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Henriette Mendelssohn to Dorothea von Schlegel

d. 19ten.
Charlotte ist prächtig, wirklich einzig; von ihr hat uns Schlegel viel zu wenig gesagt. Sie ist voll lebendigem lieblichem Geist und spricht sehr verständig und wizig. Friedrich’s Augen, die übrigen Züge von Wilhelm. Der Ton der Sprache, und die Art sich auszudrücken ist eben so von beiden zusammengesetzt. Sie gefällt mir ungemein, und Dir gewiß auch. Sie will im Herbst nach Jena kommen, wenn sie nehmlich Dich dort findet. Sie rechnet sicher darauf.
Von allem was ich sonst in diesen beiden Tagen hier in Dresden getrieben habe, hörst Du aus Wien. Mein Italiener läßt mir nicht Zeit, es ist jetzt eine Stunde vor der Abreise, ich will noch zu Charlotten und mit ihr auf die Gallerie. Wer stirbt, ohne diese gesehn zu haben hat gar nicht gelebt. Und was habe ich gesehn? Von den beiden Tagen die ich hier war, war einer Sonntag, ich konnte nicht hin, und so war ich nur Sonnabend zweimahl da. Das reicht nicht hin ein einziges Blatt kennen zu lernen, wenn man so wenig unterrichtet ist als ich. Heute gehe ich blos hin um den Abraham des Andrea del Sarto zu sehn, der mir entgangen ist, und um von den Landschaften und dem Amor Abschied zu nehmen.
Noch eins muß ich Dir schnell erzählen: ich reise mit einem italienischen Kaufmann, der sehr wenig deutsch spricht. Und um den Juden und den Sachsen hier zu entgehen, ließ ich mich am Thor als seine Schwester nennen. Wie wir nun auf die Gallerie kommen, schreibe ich mich im Buche eben so ein, und nun denke Dir meinen Schreck, wie der Inspektor anfängt italienisch mit uns zu reden! Ich habe meine Rolle richtig durchgeführt, und zwar so, daß der alte Mann der Ernsten viel von mir erzählte. In Gesellschaft dieses Bruders war es freilich nicht schwer. Er hatte so wenig Sinn für diese Wunder wie mein Schuh! Dabei nennt er mich eine Filosofa, weil ich daran viel Gefallen finde. Während der Reise singt er, oder bläst das Posthorn, das er eigends gekauft. – Ich vermuthe daß Du mir nach Jena geschrieben, und daß mir Wilhelm Deine Briefe nach Wien schicken wird. Noch habe ich keine Zeile von Dir gesehn.
Ich will Dir erst in Ruhe von Wien aus schreiben, aber Hardenberg hat mich elektrisirt. Er läßt sich entschuldigen, daß er nicht geschrieben, und grüßt Schlegel herzlich. Ich thu’ es auch. Sein Hardenberg und seine Charlotte sind göttlich. Ich habe dem H. gesagt, daß er im Sommer nach Jena kommen würde; das freut ihn sehr. Lebt wohl! Was macht Philipp? Schreib mir nur. Adieu!
Deine
Jette.
Metadata Concerning Header
  • Date: Freitag, 19. April 1799
  • Sender: Henriette Mendelssohn ·
  • Recipient: Dorothea von Schlegel ·
  • Place of Dispatch: Dresden · ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 24. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Die Periode des Athenäums (25. Juli 1797 ‒ Ende August 1799). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Raymond Immerwahr. Paderborn 1985, S. 273‒274.
Language
  • German

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