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Dorothea von Schlegel to Friedrich Schleiermacher

Jena 11ten 8br 99
Lassen Sie mich gleich zuerst meinen Schrecken und meine Besorgniß vom Herzen reden, wegen Jettens schrecklichen Unfall.
Noch hoffe ich die Hand soll nicht wirklich entzwey seyn! Arme liebe Jette! Ich bitte Sie darum mein Freund, sorgen Sie dafür daß Sie mir etwas schreibt so bald als es ihr Zustand erlaubt, damit ich ihrer Genesung gewiß werde. Ihr Brief und die Nachricht dieses fatalen Falls fand mich vorgestern Abend am Theetisch mit Schlegels, Schelling, und der Professorin Paulus; ich war herzlich vergnügt, ich hatte es beynah vergessen daß es Verdrüßlichkeiten in der Welt giebt, und da ward ich so plötzlich, auf eine so unangenehme Weise daran erinnert! Ich bitte Sie Schleyermacher haben Sie wenigstens Mitleid mit Seelenschmerzen, die im Glück empfindlicher wehthun als im Unglück, so wie ein gesunder Cörper weniger Schmerzen leiden kann als ein kränklicher, schreiben Sie mir aufs baldeste wie es mit ihr steht, ich bin sehr beunruhigt darüber. Muß sie Schmerzen haben, und mir geht es so wohl!
Ja Schleyermacher es geht mir wohl. Ich genieße einer schönen Ruhe, mit Geselligkeit verbunden; die Menschen begegnen mir mit Liebe und zuvorkommender Freundlichkeit, ich habe eine schöne Wohnung, kann jeden Augenblick in den schönsten Gegenden spazieren gehen – kurz denken Sie sich ein recht liebes Leben. Ich bin vom ersten Augenblick an, wie zu Hause gewesen, es war nicht einen Augenblick fremd zwischen uns; daher fällt auch die Gêne ganz weg die ich mir eingebildet habe mit fremden Domestiquen fertig werden zu müssen, sie sind wie meine eigne, und Caroline weiß mit der besten Art von der Welt, das Gouvernement mit mir zu theilen, dadurch daß sie mir eins oder das andre ohne allen Zwang verrichten lässt, so wie Thee machen, Kafee einschenken, die Stube aufräumen, heraus geben; diese Manier hat mich gleich vom ersten Tage an, wie Mittherrschaft betrachten lassen. Bis jezt leben wir noch ganz stille unter uns, ich habe noch gar keine Gelegenheit gehabt irgend ein anders Kleid als das gewöhnliche tägliche anzuziehen; und es soll wie man sich vornimmt den ganzen Winter so bleiben, den[n] Schlegels haben jede Gesellschaft, Club, Conzert, und alles öffentliche, aufgegeben. Ein jeder hat sein eignes wohl eingerichtetes kleines Quartier in demselben Hause, wir sind jeder allein, oder man besucht sich auch einander. Schelling ist Mittags Gast. Auf den Abend wird Italiänisch in der Communautät getrieben. Nemlich Dante. – Schlegels sind Meister, wir übrigen die Schüler. Gegen 10 Uhr, ist jeder wieder in seiner Clause. Tiecks Gegenwart wird nichts abändern, als daß statt dem Dante, oft irgend eine andre Vorlesung wird gehalten werden.
Caroline ist wirklich sehr liebenswürdig lieber Freund! Wäre sie es auch nur in dieser einzigen Rücksicht, daß sie die Wirthin so leicht, und in einer so angenehmen Manier macht, daß es jedem wohl im Hause werden muß. Sie ist es aber noch in mancher andern Rücksicht, sie ist dienstfertig, gefällig, und unermüdlich es einem jeden Recht zu machen. Sie spricht hübsch, manchmahl mit etwas Pathos, aber in der Gesellschaft zeichnet sie sich eben nicht durch Einfälle, oder Witz, aus, so wie sie überhaupt sich von ihren eigentlichen Verdiensten nichts merken lässt. Sie ist gewöhnlich in Gesellschaft, wie eine jede andre artige Frau. Vom Arroganz habe ich noch nichts gemerkt, das heisst, sie spricht, oder urtheilt nicht leicht von Dingen die sie nicht versteht, obgleich sie oft ein eignes Urtheil hat, und es zu behaupten sucht. Aber Capricen, und Launen, kommen oft mit einiger Heftigkeit zum Vorschein, doch weiß sie es gleich drauf mit sehr guter Art wieder vergessen zu machen wenn sie etwas hartes gesagt hat. Auch ist sie gar nicht so lebhaft und lustig, als man nach ihren Briefen schließen sollte; ob das nur momentane trübe Stimmung, oder wirklicher Hang zur Schwehrmuth ist, das kann ich noch nicht beurtheilen. – Die Levi sagte mir: sie sey sehr hübsch coquette gegen ihren Mann; daß möchte ich wohl folgender Weise einschränken sie ist sehr coquette! wirklich recht sehr aber doch auch hübsch, das kann man ihr nicht ganz nehmen. Zugleich stört ihre coquetterie die Gesellschaft nicht, weil sie nicht was man nennt ins blaue hinein coquettirt, sondern irgend einen Zweck zu ihrem End und Ziel macht und wer wäre dann nicht gern discret? da sie so bescheiden ist? Den Fehler der Frauen die so ins unendliche hinein coquettiren, den hat sie nicht, nemlich den: jede andre um sich zu verdunkeln; sie freut sich, im Gegentheil, mit jedes fremde Verdienst. Auch daß sie sich so in den Geschäfften und im Beruf, und in den Arbeiten des Mannes mischt, ist nicht ganz ihre Arroganz, sondern W[ilhelms] Schuld, der sie nicht selten gezwungen mit hinein mischt. Sinn hat sie aber gewiß für alles Schöne und Gute. Sie ist nicht schön, aber sehr angenehm und gefällig. Eine Art Gesicht, und sogar eine entfernte Aehnlichkeit von der Madame Waitsch, auch darin daß sie jugendlicher scheint als sie ist. sie hat braunes Haar, das sie kurz und kraus um den Kopf trägt, sie ist so groß als ich, aber ihre Figur ist feiner und grazieuser. in der Figur, und im Blick hat sie etwas von der cidevant Fraenkel, auch Schnitt und Farbe der Augen. Sie kleidet sich simpel aber nett, und in einen recht guten Geschmack; so ist auch die Einrichtung, und die Meubles im ganzen Hause, und so der Tisch, nett, reinlich, zierlich und einfach. Da sie sich alles was sie trägt selbst macht, so ändert sie ohne grosse Kosten ihren Anzug sehr oft, und erscheint immer frisch und niedlich, auch sizt ihr alles sehr gut. – Von der Gegend habe ich nicht recht viel geniessen können des Wetters halber. heute war ein leidlicher Tag, ich war auch draussen in einen Spaziergang der am Ufer der Saale angelegt ist, und der das Paradies heißt. Gegendbeschreibungen erwarten Sie wohl nicht von mir, aber sie können denken, was eine angenehme gebirgige Gegend für eine Berlinerin ist! auf dem [Wege] von Leipzig hierher, sind die Gegenden so romantisch und groß, daß ich mir nicht gut denken kann, wie die Schweiz, oder schlesische Gebürge einem etwas erhabeneres zeigen könnte, und zugleich so lieblich und wohl thuend. – Jena selbst ist eine häßliche Stadt, aber ich sehe sie nicht viel, wir wohnen alle in einer Art von Hinterhause, alle Fenster gehen nach dem Hofe zu. Ganz Unten wohne ich, eine Treppe hoch Caroline, dann Wilhelm und zulezt ganz in die Höhe wohnt Friedrich. Die Art wie der Ehestand zwischen den beyden existirt, ist (die ewigen ängstlichen Neckereyen und Zankereyen abgerechnet) recht so wie ich es mir unter gebildeten Menschen denke; nemlich es ist nicht viel vom Sakrament zu merken; sie leben mehr als liebende Freunde zusammen, die freywillig zusammen sind. Mir sind aber die manchmahl gar weit gehenden kleinen Zänkereyen ängstlich, Caroline lacht mich deßwegen aus, aber ich muß jedesmahl fortlaufen wenn so etwas vorkömt.
Denken Sie sich, ich war auf dem Wege von Leipzig hierher einen Mittag in Weissenfels. Ein gewisser Doctor Lindner der mit mir fuhr, besuchte Hardenbergen, und ich habe nichts dazu gethan ihn zu sehen, so begierig ich auch war. Lindner durfte es ihm gar nicht einmahl sagen daß ich dort wäre. Er kömt mir erschrecklich paradox und eigensinnig vor nach allem was ich von ihm höre; Er ist ganz toll in Tieck, und in seine Frau, als Tiecks Frau verliebt, und verachtet alles übrige. Alles übrige sagt man. Wie lange dieses Delirium anhalten wird, weiß man nicht zu sagen. Enfin mir hat aber sein Wesen, das ich schon immer ahndete eben keinen Muth gemacht, ihn mit einem Schritt zuvorzukommen, um seine Bekanntschaft zu machen. Ungeheuer aber ist es, daß Goethe, hier ist, und ich ihn wohl nicht sehen werde! denn man scheut sich ihn einzuladen, weil er wie billig das besehen haßt, er geht zu niemand als zu Schiller, obgleich Schlegels und Schelling ihn täglich auf seiner alten Burg besuchen in der er haußt; bis die andre Woche bleibt er nur hier. Zu Schiller geht man nicht, also: ich werde in Rom gewesen seyn ohne den Pabst den Pantoffel geküsst zu haben. Es ist Unrecht und was noch mehr ist, dumm, und was noch mehr ist, lächerlich; aber man kann mir nicht helfen!
Aus Leipzig konnte ich Ihnen nicht schreiben ich hielt mich nur einen Tag dort auf, hatte kaum dort Ruhe und Raum mein Haupt nieder zu legen, vielweniger zu schreiben. obgleich ich nur ein kleines Kämmerchen in den ich mich kaum herum drehen konnte, und ein Bett mit Philip zusammen hatte, so war es doch so theuer, daß ich lieber nicht auf Gelegenheit wartete, und den Sonnabend früh gleich mit einen gemietheten Wagen fort reißte, die Wege waren aber vom Regen so schlecht geworden, daß ich erst den Sonntag Mittag hier anlangte. Nachdem man mich schon viele Tage erwartet hatte, kam ich endlich doch unerwartet; aber wie mein Herz immer stärker klopfte, als ich zuerst die Spitzen der Berge sah die Jena einschließen, dann von den Bergen es im Thale lange sah, ehe ich es erreichte und dann das Thor, die Straße, das Haus, und ich nun ausstieg und fremd war, und Friedrich endlich die Stufen herab kam, leise und bedächtig, als wäre er gar nicht ungeduldig, dann Caroline mit Freundlichkeit – – es war eine eigne Empfindung!
Alles dies lieber S[chleyermacher] war nun schön und erfreulich – Mit Friedrich, der mir immer lieber wird, jemehr ich andre neben ihn sehe will es nur nicht so recht fort, das Arbeiten wird ihn immer schwerer, und er dadurch immer betrübter. Ich hüte mich ihn meine tiefe Besorgniß blicken zu lassen, weil das ihn völlig niederdrücken würde, auch Wilhelms sind mit mir darüber einverstanden, daß man ihn nicht quälen dürfte, und man läßt ihn in Ruhe das ist wirklich das einzige was man für ihn thun kann, damit er nicht zerstört werde. Wilhelm hatte auch einmal eine solche Zeit hat er mir selber erzählt, und darum hofft er, es würde sich mit Friedrich auch noch ändern.
Eine Uebersetzung für mich zu finden ist auch schwehrlich zu hoffen, Wilhelm der künftige Woche nach Leipzig reißt will es versuchen, auch Caroline will ihr Bestes dabey thun; sie geben mir aber eben nicht die beste Hoffnung; es wäre jezt nicht die Zeit dazu, sagen sie, und es wären schon zu viel andre im Besitz dieser Unternehmungen. – Wie soll das noch werden? – Es scheint die Berliner können nicht ruhen – sie können eben so wenig ein Leben als einen Roman sich ohne geschloßnen Schluß denken, und nehmen nun gar bey mir die heilige Taufe als völligen Ruhestand und Auflösung an. Wie wäre es wenn sie mich todt seyn liessen? so wären sie aus der Ungewissheit, und mir geschähe auch kein kleiner Dienst damit. – Wenn Sie Jonas gesehen haben, so schreiben Sie mir von ihn lieber S[chleyermacher] – Philipp ist geschwind genug der Liebling des ganzen Hauses geworden, und beträgt sich, als hätte er von je her in Jena gelebt, er geht die Woche ein paar mal auf eine Zeichen Akademie für Kinder; die andre Woche soll er auch in die Schule. Ich kann nur noch niemanden haben, der mich zu dem Herrn Erzieher führt, es kennt ihn niemand. – Die Fichte habe ich besucht, Gott bewahre uns! wie konnte der Mann seinen Mangel an Poesie so beurkunden! Ehrlich, und gutmüthig aber ist sie gewiß.
Grüssen Sie Fichten von ganzen Herzen in meinen namen, sagen sie ihm, ich hätte seiner Frau versprochen, er würde mit den Anfang des künftigen Monats hier seyn, und sie hat diese gute Nachricht mit freudigen Thränen empfangen. Leben Sie wohl.
DV
Nächstens schreibe ich der Herz[,] dieser Brief denke ich mir, ist mit für sie. Tausend Grüsse[.]
Metadata Concerning Header
  • Date: Freitag, 11. Oktober 1799
  • Sender: Dorothea von Schlegel ·
  • Recipient: Friedrich Schleiermacher ·
  • Place of Dispatch: Jena · ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 25. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Höhepunkt und Zerfall der romantischen Schule (1799 ‒ 1802). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Hermann Patsch. Paderborn 2009, S. 12‒15.
Language
  • German

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