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Novalis to Friedrich von Schlegel

Freyberg: den 20sten Jänner. 1799
Auf Deinen lieben und mir so willkommnen Brief hab ich die Antwort lange genug aufgeschoben. Es war zu viel Vorrath da – und so stopfte sich die enge Zeit. Mein Bruder ist 14 Tage bey mir gewesen – wir waren in Dresden und ich brachte einige sehr glückliche Stunden bey Deiner Schwester zu. Du und Deine neuen Verhältnisse waren der Hauptgegenstand unsers Gesprächs. Ein Wunsch bleibt uns übrig – diese Verhältnisse auch bürgerlich sanctionirt zu wissen, wenn es möglich wäre – da die Unannehmlichkeiten nicht zu übersehen sind, die für euch daraus entspringen können. Die Ernsten sagte mir so Viel Gutes von Deiner Lebensfreundinn, und wir beyde wünschten uns je eher, je lieber zu Dir, um Sie persönlich kennen zu lernen. Nach Ostern seh ich Dich gewiß – wenn Du nach Sachsen kommst. Nach Berlin zweifle ich kommen zu können. Am Klügsten wär es, Du kämst nach Jena. Die Ernsten müßte auch hin kommen. Wir würden herrliche Tage verleben. Ich habe Dir viel zu sagen – die Erde scheint mich noch viele Zeiten hindurch festhalten zu wollen. Das Verhältniß, von dem ich Dir sagte, ist inniger und fesselnder geworden. Ich sehe mich auf eine Art geliebt, wie ich noch nicht geliebt worden bin. Das Schicksal eines sehr liebenswerthen Mädchens hängt an meinem Entschlusse – und meine Freunde, meine Eltern, meine Geschwister bedürfen meiner mehr, als je. Ein sehr interessantes Leben scheint auf mich zu warten – indeß aufrichtig wär ich doch lieber todt.
Ich belausche den Gang der Umstände – Seh ich eine Möglichkeit mich entbehrlich zu machen – stoß ich auf Hindernisse – so sind es mir Winke den ersten Plan auszuführen – und Karl oder Karlowitz hoff ich ersetzen meine Stelle. Wäre meine Gesundheit im Stande, so lebt ich <jezt> glückliche, wunderbare Tage. Julien war ein halb Jahr hindurch mit fürchterlichen Schmerzen gequält – man mußte das Aergste fürchten – Gerade in der schrecklichsten Zeit riß das Übel plötzlich ab und sie ist seit dem heilgen Abend gesund und heiter. Seit 2 Monaten hab ich wenig thun können. Angst, Zerstreuung, Geschäfte, Reisen und nun wieder Freude und Liebe haben mich außer Kranckheitszufällen ganz von der Feder entfernt. Jezt drängen mich technische Studien aller Art in den letzten Monaten meines Hierseyns. Ich sammle viel – vielleicht kommt auf den Sommer Zeit zur Ausführung. Die Schwägerinn wird Dir einen Brief von mir schicken, der Dir meine Hauptidee in der Physik zeigen wird. Baader hat neuerlich ein paar Bogen herausgegeben – über das pythagoraeische Quadrat in der Natur. nichts, wie derbe, gediegene Poesie, aber freylich in grobe Bergarten eingesprengt und schwer zu säubern und auszuhauen. Deine Verbrüderung mit Hülsen ist ein erfreuliches Zeichen. Solche Conjunctionen bedeuten glückliche, fruchtbare Zeiten.
Auf Deinen Roman bin ich sehr gespannt. Mir fehlts an allen Analogieen zur Voreinbildung desselben. Über Deine Ansicht der Religion möcht ich am liebsten mündlich mit Dir sprechen. Deine Meynung von der Negativitaet der Xstlichen Religion ist vortrefflich – das Xstenthum wird dadurch zum Rang der Grundlage – der projectirenden Kraft eines neuen Weltgebäudes und Menschenthums erhoben – einer ächten Veste eines lebendigen <moralischen> Raums.
Damit schließt sich dies vortrefflich an meine Ideen von der bisherigen Verkennung von Raum und Zeit an – deren Persönlichkeit – und Urkraft mir unbeschreiblich einleuchtend geworden ist. Die Thätigkeit des Raums und der Zeit ist die Schöpfungskraft und ihre Verhältnisse sind die Angel der Welt.
Absolute Abstraction – Annihilation des Jetzigen – Apotheose der Zukunft – dieser eigentlichen bessern Welt, dies ist der Kern der Geheiße des Xstenthums – und hiermit schließt es sich an die Religion der Antiquare – die Göttlichkeit der Antike – die Herstellung des Alterthums, als der 2te Hauptflügel an – Beyde halten das Universum, als den Körper des Engels, in ewigen Schweben – in ewigen Genuß von Raum und Zeit.
Mündlich dies Frühjahr von Deinen Domesticis. Vielleicht kann ich dann mit Dir wahrhaft nüzliche Verabredungen treffen – besonders wenn ich ausführlich von Deinem künftigen Lebensplane weiß.
Empfiehl mich Deiner Gattin herzlich und bleibe, wie bisher der treue Freund
Deines
Freundes Hardenberg.
Metadata Concerning Header
  • Date: Sonntag, 20. Januar 1799
  • Sender: Novalis ·
  • Recipient: Friedrich von Schlegel ·
  • Place of Dispatch: Freiberg · ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 24. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Die Periode des Athenäums (25. Juli 1797 ‒ Ende August 1799). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Raymond Immerwahr. Paderborn 1985, S. 219‒220.
Language
  • German

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