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Dorothea von Schlegel to Carl Gustav von Brinckmann

Seit 3 Wochen bin ich, nach vielen Contestationen, Scenen, – nach manchem Schwanken, und Zweifeln – endlich von V. geschieden, und ich wohne allein – aus diesen Schiffbruch, der mich von einer langen Sklaverey befreit, habe ich nichts gerettet, als eine sehr kleine revenue, von der ich nur äußerst sparsam leben kann, vielen guten, frohen Muth, meinen Philip, einige Menschen, mein Klavier, und das schöne bureau, den ich von Ihnen habe, und vor den ich Ihnen jezt schreibe – da haben Sie in wenigen Worten alles was ich nun besitze – aber wie soll ich Ihnen alles herrechnen was ich los geworden bin? – Jezt, jezt wünscht ich Sie wären wieder einmal in unsrer Mitte! Sie thäten mir grausames Unrecht lieber Freund wenn Sie nicht recht überzeugt wären, daß ich oft, sehr oft mit der freundschaftlichsten Theilnahme Ihrer gedenke, ich wenigstens, habe den festen Glauben, daß, wären Sie jetzt hier, ich dürfte Sie mit den zu der kleinen Zahl auserwählten zählen, die ich bei dieser Gelegenheit bewährt gefunden habe, und würdig meine Freunde zu heißen. O lieber Brinkmann! ich habe manche Menschen kennen gelernt bei diesen Vorfall, der meine ganze Wachsamkeit erforderte – meine lange Unthätigkeit verhinderte es bis jezt: es war mir nichts wichtig genug es zu untersuchen, nicht einmal die Menschen die sich meine Freunde nannten – wenn ich auch nur diesen Vortheil davon hätte, es wäre schon der Mühe werth! – Wie durch einen Zauberschlag kam mir Ihr Brief gerade jezt, in einen Moment, wo ich seit langer langer Zeit wieder einmal recht lebhaft, recht tief im Herzen das Bedürfniß fühle, alles was mir lieb, was mir werth ist recht eng um mich zu versammeln, und mich meines erworbnen, meines kostbaren Eigenthums zu erfreuen; wie eine freygelaßne, die nun erst etwas ihr eigen nennen darf, nachdem sie sich selbst angehört; und nun mit eifersüchtiger Sorgfalt es bewacht. Denken Sie sich mein Gefühl, so lange ich lebe, ist dies das erste Mal, daß ich von der Furcht frei bin, eine unangenehme Unterhaltung eine lästige Gegenwart, oder gar eine demütigende Grobheit ertragen zu müßen. Kaum fühle ich mich noch recht – noch bis jezt ist mir es wie einer, der lange eine große Last getragen, er glaubt sie noch zu fühlen nachdem er ihrer schon längst entledigt ist. Jezt bin ich was ich längst hätte sein sollen lieber Freund! jezt bin ich glücklich, und gut – keine Gruseley mehr, keine Beschämung vielleicht würden Sie mich auch nicht mehr so hart finden, ich lebe in Frieden mit allem was mich umgiebt! – Es war noch eben Zeit – hätte ich diesen lezten glücklichen Moment nicht fest gehalten, und benuzt, so wäre es dann zu spät gewesen, und – glauben Sie mir – ich hätte es nicht ertragen – was die Welt ein geehrtes Alter nennt, wäre für meine Überzeugung eine schmachvolles Alter gewesen, und dies wollte ich nicht erleben – mein Tod war beschloßen wenn ich hätte unwürdig leben müßen! Diese innere Nothwendigkeit hat mich bestimmt einen Schritt zu thun, der wie Sie län[g]st denken werden die öffentliche Meynung gegen sich hatt – vielleicht wird selbst bis nach Paris allerley drüber geschrieben werden – von allen Motiven die man mir unterschieben wird glauben Sie nichts, als was ich Ihnen hier darüber geschrieben – ich habe nach meiner Überzeugung gehandelt; daß ich es bis jezt <noch> nicht gethan habe, ist unverzeihlich von mir, zu meiner Vertheidigung kann ich nur das einzige anführen, das ich bis jezt meine Rechte eigentlich gar nicht kannte, die Freunde denen ich mich entdeckte nicht meiner Meinung waren so daß ich mich fürchtete ganz allein stehen zu müßen – Schlegel, Schleyermacher, und die Herz haben mich jezt redlich unterstützt – und nun erzählt man sich freylich vieles – Wären Sie doch hier lieber Freund! Unsre kleine Coalition hat freihlich recht viel Verstand – aber an Weltklugheit fehlt es uns beinah allen von Ihnen würde ich lernen – Ihren guten Rath würde ich oft in Requisition setzen! Daß Jette nach Wien reist um dort ihre Selbständigkeit an sich, und ihre Pädagogik an andrer Leute <Kinder> zu probiren, das wißen Sie vermutlich schon durch sie selbst – ich würde ihre Entfernung von mir nicht so ruhig zu gegeben haben, wenn ich nicht dächte, daß es ihr im Grunde doch nicht schaden kann ihre Kräfte zu versuchen, da sie besonders in so guten Händen geräth – daß sie so bald sie will zu mir zurück kehren kann, und es doch alsdann vortheilhaft für uns beyde sein wird, wenn sie gelernt hat etwas ernsthaftes auszuführen – ich werde doch auch auf irgend eine Unternehmung sinnen müßen, wodurch ich meine Einkünfte etwas verbeßere; und das können wir ja dann gemeinschaftlich beßer, als einzeln. Wären Sie doch hier, und könnten uns aussinnen helfen! wenigstens lachen helfen, über die tausend närrische Pläne.
So weit war ich mit meinen Brief an Sie ich versäumte die Post, und unter der Zeit erzählte mir ein Doktor Weishar aus Paris: „daß Herr v. Brinckman mit ihm an ein und denselben Tag aus Paris gereist, und wahrscheinlich jezt in Stockholm seyn würde – mein Brief mußte also liegen bleiben, wohin hätte ich ihn schicken sollen? und nun kömmt Ihr zweyter lieber freundschaftsvoller Brief! Dank recht herzlichen Dank mein geehrter Freund! Welchen frohen Eindruck hat er mir verursacht – wirklich ist mir jezt wie einem, der unter den Trümmern seiner zerstörten Hütte, <viel> Schätze und Kleinodien findet – wie unendlich reich finde ich mich, und jeder Tag bringt mir neue Freuden, und keine geht verloren! – – Sie wollen mir keinen Rath geben? Sie würden schon wollen müßen, wären Sie nur hier, der Rath eines Freundes wie Sie, der so schön Theil nimmt, und nicht urtheilt, und verurtheilt zugleicher Zeit, ist etwas kostbares das Sie mir nicht entziehen dürften – Ja wären Sie nur hier! – ich habe so ganz leise vernommen, daß es nicht ganz vergebliche Wünsche bleiben dürften, Sie vielleicht bald wieder hier zu sehen. – So ist denn ihre Ahndung nur zu gut eingetroffen armer Brinkman! Sie finden das nicht, was meine voreiligen Hoffnungen Ihnen als so gewiß verhießen. – So ist alles was ich dachte damals wirklich nur ein Traum? – Sie kennen mich, Sie werden wißen wie mir dabey zu Muthe ist – meine Trauer <gilt> aber nur <dem> allgemeinen <Unglück> lieber Freund! ich bedauere Sie freilich, daß Sie eine so schöne Zeit Ihres Lebens in Verhältnißen zubringen müßen, die Ihnen unangenehm sind, aber ich glaube doch noch immer, das Ihnen der Aufenthalt in Paris erstaunlich viel werth seyn muß, und daß Sie ihn am Ende doch recht gern mit einigen Unannehmlichkeiten werden erkauft haben – schmählen Sie nicht lieber Brinkman, über meinen Eigensinn, meine Sophistereyen, und was war es doch noch Alles! – Tüchtig schimpften Sie auf mich, wenn ich Ihnen sonst so etwas sagte; das Ihnen aber jezt Ihre Erfahrung mehr Recht noch zu schimpfen giebt, das hoffe ich soll Sie eben recht weich recht großmütig und vorsichtig machen! – Bald müßen Sie aber wieder her kommen wenn Sie mich noch finden wollen, es kann seyn ich verlaße Berlin in einiger Zeit; doch auf keinen Fall auf immer! – meine revenue ist sehr klein, und Berlin ist ungeheuer theuer, wenn man nur mit einiger Annehmlichkeit hier leben will! – Besonders möchte ich gern irgendwo hin wo es nicht so lange Winter ist, mir ist eine schönere Natur sehr nothwendig – und der Winter ist hier, hart, lang und ertödtent. – Sie sehen, ich schreibe Ihnen blos von mir Neuigkeiten, und was sonst noch für Sie intereßant wäre, das werden Sie wohl von Ihren geistreichen Correspondentinnen erfahren. Belohnen[?] Sie mich, und schreiben Sie mir nun recht viel von sich, und recht aufrichtig. F. v. Berg und ihre überaus liebenswürdige Tochter habe ich vorigen Sommer kennen gelernt; bey einer so kurzen Bekanntschaft habe ich aber genugsames Intereße gefunden, um zu bedauern daß wir uns nicht näher kommen werden. – Nichts Inerliches was uns trennt hoffe ich; bloß Conventionen, Stand und das Leben diesseits! –
Schlegel schreibt jezt vortrefliche Sachen; im Athenäum – einen Roman – das sind die wirklichen – Plane hat er unendlich, und auch zu lauter unendlichem. Welch eine vortrefliche Seele ist dieser Schlegel! von ihm Ihnen zu schreiben, wäre ein vergebliches Bestreben. Sie kannten ihn etwas, Sie ahndeten in dieser kurzen Bekanntschaft manches – wenn Sie aber so wie ich um ihn wären, und so nah der Entwicklung dieser reichen üppigen Fülle von Geist, Seele und Leben. Beneiden Sie mich immer um diesen Genuß – oder noch beßer kommen Sie und theilen Sie ihn – mit Tieck lebe ich viel, und schätze ihn ungemein hoch. Grüssen Sie doch Humbolds, den D. Veit und den Bildhauer Tieck, auch meinen Bruder wenn Sie ihn sehen. Humbolds ganz besonders. – Schlegel hat mir aufgetragen Sie herzlich zu grüßen, er schreibt Ihnen gewis bald.
den 2ten Februar 1799.
Die Ihrige D. V.
Metadata Concerning Header
  • Date: Samstag, 2. Februar 1799
  • Sender: Dorothea von Schlegel ·
  • Recipient: Carl Gustav von Brinckmann ·
  • Place of Dispatch: Berlin · ·
  • Place of Destination: Paris · ·
Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 24. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Die Periode des Athenäums (25. Juli 1797 ‒ Ende August 1799). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Raymond Immerwahr. Paderborn 1985, S. 223‒226.
Language
  • German

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