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Dorothea von Schlegel to Rahel Varnhagen

Jena Januar 23. 1800
Wenn Sie böse wären liebe Levin hätte ich es verdient, und ich wüßte nichts zu meiner Rechtfertigung zu sagen. Sie wissen aber, wie es so hergeht, nicht allein in der Gesellschaft vernachlässigt man die besten Menschen weil man sich darauf verläßt, daß diese sich wohl am ersten zu helfen wißen werden, es geht mit den Briefen eben so; an alle Hundsfütter schreibe ich, weil ich mich immer fürchte sie nehmen es übel, und thun mir hernach etwas; aber Sie, Liebe, habe ich mich gar nicht gescheut zu vernachlässigen. Nichts desto weniger ist mir die Correspondenz mit Ihnen die aller angenehmste und erfreulichste unter allen; und Ihr Brief allein hat mir unter allen die ich hier empfing, die unvermischteste Freude gemacht. Wie geht es Ihnen Liebe? Ich bitte Sie erzählen Sie mir etwas von sich, von Ihren Freuden und Leiden! Nehmen Sie es nicht al[l]zu genau mit meinen Antworten, es wäre doch eine himmlische Güte, wenn Sie mir ohne meine Antwort abzuwarten noch einmal geschrieben hätten. Denn wie ich zu thun habe, können Sie kaum glauben, aber wollte Gott Sie wären hier, und sähen es selbst. Die Geschäfte ungerechnet, deren ich manche habe, auch die schöne Geselligkeit kostet viel schöne Zeit. Erzählen Sie mir etwas von der Oper. Was gab’s für Opern? Ist die Marchetti in Wochen gewesen? hat sie gesungen? Hat die Unzelmann schon ein Benefiz gehabt? Und Fleck auch schon? und was gabs? Ich lebe recht vergnügt auch hier, und werde alle Tage klüger und geschickter. Wer es aber bey diesen und mit diesen Menschen nicht werden wollte, müßte von Stein und Eisen seyn. Ein solches ewiges Conzert von Witz und Poesie, und Kunst und Wissenschaft wie mich hier umgiebt, kann einem die ganze übrige Welt, und besonders das, was die übrige Welt Freuden nennt, leicht vergessen machen. Ich komme aber wieder nach Berlin, weil ich muß, ob ich aber schon zu Ostern oder erst gegen Ende des Sommers kommen werde, das hängt noch von der Madame Ernst ab, die gegen Ostern herkömt; wenn diese nach gemachter Bekanntschaft mit mir meint, daß ich in Dresden existiren kann, so werde ich mich erst in Dresden ein paar Monate aufhalten, eh ich wieder nach Berlin komme. Wenn es aber nicht angeht, so komme ich früh wieder, und sehe dann zu was im Sommer etwa für mich zu thun seyn wird? Zum künftigen Winter leben wir aber alle (und wahrscheinlich Wilhelms auch) in Berlin. Lassen Sie aber so wohl meinen Plan nach Dresden, als den von W[ilhelms] in Berlin ein Geheimniß bleiben. Man klatscht so viel über uns, daß wir mit unseren Unternehmungen so viel als möglich an uns halten wollen. Sie werden es gewiß niemand sagen. Liebe haben Sie noch nicht wieder an Ihren Plan mit mir zusammen zu leben gedacht? oder ist es Ihnen etwa wieder leid geworden? oder halten Sie ihn für unausführbar? Ich schmeichle mir noch immer damit daß etwas daraus werden könnte; nur halten Sie ihn selbst nicht für unmöglich. Je mehr ich Sie, je mehr ich mich selbst kennen lerne, desto mehr bin ich überzeugt, daß wir gut zusammen fertig werden. Ich sehne mich recht darnach Sie einmal wieder zu sprechen. Liebe sind Sie noch traurig? hat sich nichts in Ihrem Schicksal zu Ihrem Glück verändert? Werden Sie es nicht überdrüssig mich in Ihrem Gemüthe lesen zu lassen, wenn ich auch nicht helfen kann, so bin ich’s doch werth.
Sie wollen Caroline S[chlegel] nicht für hart erkennen? Darinn haben Sie nun geirrt, und hätten Sie auch sonst niemals geirrt. Hart hart wie Stein, wir beyde, Sie und Ich meine Liebe, wir sind Sammt weich gegen Caroline! Sie kann recht liebenswürdig übrigens seyn wenn sie will! aber sie muß nicht! Nein Liebe sie hat unendliche Vorzüge vor die meisten Frauen, in andern steht sie, wieder ganz mit den meisten auf demselben Grad; in der Kieselhärte sucht sie aber ihres gleichen, und wie Ihnen das entgehen konnte, ist mir unbegreiflich. Ueber die kleine große Auguste sagten Sie mir einmal sehr wahre Worte. Aber sie ist doch eine schöne Natur, es ist Schade daß Nichts mehr aus ihr wird. Ihre Stimme wird auch zu Grunde gehen, sie hat hier keine Gelegenheit etwas zu lernen, und hat sich eine Menge falsche Manieren angewöhnt, aber ich wünschte recht daß sie einmal nach Berlin käme, um ordentlich etwas zu hören, und zu lernen, denn sie hat für ihr Alter eine seltne und starke Stimme. Je länger ich hier bin, desto liebevoller, und zutraulicher wird mir begegnet, und meine stolze Demuth ist mir zugleich ein undurchdringliches Schild gegen kalten Egoismus. So vornehm, so fein, so still Treu, und liebend, wie Friedrich, ist keiner mehr! und den göttlichsten Verstand hat er oben ein.
Ueber das Sonnet gegen Merkel muß ich Ihnen noch ein paar Worte sagen, so alt es auch schon ist. Keinem soll etwas darüber gesagt werden, aber Ihnen? Sie Liebe dürfen nicht mit der Menge und wie die Menge urtheilen.
Sehen Sie dieses Sonett ist ein Kunstwerk, das erste Sonett in dieser Manier was die Deutschen haben, die Italiäner nennen es ein geschwänztes Sonett, es ist vollkommen rein im Rythmus, und ausgearbeitet. Sehen Sie, schon als Kunstwerk, ist es also von einem Werth dessen sich kein Gegner so bald rühmen wird. Alsdann sagen Sie es wäre keine Kunst auf den Namen zu schimpfen und zu reimen. Allerdings ist es eine Kunst wie es hier geschehen ist; man kann bald Flegel auf Schlegel reimen, das ist freilich einleuchtend aber es ist weder wahr noch witzig. Eine jede Zeile des Sonetts aber, und alles schmähliche was sich auf den Namen reimt sind nicht bloß Reime, sondern es sind eben so viel witzige Einfälle und Thatsachen Facta. Also sehen Sie wohl den Unterschied ein. Meynen Sie, Schlegels fürchten eine witzige replique? Geben die Götter, daß es einem unter den vielen gelänge, ein eben so witziges Sonett auf ihren Namen, mit jedem beliebigen Reim zu machen, so würden sie die ersten seyn den Verfasser als Freund und Bruder freundlich und mit offenen Armen entgegen zu gehen, und als einen der ihrigen zu bewillkomm[n]en. Sie glauben auch Schlegels wären agresseurs, auch darin meine Liebe sind Sie falsch berichtet. Sie hätten wenig Freude daran einen so armseeligen kleinen Wicht wie Merkel ist, anzugreifen, der auf keine Weise ihre Aufmerksamkeit würde auf sich gezogen haben, wenn er sich nicht höchst unnütz, und was man nennt, mausig gemacht, hätte. Der kleine Herr hat sich es angelegen seyn lassen, in allen Gesellschaften Schlegels zu verläumden, und höchst boshafter Weise auszustreuen, der Herzog von Weimar hätte ihnen verboten seine Schriftsteller in Weimar etwas zu thun, wie kindisch, und albern wäre es vom Herzog wenn es wahr wäre, und wie boshaft und dumm ist es von Merkel nun es nicht wahr ist. Ueberhaupt geht es so[:] Man glaubt immer Schlegels fangen an, weil ihre Sachen gelesen, und allgemein bekannt werden, die Schufterlis aber, bleiben unbekannt, und diese sind jedes mal Anfänger – Doch was liegt daran, die Wahrheit wird doch durchdringen. Sie aber Liebe müssen nicht im Irrthum bleiben, darum habe ich risquirt Ihnen Langeweile zu machen. Gestehen Sie mir daß Schlegels wohl Recht haben müssen, schon darum, weil doch unter alle dem Zeuge, das jezt gegen sie erscheint, doch auch nicht ein einziges gescheutes Wort gesagt ist! Nichts was sie nicht höchlich verachten müßten. Was ist zB. gegen die Lucinde anders als verworfne Pöbeleyen gesagt worden? da doch hier offnes Feld, genug zum witzigen Tadel, und zum billigen Lob war. – –
Leben Sie wohl, die Post will wirklich abgehen. Gedenken Sie meiner und theilen Sie mit. Adieu die Ihrige.
DV.
Grüssen Sie Ihre Nächsten.
Von Brinckmann habe ich gehört, er käme chemin faisant nach Berlin. Wo in aller Welt kann man hin wollen, wenn man von Paris chemin faisant nach Berlin kömt? Ich möchte ihn doch gern wieder sehen.
Metadata Concerning Header
  • Date: Donnerstag, 23. Januar 1800
  • Sender: Dorothea von Schlegel ·
  • Recipient: Rahel Varnhagen ·
  • Place of Dispatch: Jena · ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 25. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Höhepunkt und Zerfall der romantischen Schule (1799 ‒ 1802). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Hermann Patsch. Paderborn 2009, S. 48‒51.
Language
  • German

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