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Friedrich von Schlegel to Caroline von Schelling

So sind die Menschen! Erst wohnen sie halbjahrelang einige Häuser weit von einander, sind fremd und unfreundlich, thun sich auch wohl gelegentlich allerley Herzeleid an, und dann nehmen sie mit einemmal Abschied von einander und sind gerührt, so wie die meisten erst dann glauben, daß sie todt sind, wenn sie wissen, daß man sie bald begraben wird. – So scheint nun auch Henriette zu fühlen, daß sie uns verläßt, obgleich es <eigentlich> schon viel früher geschehen ist.
Indessen ist es nun einmal meine Art oder Unart nichts vergessen zu können, und so schicke ich Ihnen denn das liebenswürdige Kind mit vieler Freude und Rührung. Ich habe geglaubt, sie sollte einmal zu uns gehören. Das wird nun wohl nicht geschehn, es müßte ihr denn schlecht <gehn>, oder sie müßte von selbst zu sich kommen. Eigentlich aber könnte ihr nur eins gründlich helfen, wenn sie nämlich gründlich verführt würde, aber recht gründlich.
Sehn Sie sie Sich selbst an, ob sie wohl zu uns gehört oder nicht. Freylich können Sie sie nicht in der närrischen Umgebung der gutschlechten Gesellschaft sehn, und müssen also prophetisch verfahren.
Doroth[ea] behauptet, ich hätte sie etwas geliebt. Sie hat Recht und Unrecht. Denn so liebe ich wohl jeden, der mir nicht gleichgültig ist.
Hier ist nun wieder etwas Lucinde. Ich wünsche bald darüber etwas von Ihnen zu hören, nicht eben reines Lob, aber auch etwas mehr als Urtheil; so ein weniges Etwas aus dem Gemüth. Lassen Sie Sich dabey auf nichts ein was nicht Ihres Gefühls ist, besonders nicht auf die Kunst, und glauben Sie es mir lieber vor der Hand, daß das Ganze eins der künstlichsten Kunstwerkchen ist, die man hat.
Wenn Sie uns sähen bey und mit der Luc.[inde], würde ich Ihnen vorkommen wie der wilde Jäger. Doroth.[ea] wie der gute Geist zur Rechten, und Tieck wie der böse zur Linken. Er vergöttert sie etwas und nimmt daher alles in Schutz, wobey Dor.[othea] schüchtern ist, und sie vielleicht tadeln würden.
Ihr kommt nicht! – Aber ich komme diesen Sommer noch auf einige Wochen mit Tiecks oder mit der kleinen Levi, die ihren Plan Eurer Schwäche wegen auch nicht gleich aufgiebt.
Wie sehr wir außer der Betrübniß aber ergrimmt sind, wird Henriette nicht ganz verschweigen. Tieck hat besonders geschimpft, und wirklich treibt Ihr die Schwachheit für Iffland und die sogenannte Schauspielerey sehr weit. – Tieck meynte unter vielen andern pikanten Sachen, W.[ilhelm] möchte doch den Sophokles übersetzen, damit Iffland ihn spielen könnte.
Schreiben Sie mir ja von Schelling, was Sie mögen. Wenn er mir auch nicht so höchst unbändig interessant ist, so ist es doch vielleicht Ihr Interesse an ihm. – Uebrigens <schien> mir allerdings der Mensch Schelling merkwürdig und gut, nur noch sehr roh. – Seine Philosophie an sich würde etwas sehr Ephemeres seyn, wenn er nicht in das neue Zeitalter eingreifen kann. Und ob er das können wird, darüber bin ich noch gar nicht im Reinen. Er schien mir nach uns hin sehr zu. Daß er mich vermuthen sollte, wäre eine überspannte Foderung. Aber Hardenb.[erg] einigermaßen zu verstehn wäre doch wohl seine Schuldigkeit, die er durchaus nicht erfüllt. Daß er für Tieck so viel Liebe hat, ist ein gutes Zeichen, aber er hatte ihn nur sehr gemein genommen. Daß er für Wilhelm bey so bewandten Umständen gar keinen Sinn hat, versteht sich von selbst. Nun genug von ihm. Uebrigens hatte ich ehedem geglaubt, er und Henriette wären eben gut genug für einander. Sie, versteht sich, immer noch etwas zu gut für ihn; aber so gehört sichs ja wohl?
Friedrich.
Metadata Concerning Header
  • Date: Sonntag, 7. April 1799
  • Sender: Friedrich von Schlegel ·
  • Recipient: Caroline von Schelling ·
  • Place of Dispatch: Berlin · ·
  • Place of Destination: Jena · ·
Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 24. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Die Periode des Athenäums (25. Juli 1797 ‒ Ende August 1799). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Raymond Immerwahr. Paderborn 1985, S. 264‒265.
Language
  • German

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