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Dorothea von Schlegel to Rahel Varnhagen

Jena 18ten November -99
Ich wollte Sie hätten die Briefe bekommen die ich Ihnen recht eigentlich und im ganzen Ernst im Herzen addressirte, so hätte ich ein gutes Gewissen. Das schlechte Gewissen will ich aber auch nicht länger behalten – Es geht mir gut hier meine Freundin[.] Wie Sie richtig bemerkt haben, ich verlange nichts weiter als vergnügt zu seyn! Wäre ichs nun hier nicht, so könnte mir nimmer mehr geholfen werden. Wie sollte mir nicht wohl seyn? wenn auch nur in dieser einzigen Rücksicht, daß ich mit keinen Menschen umgeben bin, die bloß das zu schätzen wissen was ihnen durch Tradition als schätzbar bekannt ist, sondern: hier steht ein jeder seinen Mann! – Und mit welchen Menschen lebe ich! In den 6 Wochen die ich nun hier bin, habe ich noch nicht ein einzigs Wort gehört, daß mir eine unangenehme Empfindung gemacht hätte. Mit Carolinen bin ich sehr zufrieden, ich bin du dernier bien mit ihr, und das ist nicht so etwas leichtes; denn sie schmeichelt nicht ein einzigsmal, und thut dergleichen nie aus reiner Gefälligkeit, ich mußte also von ihrer Seite eine etwas scharfe Prüfung ausstehen, eh sie mir gut ward, freundlich war sie aber von Anfang an. Was mir aber sehr schätzbar an ihr ist, das ist ihre zwar etwas harte, aber immer brave, Gradheit, und Aufrichtigkeit. So urtheilt sie auch über jedes Werk der Kunst, und über alles ganz dreist, was aber an andern arrogant wäre, liegt bey ihr in der Unbefangenheit, und unbesonnenen Rücksichtslosigkeit ihres Charakters. Sie ist wirklich recht sehr brav, und jedes Gute an jedem Menschen steht bey ihr am rechten Ort angeschrieben. Sie hat zwar eine hohe Meynung von sich, eigentlich sollte aber jede[r] rechtliche Mensch diese von sich haben, besonders wenn sie so neben der Gerechtigkeit für jedes fremde Verdienst steht, als bey Carolinen, und so ganz naiv sich bey jeder Gelegenheit zeigt, und niemals die hohe Meynung über sich selbst im Herzen versteckt während sie eine, für einem andern erheuchelt. Man ißt auch in ihrem Hause sehr gut, sie macht die Wirthin sehr gut und mit einen leichten Anstand, wie sie sich aber in einem fremden Hause, mit ihrer dreisten Zuversichtlichkeit, und ihrem unbekümmerten Wesen ausnehmen möchte, ist schwer zu sagen; etwas sauer möchte sie es einem wohl machen ihre Wirthin zu seyn! Ich bin ihr aber recht gut geworden, und setze das unumschränkteste Zutraun in ihr. Sehr hübsch ist es, wie diese Frau ihre Jugend so erhält, so wohl körperlich als geistig. Was Sie mir von ihrer Koketterie gegen W[ilhelm] Schlegel sagten, gab mir gleich Anfangs die Vermuthung daß sie ihn nicht liebt, wovon ich nun die völlige Ueberzeugung habe. –
Hardenberg habe ich gesehen, er war einige Tage hier, und die Anschauung seiner Persönlichkeit hat es mir erklärt, warum er einst Ihrer Aufmerksamkeit entgieng; Seine Freunde behaupten, er hätte sich zu seinen Nachtheil verändert; ich behaupte aber, gemein, wird man nicht, das wird einem angeboren.
Und nun zulezt: Ein heller Punkt in meinen Lebenslauf! Goethen habe ich gesehen! und nicht blos gesehen; er ist mit mir und die beyden Schlegels wohl eine gute halbe Stunde spazieren gegangen; hat mich mit einen auszeichnenden Blick gegrüßt als ihn mein Name genannt wurde, und sich freundlich und ungezwungen mit mir unterhalten. Er hat einen grossen, und unauslöschlichen Eindruck auf mich gemacht; Diesen Gott so sichtbar und in Menschengestalt neben mich mit mir unmittelbar beschäftigt zu wissen es war für mich ein grosser, ein ewig dauernder Moment! – Von dem Zurückschrekenden Wesen, das man so allenthalben von ihn sich erzählt, habe ich wenig vermerkt, im Gegentheil, obgleich meine Schüchternheit und Angst groß war, so nahm sie doch sehr bald ab, und ich gewann vielmehr ein gewisses schwesterliches Vertrauen in ihm. Ewig Schade ist es daß er so Corpulent wird, das verdirbt einem ein wenig die Imagination! Wie er so neben mir her ging, und freundlich redete, da verglich ich seine Person mit allen Werken die mir von ihm in der Eil einfielen, und da habe ich gefunden, daß er dem Meister, und dem Herrmann am meisten ähnlich sieht, am allerwenigsten konnte ich aber den Faust in ihm finden[.] Alles andre aber ganz deutlich, die vermischten Gedichte, Tasso, Egmont, Werther, Götz, Elegien überhaupt Alles Alles! – Auch der väterliche Ton in seinen lezten Sachen ward mir klar! – Er geht zu niemand, als zu Schiller dessen Frau sehr krank ist; die Schlegel macht mir aber doch Hoffnung, daß er einmal ein Soupé annehmen wird. Wenn es geschieht so sollen Sie davon hören. Denn Sie meine Liebe verdienten eigentlich mit dabey zu seyn! – Hier haben Sie nun meine Freuden, die ich Ihnen gern noch weit ausführlicher mittheilte, aber ich darf nur wenig Zeit an der Correspondenz mit meinen Freunden anwenden ich muß, so viel mir, meine immer noch wankende Gesundheit erlaubt, arbeiten.
Metadata Concerning Header
  • Date: Montag, 18. November 1799
  • Sender: Dorothea von Schlegel ·
  • Recipient: Rahel Varnhagen
  • Place of Dispatch: Jena · ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 25. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Höhepunkt und Zerfall der romantischen Schule (1799 ‒ 1802). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Hermann Patsch. Paderborn 2009, S. 25‒27.
Language
  • German

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