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Friedrich von Schlegel to Friedrich Schleiermacher

Heute mußt Du sehr vorlieb nehmen, mein Freund. Du kannst Dir ja leicht denken, wie viele Störungen es hier giebt. Wundre Dich daher nicht, daß ich Deine letzte Sendung noch nicht recht gründlich habe lesen können, sondern erst den heutigen Abend dazu bestimmt habe, da ich mir ohnehin vorgenommen hatte, den Essay über die Schamhaftigkeit noch einmal im Ganzen zu lesen, eher ich Dir mein endliches Resulut darüber schreibe; daß er mich sehr interessirt und intriguirt siehst Du schon daraus und versteht sich ohnehin. – Den Brief der Caroline hat Dor[othea] äußerst liebenswürdig gefunden, und unendlich mädchenhaft, bis zum Erstaunen. Von dem angebotenen Recht wird sie vielleicht bey einem Wörtchen über die Lisette Gebrauch machen, weil dieß doch für ein Mädchen ein sehr mißlicher Punkt ist. Aber verlaß Dich nur auf mich, daß weder der Lisette noch dem Brief Unrecht durch den Gebrauch jenes Rechts geschehn soll.
Schicke mir doch noch ein Exempl[ar] Monologen. Ich möchte es Hardenb[erg] und Charlotten gern im Ernst zu lesen geben, und das geschieht doch, wenn ich nicht, was ich durchaus nicht möchte, Dich nenne, nur durch die wirkliche in manus traditionem. – Du solltest doch auch Fichten veranlaßen daß er sie läse. Du weißt es so gut wie ich daß er das Beste darin nur verzeihn kann, und wie es mit sein[em] Verstehen steht, ist Dir auch nicht unbekannt: aber ich bin fast gewiß daß er das Buch, wenn er es unbefangen kennen lernt, sehr lieben wird, und ich weiß nicht ob Du ihm ganz die Tiefe des Gefühls zutraust, die er wirkl[ich] hat. – Ich freue mich recht sehr daran, daß er mich liebt; und eigentlich ist die Art wie er mich zu verstehen sucht, weit über das hinaus was ich erwarten könnte, und weit über das was mit seinen Grundsätzen von Zeitersparung selbst gegen die Freundschaft bestehen kann. Mit dem Verstehn glaube ich käme er sehr weit, ich bin oft erstaunt wie viel weiter sein Verstehen geht als sein – Sehnen; und mit mir wäre er nun da auf dem besten Wege von wegen des Liebens: aber er versteht eben das Verstehn, glaube ich[,] nicht recht. Er meynt außer seinem Ganz oder gar nicht verstehen gäbe es nur das laxe gemeine Scheinverstehen; das höhere Verstehen, was immer unvollendet bleibt, hat er sich wegphilosophirt, obgleich es sich denn doch durch bessere Natur hie und da wieder bey ihm einschleicht.
Hier schicke ich Dir auch ein paar Kleinigkeiten von Poesie. Das Sonett auf die Reden hindert übrigens nicht weder die Epistel noch die Canzone. Die andren schicke ich zur Ergötzlichkeit mit[.]
Uebrigens bin ich sehr begierig, was Du auf Dor[otheas] letzten Brief antworten wirst. Du glaubst mich wie sehr ich mich danach sehne auch im äußeren Verhältniß Eins mit ihr zu seyn. – Dann hätten wir nur ein Ziel und könnten uns frey bewegen. Ich möchte sie nicht in den Fall setzen noch einmal von Caroline abhängig zu seyn. –
Fröhlichen dränge nur zum Druck, und wenn es nicht anders geht, so sage ihm nur, daß er auf 20 meinen Antheil (den Du ihm dann genau bestimmen mußt) mein Saldo in Rechnung bringen könne. –
Alles andre nächstens – Plato, Philosophie usw. Lebe herzlich wohl
Dein Fr S.
Ueber den Kuckunz muß ich noch etwas sagen. Wie kannst Du so sträflich schlecht lesen? Das kommt davon wenn man nach Orientalischer Sitte die Vokalzeichen im Schreiben so ganz vernachläßigt. – Kucknug hast Du gelesen, da man doch in dieser Sphäre so leicht aus Kuckkuck, Kunst und Kunz (dem Gegner des Hinz) diese schöne Assonanz von Kuckunz construiren konnte. –
Metadata Concerning Header
  • Date: [Anfang April 1800]
  • Sender: Friedrich von Schlegel ·
  • Recipient: Friedrich Schleiermacher ·
  • Place of Dispatch: Jena · ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 25. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Höhepunkt und Zerfall der romantischen Schule (1799 ‒ 1802). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Hermann Patsch. Paderborn 2009, S. 87‒88.
Language
  • German

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