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Dorothea von Schlegel to Rahel Varnhagen

den 28ten April 1800.
Kommen Sie liebes gutes Kind! Sie sind uns allen hier (den gutgesinnten) herzlich willkommen, und wir sehen es als eine Ihrer größten Gefälligkeiten an, wenn Sie Ihren Plan wirklich ins Werk setzen, nicht blos davon träumen, und träumen lassen. Karolinen finden Sie wahrscheinlich nicht mehr sie geht (sois dit entre nous) mit Schelling ab. Nach allem was ich Ihnen mündlich erzählen werde, sollen Sie sich gewiß mehr darüber freuen sie nicht zu finden, als grämen. Desto mehr sind Sie einer Rücksichtslosen Absichtslosen, freymüthigen offnen Aufnahme von uns andern gewiß. Charlotte Ernst wird künftigen Monat hier erwartet. Sie kennen Sie, und ich freue mich auf ihrer Bekantschaft. Ich bleibe hier so lang Sie wollen.
Line bringen Sie mit, ein Bedienter wäre Ihnen aber wahrscheinlich ganz überflüssig weil der große Artikel des Schickens hier wegfällt.
Viel Geld werden Sie eben nicht brauchen. Wenn Line sich selbst verköstigt, und Ihr Frühstück besorgt, so geben Sie mir für Ihre Verköstigung von Mittag und Abendbrod monatlich 2 Carolins; das sind 13 r[Reichsthaler]. So viel gebe ich jezt für mich an Schlegels; wenn Caroline erst weg ist, übernehme ich die Haushaltung, wenigstens bis Johanni; was wir hernach alle anfangen, ob wir bis Michaeli hier bleiben, oder nach irgend einem Bade reisen, das wollen wir gemeinschaftlich, und mündlich ausmachen.
Schreiben Sie mir gleich ob ich Ihnen eine möblirte Wohnung miethen soll? Hier im Hause ist alles wegen der Ernst ihre Ankunft versperrt. Es giebt recht artige Gartenwohnungen hier, schreiben Sie nur wie viel Piecen Sie verlangen, und wie hoch ich gehen darf?
Nur thun Sie Verzicht auf alle andern Zerstreuungen, und Vergnügungen: als Kunst, Poesie, Witz, eine liebliche mannigfaltige Natur, und den liebenswürdigsten Frühling den sich Ihre Einbildung je mahlte! Grün sammtne Teppiche die sanften Berge hinan mit Veilchen, Schlüßelblumen, und Primeln gestickt, und tausend wohlriechende Kräuter durchwirkt; Alle Bäume in der glorreichsten Blüthe; Flieder und Mayblumen in dicken Haufen; eine Art Weiden wie ich sie noch gar nicht kannte, deren Blüthe wie orange riechen, stehen allenthalben, auf allen Wiesen und Bergen. Der lebhaft rauschende Fluß wie ein Spiegel, hell; warm vom Morgen, bis wieder zum Morgen; eine Luft die sich weich, lau, und blau um einen her lagert, und auf den Bergen wie eine Decke ruht; zur Veränderung einmal ein paar Stunden des wärmsten wohlthätigsten Regens, ein Grün von dem die Berliner keinen Begriff, nein, keinen Begriff haben – Das ist es was ich Ihnen allenfalls hier versprechen kann. Es ist für mich eine nagelneue Erfahrung, das es einen Frühling wirklich, und wahrhaftig auf Erden giebt. Kommen Sie nur, Sie können auch hier mit grosser Leichtigkeit baden, und Pyrmonter trinken; ich will es auch thun, fange an sobald Karoline weg ist. Auf alles andre gebe ich Ihnen mündlich Antwort, ja mündlich ich freue mich wie ein Kind!
Nur schreiben Sie ja mit umgehender Post Antwort, ob ich miethen soll, und wann Sie kommen.
Friedrich der Göttliche ist diesen Morgen zu Vater Göthe, oder Gott den Vater, nach Weimar gewandert; sonst hätte er Ihnen eigenhändig seine Freude über Ihren Vorsatz bezeigt. Ich thue es aber in seinen Namen, und grüße Sie von ihm des freundlichsten.
Wilhelm grüßt Sie herzlich. Er erinnert sich, (so hat er mir aufgetragen) mit vielem Vergnügen die mit Ihnen verlebten Tage in Dresden[.] So schön kann er es Ihnen nicht hier versprechen aber er will Sie weit und breit herumführn und Ihnen zeigen, und geben was das Herzogthum und die Universität vermag. Eleganz und Pracht meynt er weiter müßten Sie freylich zurücklassen, oder vielmehr, nicht hier erwarten den[n] Jena an sich ist ein Lumpennest meynt er; doch meynt er, wenn Sie nur brav Geld mit bringen, so soll es doch schon gehen. Alles dies hat er mir in die Feder diktirt.
Noch was meine Liebe: Sie thun gut sich die unentbehrlichsten Betten, als Decke, Kopfkissen und Pfühl auch einiges Bettzeug in einen Sack mit zu bringen, denn nur ein leidliches Bett ist zur Miethe nicht gut zu haben, mit dem Uebrigen kann man sich leicht hier helfen.
Werden Sie kommen?
adieu
Für Line brauchen Sie aber kein Bett zu bringen.
Metadata Concerning Header
  • Date: Montag, 28. April 1800
  • Sender: Dorothea von Schlegel ·
  • Recipient: Rahel Varnhagen
  • Place of Dispatch: Jena · ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 25. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Höhepunkt und Zerfall der romantischen Schule (1799 ‒ 1802). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Hermann Patsch. Paderborn 2009, S. 99‒100.
Language
  • German

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