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Dorothea von Schlegel to Friedrich Schleiermacher

Jena 15ten Nov. 99
Lieber Freund es ist nicht recht daß Sie so selten schreiben. Hardenberg ist hier auf einige Tage. Sie müssen ihn sehen, denn wenn Sie 30 Bücher von ihm lesen, verstehen Sie ihn nicht so gut, als wenn Sie einmal Thee mit ihm trinken. Ich rede nur von der reinen Anschauung, zum Gespräch bin ich gar nicht mit ihm gekommen ich glaube aber er vermeidet es; er ist so in Tiek, mit Tieck, für Tieck, daß er für nichts anders Raum findet. Enfin ... mir hat er’s noch nicht angethan. Er sieht aber wie ein Geisterseher aus, und hat sein ganz eignes Wesen für sich ganz allein, das kann man nicht leugnen. Das Christenthum ist hier a l’ordre du jour; die Herrn sind etwas toll. Tieck treibt die Religion wie Schiller das Schicksal; Hardenberg glaubt, Tieck ist ganz und gar seiner Meynung; ich aber will wetten was einer will sie verstehen sich selbst nicht, und einander nicht.
Nun Hören Sie!
Gestern Mittag bin ich mit Schlegels, Caroline, Schelling, Hardenberg, und ein Bruder von ihm Lieutenant Hardenberg, im Paradise (so heißt ein Spaziergang hier) wer erscheint plözlich vom Gebirg herab? kein andrer als die alte göttliche Ex[c]ellenz, Goethe selbst, er sieht die große Gesellschaft, und weicht etwas aus, wir machen ein geschicktes Manöver, die Hälfte der Gesellschaft zieht sich zurück, und Schlegels gehen ihn mit mir grade entgegen. W[ilhelm] führt mich. F[riedrich] und der L[i]eutenant gehen hinter drein. W[ilhelm] stellt mich ihn vor, er macht mir ein auszeichnendes Compliment, dreht ordentlicher Weise mit uns um, und geht wieder zurück und noch einmal herauf mit uns, und ist freundlich und lieblich, und ungezwungen und aufmerksam gegen Ihre gehorsame Dienerin. Erst wollte ich nicht sprechen, da es aber gar nicht zum Gespräch zwischen ihn und W[ilhelm] kommen wollte, so dachte ich, hohl der T. die Bescheidenheit, wenn er sich ennuirt, so habe ich unwiederbringlich verloren! ich fragte ihn also gleich etwas, über die reissenden Ströhme in der Saale, er unterrichtete mich, und so ging es lebhaft weiter, ich habe mir ihn immer angesehen, und an alle seine Gedichte gedacht; dem W[ilhelm] Meister sieht er jezt am ähnlichsten. Sie müßten sich todt lachen wenn Sie hätten sehen können wie mir zu Muthe war, zwischen Goethe und F[riedrich] zu gehen. Die Wasserprobe des Unmuths habe ich ehmals glücklich überstanden, werde ich auch die Feuerprobe des Uebermuths überstehen? – An Friedrich machte er auch ein recht auszeichnendes Gesicht wie er ihn grüsste, das freute mich recht.
Lieber S[chleyermacher] seyn Sie so gut und sagen Sie der Bernhardi, Caroline hätte ihr M[a]n[u]sc[ri]pt an Becker geschickt, und zugleich ihre Addresse geschrieben, er wird also alles fernere mit ihr unmittelbar ausmachen. Wegen dem Mährchen werde ich ihr nächstens schreiben. Sie mag mir verzeihen daß es noch nicht geschehen ist, ich habe viel zu thun, und kann die Morgen wegen ewigen Kopfweh nicht nutzen. nur wenn ich mich des Morgens recht ruhig halte, vergehen Sie. aber Zeit wird mir knapp, nicht minder Geld – – – bestellen Sie es ihr mein lieber Freund.
Denken Sie sich meine rasende Freude, ich habe ein hübsches Lied zu meinen Roman gedichtet, es gefällt allen recht wohl.
Wollen Sie mir nicht schreiben und nicht meine Aufträge besorgen? hassen Sie mich? Grüssen Sie Jetten, für sie ist dieser Brief mit. nennen Sie es nur einen Brief, obgleich er es nicht verdient, ich habe keine Zeit ich schwöre es Ihnen.
Dorothea.
Metadata Concerning Header
  • Date: Freitag, 15. November 1799
  • Sender: Dorothea von Schlegel ·
  • Recipient: Friedrich Schleiermacher ·
  • Place of Dispatch: Jena · ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 25. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Höhepunkt und Zerfall der romantischen Schule (1799 ‒ 1802). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Hermann Patsch. Paderborn 2009, S. 22‒23.
Language
  • German

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