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Friedrich von Schlegel to Friedrich Schleiermacher

Ich ward das letztemal eben unterbrochen, liebster Freund, als ich Dir noch einige Nachrichten von den Effekten Deiner Reden geben wollte. – Goethe hat sich mein prächtiges Exemplar geben lassen, und konnte nach dem ersten begierigen Lesen von zwey oder drey Reden gegen Wilhelm die Bildung und die Vielseitigkeit dieser Erscheinung nicht genug rühmen. Je nachläßiger indessen der Styl und je christlicher die Religion wurde, je mehr verwandte sich dieser Effekt in sein Gegentheil, und zuletzt endigte das Ganze in einer gesunden und fröhlichen Abneigung. Also ein neuer Beleg für die innere Duplicität dieses Mittels.
Hardenberg hat Dich mit dem höchsten Interesse studirt und ist ganz eingenommen, durchdrungen begeistert und entzückt. Er behauptet nichts an Dir tadeln zu können, und in so fern einig mit Dir zu seyn. Doch damit wird es nun wohl so so stehen. Er hat mir einen Aufsatz über Katholicismus verheißen; auch will er über Dein Buch mir etwas für Dich aufschreiben. Ich verspare also das übrige bis dahin, da ich ihn ohnehin nur einen halben Tag gesehn; und nichts gründlich mit ihm habe durchsprechen können.
Uebrigens ist allerdings in seinem Esoterischen, als Gesellschaft Freundschaft Ehe und dergleichen das leichtsinnige, gemeine und Chursächsische Element merklich mehr hervorgetreten.
Aber sein Geist ist nicht im mindesten zurück gegangen, also wird er wohl vorwärts gekommen seyn. Einseitig, ungerecht und verkehrt ist er genugsam, doch hat er darin keinen sonderlichen Vorzug vor andern.
Schelling geht es mit Deinen Reden fast wie Fichte’n. Jedoch hatte er Hochachtung, und sagte mir wenn Du nur etwa noch etwas des Inhalts oder der Art schriebest, oder auch etwas zur Vertheidigung der jetzigen Schrift, so wolle er dann damit anfangen, und hernach auch die jetzige Schrift gründlich studiren, die ihm wie Fichte’n sehr schwer zu lesen und zu verstehn wird. Er ist ungefähr eben so weit darin gekommen wie Fichte.
In dem Meßcatalog ist eben nicht viel von Bedeutung, auch nicht viel, was uns gute Hoffnung gäbe, ich meyne für die Notizen.
Die Fabel vom Herzog magst Du nur allenthalben wiedersprechen. Was er etwa darüber gesagt hat, wissen wir nicht und es geht uns nichts an: aber sagen lassen hat er uns nichts, und Goethe würde wenn es damit was auf sich hätte, sich nicht so günstig für die Teufeleyen geäußert haben wie er gethan hat.
Persönlich kann ich mit Schelling sehr gut fertig werden; ja ich habe sogar einen Anfall gehabt ihn zu lieben. Von seiner Naturphilosophie hält er beynah nicht mehr als billig, und übrigens arbeitet er im Stillen an ein[em] großen Gedicht über die Natur, und groß dürfte das wohl in jeder Rücksicht werden.
Wie groß erst die Ungeduld und dann die Freude über Dor[othea] war, kannst Du denken. Aus der ersten hast Du mich noch durch Deinen letzten Brief errettet, der mir sehr erfreulich war.
Nun habe ich gar keine Entschuldigung mehr, wenn ich nicht arbeite; daher sollst Du auch bald erhalten, was nöthig ist. Das verfluchte Lesen! Ich habe einmal wieder alle Italiänischen Dichter gelesen. Das schlimmere Denken nicht zu erwähnen.
Daß Fichte die Ideen lieset überrascht mich mehr als daß es mich freut. Die Form oder Unform wird ihm zu sehr wiederstehen. Ich werde ihm doch selbst darüber schreiben müssen. – Aber Freund Du hättest Unrecht, wenn Du nicht die Zeit nutztest. Das geht darauf daß Du in Deinem letzten Brief an Dor[othea] Fichte seit ihrer Abreise noch nicht wieder gesehn hattest.
Ich weiß nicht ob ich so viel auf Heindorfs Urtheil rechnen darf, daß er sogleich eingesehn hätte, daß ich – wie sich von selbst versteht – den Scherz über sein, Ruhen und Heirathen an Wolf nur gesagt um diesem Anlaß zu geben offen zu reden, und auf Heindorfs ausdrücklichen Heindorf. Fast scheints, er hat das nicht eingesehn, aber dann nimmt michs Wunder daß Du ihm nicht die Augen geöffnet. Grüße ihn herzlich. Hat der alte Herr es etwas schlechter von mir berichtet, so ist das etwas Katzenartig und gemein.
Lebe recht wohl.
Friedrich
Findet sich Gelegenheit, so schick mir doch Dor[otheas] Yorik’s sentimental journeys und meinen Lucrez. Doch der erste ist wichtiger.
Bey den Büchern von der A[llgemeinen]L[iteratur]Z[eitung] die mir Fichte mitbringen wird, bitte ich ja die erste Rede F[ichte]’s über die Denkfreyheit die auch in d[em] rothen Lessingschranke blieb, nicht zu vergessen.
Was ich noch sagen wollte. Du siehst nun also daß Du mit den eigentlichen φσ [Philosophen] durch die Reden nicht en rapport kommen kannst. Das thut auch gar nichts; da Du es aber doch wohl überhaupt wollen wirst, so wäre es ein Motiv, das über Spinosa oder auch das über die Gränzen der φσ [Philosophie] recht bald zu schreiben[.]+ Vielleicht würde auch dieses letzte nicht zu lang fürs Athen[aeum]?
+Hülsen geht immer mehr über die φσ [Philosophie] hinaus; den rechne ich also nicht[.]
Metadata Concerning Header
  • Date: Donnerstag, 10. Oktober 1799
  • Sender: Friedrich von Schlegel ·
  • Recipient: Friedrich Schleiermacher ·
  • Place of Dispatch: Jena · ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 25. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Höhepunkt und Zerfall der romantischen Schule (1799 ‒ 1802). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Hermann Patsch. Paderborn 2009, S. 10‒12.
Language
  • German

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