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Friedrich von Schlegel to Novalis

Länger darf ich Dir das Athen[aeum] wohl nicht vorenthalten. Es ist nicht recht, daß es schon so lange geschehn ist. Ich hoffte von einem Tage zum anderen, Dir ordentlich schreiben zu können; und das wird doch auch wohl heute nicht geschehn. In 14 Tagen bin ich die Lucinde los. Dann von neuem, jetzt nur provisorisch.
Wir denken viel an Dich, und haben uns sehr gefreut über Dein neues Leben. Laß mich bald mehr und recht genau wissen. Oder komme lieber selbst zu Pfingsten, wenn auch W[ilhelm]s hier sind. Sonst sehe ich Dich wohl nicht vor dem Herbst. – Wir bleiben noch ein Jahr in Berlin und haben uns eingerichtet. Was dann weiter geschieht, melde ich Dir nächstens.
Vor allen Dingen fordere ich Dich auf, etwas fürs Athen[aeum] zu geben. Hast Du nicht selbst schon etwas, so schlage ich Dir vor und bitte auf jeden Fall darum, mir kurze Notiz von dem Neuesten aus der Physik zu geben als Beitrag zu einem Artikel, der unter dem Titel Notiz oder einem ähnlichen Nachricht von dem, was wichtig ist, unter dem Neuen, fürs allgemeine, geben soll. – Ich werde einige der neuesten litteraer[ischen] Erscheinungen für mich ersehen, Tiecks Don Quixote, Schl[eiermacher]s Reden über die Religion, und vielleicht noch andre. Ich werde mir oft einen bestimmten Freund denken, z. B. bei jenen beiden Produkten Dich, um so den rechten Ton zu treffen, – als wenn ich Dir eine vorläufige Idee machen wollte. – Wenn Du über Ritter, Baader, Schelling doch auch so schreiben wolltest, als wäre es an mich oder sonst an einen, der nicht sehr viel davon weiß, aber wohl wissen könnte. – Ich meine, Du sollst Deine Idee von merkantilischem und ökonomischem Geist in der Litteratur hier ausüben und zeigen, und alles recht populär und zweckmäßig abfassen, übrigens aber ohne alle Form wie in einem Brief. – Wie sehr der ganze Artikel auf diesen merkantilischen Geist geht, siehst Du von selbst.
Habe ich nicht Hoffnung, daß Du mir eine Masse Papiere schickst? – Ich werde nun bald wieder mit ganzem Eifer für das Athen[aeum] arbeiten. – Vielleicht könnte ich vieles von Dir brauchen, zu mancherlei Compositionen, die ich im Sinn habe.
Daß Dich die Lucinde so interessirt hat, freut mich sehr. Auch gefällt mir das, was Du an Caroline darüber schriebst, noch mehr aber der göttliche Gedanke, den Staat als Ehe der gebildeten und ungebildeten – künftig der bildenden und der gebildeten – Masse zu betrachten.
Von meiner Religion sollst Du und alle Welt bald genug bekommen, nicht Bruchstücke, sondern Massen. – Möchtest Du doch bald wieder ein Glauben und Liebe offenbaren. – Weniges ehre ich so, und weniges hat so auf mich gewirkt.
Ueberhaupt fühle ich mich durch zwei Dinge nun unauflöslich an Dich gekettet – das ist die Religion und die Ehe. –
Ich stimme Dir bei, daß das Christenthum eine Religion der Zukunft [ist], wie die griechische eine der Vergangenheit, schon bei den Alten selbst. – Aber ist sie nicht noch mehr eine Religion des Todes, wie die classische eine Rel[igion] des Lebens? Mir däucht, ich finde darüber herrliche Andeutungen in Deinen gedruckten Sachen und was ich mich aus den Papieren erinnere. Es muß dies ungefähr auch Deine Meinung sein. Wenn [Du] doch die, die Du über das Christenthum hast, einmal in einem Brennpunkt sammeln wolltest! – Vielleicht bist Du der erste Mensch in unserm Zeitalter, der Kunstsinn für den Tod hat. – Ich glaube daß das Chr[istenthum] sich eben deßwegen, und weil Tod und Leben eins sind, sich mit dem äußersten Realismus behandeln ließe. Ich umarme Dich herzlich.
Friedrich Schl.
Grüße Carlowitz von mir.
Metadata Concerning Header
  • Date: Anfang März 1799
  • Sender: Friedrich von Schlegel ·
  • Recipient: Novalis ·
  • Place of Dispatch: Berlin · ·
  • Place of Destination: Freiberg · ·
Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 24. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Die Periode des Athenäums (25. Juli 1797 ‒ Ende August 1799). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Raymond Immerwahr. Paderborn 1985, S. 237‒238.
Language
  • German

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