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Dorothea von Schlegel to Friedrich Schleiermacher

den 11ten April 1800.
Viel habe ich Ihnen zu sagen mein Freund! aber heute bin ich es nicht mehr im Stande, die Post wird geschloßen, und ich habe mich bey den andern Briefen zu lange verweilt. Hier sind einige Aktenstücke. Lesen Sie einmal den Brief von meiner Mutter; zu Friedrich der ihn durchaus sehen wollte, habe ich vorgegeben, ich hätte ihn verbrannt; so bald Sie ihn gelesen so thun Sie es ja gleich; ein solches Aktenstück muß nicht existiren, es ist unwürdig. Lesen Sie meine Antwort, siegeln Sie sie hernach, und schicken es auf die Post. Lesen Sie alles mit Aufmerksamkeit, damit Sie es gegenwärtig haben, denn Sie sollen uns helfen, Zeuge und Beistand seyn. Es ist an der Zeit! ernsthafte Maßregeln sind nothwendig.
So eben sehe ich daß ich noch eine ganze Stunde Zeit habe, also zur Sache.
Sie behaupten, Sie hätten keinen Respekt für meine Gründe, mich nicht taufen und trauen zu laßen. Wie so das? verdienet die Absicht, wenigstens noch mittelbar Einfluß auf die Erziehung meiner Kinder zu haben keine Achtung, so weis ich doch nicht wodurch ich sie sonst bey Ihnen erhalten könnte, besonders da ich ein solches Glück mir versage blos dieser Absicht zu gefallen. Ich habe es Veit versprochen, mich nicht zu verheyrathen, so lange ich den Philipp behalte, oder vielmehr ich behalte ihn nur so lange bis ich mein Versprechen zurück nehme. Philipp bedarf jezt mich noch unmittelbar, und er ist von so zarter, reizbarer Natur, daß ich ihn jezt noch nicht weggeben kann. In einigen Jahren bin ich ihm alsdenn wieder nicht genug, und wir müßen alsdenn weiter sehen. An Veit würde ich ihn nur höchst ungern zurückgeben, lieber in einer guten Pension, was meynen Sie zu Hülsen? So bald ich meinen Philipp erst so weit hätte, so war mein Plan mich allerdings trauen zu laßen. Die Sachen drohen aber sich so zu wenden, daß vielleicht eine schnellere Catastrophe von der größten Nothwendigkeit ist. Sie sehen wie meine Mutter gestimmt ist, und wo sollen wir sonst hin, in unsern Verhältnißen? Auch mit Ihnen, und mit unsern besten Freunden würden wir wohl wahrscheinlicher mehr einig werden, wenn es geschähe, Sie sind ja alle dafür! – Also wenn Sie es für Recht, und in unsrer Lage für das Beste halten, so mag es geschehen! Aber unter keiner andern Bedingung, als daß Sie beyde Handlungen verrichten, weil das allerstrengste Geheimniß dabey nothwendig ist, das nur zu seiner Zeit offenbahr werden muß. Fichte und Alexander Dohna sehe ich nächst Ihnen für meine besten Freunde an, und diesen beyden mögen Sie alles mittheilen und mit Ihnen überlegen wie es am besten zu veranstalten sey. Ihr alle würdet euch doch beßer in Uns finden, wenn wir getraut werden, auch Hardenberg und Charlotte, wer wird um solche Freunde nicht thun, was man auch sonst vielleicht nicht gethan hätte? Ich habe zugleich den Plan gemacht, im Fall, die Mutter unvernünftig bleibt, so bleiben wir nur so lange in Berlin bis diese Thathandlungen geschehen sind, alsdenn suche ich Veit zu bereden daß er den Philipp gleich zu Hülsen giebt und ich gebe mich mit F[riedrich] auch bey Hülsen in die Kost, der wird nichts dagegen haben, wenn man ihn ins Geheimniß zieht. Damit ich nur noch eine Zeit lang kann in Philipps Nähe bleiben, weil er mich in der That noch nöthig hat, und wann ich dann selber sehe, daß er in guten Händen ist, so gehe ich dann mit Friedrich, wenn es uns dort nicht länger behagt, wo wir wollen hin. Uns steht alsdenn nichts mehr im Wege. Doch diesen Gang kann unsre Sache auf jeden Fall nehmen, auch wenn wir eine Zeit lang mit der Mutter in Berlin leben können. Zu einen plötzlichen Lärm möchte ich es um Veits willen nicht gern bringen, es ist doch beßer wenn es einmal losbricht, daß es heißt es wäre schon längst geschehen. Fürs erste bitte ich Sie aber mein Freund, daß Sie ein schweres Geschäft übernehmen, nemlich Sie sollen an Veit schreiben. Erzählen Sie ihn daß ich Sie darum gebeten, ihn zu schreiben daß meine Mutter es mir wahrscheinlich unmöglich machen wird, mich lang in Berlin aufzuhalten; auf Reisen ist mit Veit etwas mehr anzufangen als im Kreis der Gebrüder. Ich selbst schreib ihn nicht, denn mir antwortet er hernach gar nicht auf die Sache, sondern er schreibt einen weichmüthigen Brey, der mein hartes Herz bewegen soll, und da bin ich denn so klug als vorher, ich kenne ihn darin, schreiben Sie ihn, daß ich mein äußerstes gethan, und meiner Mutter noch einmal Alles eindringlich vor Augen gestellt habe, wenn sie aber nicht ihren Sinn ändert und fortfährt mich so zu beleidigen, so kann ich nicht in Berlin wohnen, so möchte er es nicht als einen Wortbruch von mir ansehen daß ich zu meiner Ruhe nicht kann. Mehr kann ich Ihnen nicht vorschreiben, Sie kennen unsre Lage so gut als wir selbst, Sie wißen, wie sehr wir uns selbst so gebunden, und in Unsern Bürgerlichen Verhältnißen so geschnürt haben daß wir kaum athmen können, und daß uns dadurch alles wie verschloßen in der Welt ist. Nehmen Sie sich unsrer an lieber S. und stellen Sie es Veit recht klar und deutlich vor Augen. Friedrich wird selbst die künftige Post an Veit schreiben, und Ihnen den Brief offen zuschicken, Sie können also Ihren Brief auf diesen warten laßen, oder für sich besonders, früher schreiben. Ziehen Sie Fichten, und Dohna bey diesen Angelegenheiten zu Rathe: Ich gebe Ihnen unser ganzes Heil in Händen, etwas ordentliches muß aber geschehen, damit wir für uns allein existiren mögen, denn wir sind beyde nicht gemacht unter fremden Schutz zu stehen. Leben Sie wohl, ich kann heute nicht mehr schreiben.
Dorothea.
Wenn Sie durch Ihre Rhetorik, doch den Veit dahinbrächten, daß er es einsähe, wie wir, arm wie wir sind, gar nicht länger ohne eine Verbindung fertig werden können.
Frankiren Sie den Brief nach Strelitz, und berechnen Sie es mir.
Metadata Concerning Header
  • Date: Freitag, 11. April 1800
  • Sender: Dorothea von Schlegel ·
  • Recipient: Friedrich Schleiermacher ·
  • Place of Dispatch: Jena · ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 25. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Höhepunkt und Zerfall der romantischen Schule (1799 ‒ 1802). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Hermann Patsch. Paderborn 2009, S. 93‒95.
Language
  • German

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