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Friedrich von Schlegel to Johann Gottlieb Fichte

Ich habe Ihre Anfrage nach allen Richtungen überlegt, theurer Freund, und eile, Ihnen das Resultat meiner Ueberlegung mitzutheilen.
Es ist im höchsten Grade unwahrscheinlich, daß man Ihren Aufenthalt hier stören würde. Mehr läßt sich aber auch nicht sagen; denn wenn Etwas dagegen geschähe, so würde dies nur durch Willkür oder Zufall möglich seyn, die sich nicht im voraus berechnen lassen. Eine förmliche Anfrage ist durchaus unzweckmäßig, und würde eher Bedenklichkeiten erregen; und da wäre es denn leicht möglich, daß man zwar nicht geradezu eine abschlägige Antwort gäbe, aber doch eine durch viele Förmlichkeiten bedingte, weder Ja noch Nein, und am Ende doch Nein der Wirkung nach! – Ueberdies ist, streng genommen, eine solche Anfrage nicht wohl möglich; denn da es keinen gehörigen Grund gegen Ihr Hiersein gibt, so gibt es auch keinen gehörigen Ort, wo man danach fragen könnte.
Auf eine indirecte Art bei diesem oder jenem anzuklopfen oder anklopfen zu lassen, das halte ich für zu gefährlich. Denn ich glaube, daß der Erfolg der Sache davon abhängt, daß sie durchaus nicht eher bekannt wird, als sie geschieht.
Ich brauche auch keine weitern Erkundigungen einzuziehen, da ich durch Hülfe eines Freundes, auf dessen Verschwiegenheit ich unbedingt rechnen kann, und der die hiesigen Verhältnisse hinlänglich kennt, ziemlich Alles weiß, was uns zu wissen nöthig ist, nämlich die Vorsichtsmaaßregeln, die zu nehmen sind, wenn Sie den Versuch wagen wollen, von dem ich das beste Zutrauen habe, daß er glücklich gelingen wird.
Das Wichtigste ist, daß es durchaus nicht eher bekannt wird, ehe Sie wirklich hier sind. Wird es auch nur einen Posttag eher in Jena bekannt, als Sie abreisen, so wird es etwa durch Schützens an Gedike geschrieben, und durch diesen gleich zum Stadtgeschwätz gemacht. Was aber ein solches, Ihrer Ankunft voraneilendes, wer weiß wie entstelltes Stadtgeschwätz wirken könnte, läßt sich nicht berechnen.
Ferner muß ihr Hierseyn im Anfang ein so einfaches Ansehen haben wie möglich; es muß durchaus nicht gleich heißen, daß Sie für eine geraume Zeit zu bleiben gedenken. Es ist ja so natürlich, daß Sie eine Reise machen, um sich zu zerstreuen, – Sie sind zum Besuch hier, und ich glaube kaum, daß die Leute auf die Idee kommen werden, daß Sie für länger hier bleiben wollen.
Aus beiden Gründen halte ich es für besser, ja fast für nothwendig, daß sie zuerst allein kommen. Wie bald Sie Ihre Frau und Familie können nachkommen lassen, läßt sich freilich erst hier an Ort und Stelle beurtheilen. – Noch eine nöthige Vorsichtsmaaßregel ist die: kommen Sie nicht viel vor der Ankunft des Königs. Denn sobald es zweifelhaft würde, ob man Sie hier dulden wollte, wäre es vielleicht das Beste und Sicherste, sich an den König selbst darum zu wenden. Auch sind jetzt einige bei dem König, die Ihnen nützlich seyn könnten in diesem Falle. Der König ist den 12. Juli, sagt man, wieder hier. Dies ist nun nicht so zu verstehen, als könnten Sie nicht 8–14 Tage vorher kommen. Denn sehr unwahrscheinlich ist es, daß man gleich in den ersten Tagen etwas Entscheidendes gegen Sie thun werde. Es ist auch darum nöthig, daß Sie leise auftreten, damit auf den schlimmsten, sehr unwahrscheinlichen Fall, daß man Sie hier nicht duldete, so wenig als möglich verloren geht. Kommen Sie allein, wie zum Besuche, und man giebt Ihnen dann auch zu verstehen, daß man Ihr Bleiben nicht wünsche, so bleibt die Sache doch ganz geheim, was aber nicht der Fall ist, wenn Sie gleich ganz herziehen, und bald darauf wieder weg.
Würde es dann publik, so könnte es Ihnen auch ferner insofern schaden, daß dann vielleicht auch andere deutsche Staaten, mit denen Sie etwa nachher Ihr Heil versuchen wollten, an dem Verfahren des Preußischen ein Exempel nähmen, da dieser in der Sache der Confiscation unter allen am günstigsten für Sie sich entschieden hat. – Und dies, däucht mich, ist denn auch ein triftiger Grund, es zuerst hier zu versuchen.
Dies ist nun ziemlich Alles, was ich Ihnen vorläufig sagen kann. Sobald Sie wollen, miethe ich Ihnen eine hübsche chambre garnie auf einen Monat. Die Berliner Schwätzer sollen und werden Ihnen nicht beschwerlich fallen. Wissen doch auch wir oft kaum, daß wir in Einer Stadt mit ihnen sind. – Aber Ihre Erholungsstunden müssen Sie uns schenken, ich meine mich und meine Freunde, Tiek und Schleiermacher, besonders dem letztern. Gewiß Sie sollen hier leben, als gäbe es keine Verfolger und keine Klätscher in der Welt. Wir werden uns herzlich freuen, Sie in unserer Mitte zu sehen; Sie werden auf das Ungestörteste arbeiten können, und wir werden Sie in Ihren Erholungsstunden aufzuheitern suchen, so gut wir’s vermögen. Sie müssen auch mit uns essen, und es soll Sie Niemand sehen, wenn Sie nicht wollen. Wir leben ohnehin sehr einsam.
Leben Sie recht wohl, mein theurer Freund, und empfehlen Sie mich Ihrer lieben Frau. Sie wird sich schon das Opfer gefallen lassen müssen, einige Zeit ohne Sie in Jena zu seyn. Ich habe wohl daran gedacht, wie unangenehm es für sie seyn muß; aber ich habe doch nach bestem Wissen und Gewissen nicht anders rathen können. Vielleicht erlauben es die Umstände, daß sie Ihnen in kurzer Zeit nachfolgt; denn ich habe das beste Vertrauen.
Ihr
Fr. Schlegel
Wenn Sie kommen, wo werde ich für Alles Sorge tragen, was nothwendig ist. Es ist zu weitläuftig, dies auseinanderzusetzen! – Meine kleine Broschüre über Ihre Streitsache, die einzeln bei Unger gedruckt werden soll, wird in diesen Tagen fertig.
Metadata Concerning Header
  • Date: vor dem 24. Juni 1799
  • Sender: Friedrich von Schlegel ·
  • Recipient: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Place of Dispatch: Berlin · ·
  • Place of Destination: Jena · ·
Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 24. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Die Periode des Athenäums (25. Juli 1797 ‒ Ende August 1799). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Raymond Immerwahr. Paderborn 1985, S. 292‒295.
Language
  • German

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