Du nun auch zufrieden seyn, oder hätte ich ihr nichts von Dir sagen sollen? – Wir haben schon oft mit Thränen und mit Freude an Dich gedacht. Doch überwiegt in ihrer Seele der Schmerz.
  • Schlegel, Friedrich von  Brief  sich freuen  Novalis
  • Schlegel, Dorothea von  Brief  sich freuen  Schlegel, Dorothea von
  • Schlegel, Friedrich von  Begegnung  anregen  Novalis
  • Schlegel, Friedrich von  loben  Schlegel, Dorothea von
  • Schlegel, Friedrich von  charakterisieren  Schlegel, Dorothea von
  • Schlegel, Friedrich von  Geldsendung  erbitten  Novalis
  • Schlegel, Friedrich von  Diskretion  erbitten  Novalis
Metadata Concerning Header
  • Date: Montag, 17. Dezember 1798
  • Sender: Friedrich von Schlegel ·
  • Recipient: Novalis ·
  • Place of Dispatch: Berlin · ·
  • Place of Destination: Freiberg · ·
Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 24. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Die Periode des Athenäums (25. Juli 1797 ‒ Ende August 1799). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Raymond Immerwahr. Paderborn 1985, S. 214‒216.
Language
  • German

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