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Dorothea von Schlegel to Friedrich Schleiermacher

den 28ten April 1800
Friedrich ist diesen Morgen um fünf Uhr zu Gott den Vater, oder Vater Göthe, nach Weimar gewallfarthet. Er hat mir aufgetragen Ihnen zu schreiben, daß er auch Heindorfs Meynung in Ansehung des Plato wäre; da ich um eine nähere Erläuterung dieses dictums bat, schalt er mich Naseweis, und sagte er würde Ihnen das schon nächstens selbst schreiben. Ich war nicht wenig zornig, und hätte es gewiß nicht der Mühe werth gefunden Sie eigenst 3½ Groschen für diese Worte ausgeben zu lassen, auch habe ich es ihm nachgerufen daß ich nun gar nicht schreibe; aber in diesen Moment schikt Fromman[n] nach dem M[a]n[u]sc[ri]pt der L[ucinden]Briefe ich habe es hingegeben, so weit es da ist, aber nun seyn Sie hübsch fix lieber S[chleiermacher] denn der Druck geht heute noch an. Er wollte einen Titel haben, es kömt ja wohl kein andrer dazu als darauf steht, sollte etwa F noch einen dazu machen, einen ausführlichern außen so ist immer noch Zeit.
Von C[aroline] habe ich mein Herz vollends abgewandt sie zeigt sich jezt in einem gehäßigen Licht, und obgleich mir von allen Seiten vom Zauber, und der Genialischen Anlage ihres Geistes die Ohren vollgetrommelt werden so habe ich dennoch auch an ihrem Geiste den Glauben verloren; Friedrich ist meiner Meynung im Grunde, aber ihren Geist will er doch nicht abschwören, warum hat er eine so geringe Meynung vom Geist? warum sezt er ihn so tief unter den Verstand, den er ihr völlig abspricht. – Wie das Haupt der Gorgo halten sie mir immer ihre geistreichen Briefe vor; diese erkenne ich an ich behaupte aber in diesen Briefen steckt sie eben allen Geist hinein, in ihrer Unterhaltung kömt immer mehr das Messer und Schwerdtmäßige Zerschneiden zum Vorschein und ihre Urtheile sind so voller Vorurtheile so oberflächlich, berechnet, und absichtlich, daß man nicht weis ob man sie greulich oder lächerlich finden soll? Sogar der Ton ihrer Stimme ist zerschneidend. Beynah muß ich glauben, sie hat mich nur die glänzende Seite ihres Geistes nicht zu zeigen gewürdigt, denn auch die Ernst, die unbestechliche Charlotte schreibt vom Zauber ihres Geistes! – Mein ganzer Umgang mit Carolinen liegt genau in den Gränzen der allgemeinen Höflichkeit, ich mache ihr täglich ein oder zwey kurze Besuche, jede Annäherung weich ich aus sie ist Friedrichs Feindin, was geht sie mich an? – Sie fährt jezt täglich mit Augusten und Schelling spazieren, ist aber noch nicht wieder hergestellt wie sie sagt, dergestalt, daß eine Ortsveränderung als äußerst nothwendig angenommen wird, um wieder sich völlig zu erhohlen; Sie wird also in dieser Absicht noch in dieser Woche mit Schelling nach Bamberg reisen, und von dort die nöthigen Bäder besuchen. Dieser Plan obgleich er so leicht zu übersehen und unter ihnen schon längst abgemacht war, ist doch erst gestern von Schelling in dehmütigen Ausdrücken dem Wilh[elm] zum unterzeichnen vorgelegt worden er war es gleich in Rücksicht ihrer Wiederherstellung sehr zufrieden, mußte aber Bitten und Autorität anwenden die Arme dazu zu bewegen, weil sie tausend Bedenklichkeiten hatte so wohl seintwegen als um der Welt willen! und sich über diese Rücksichten zu erheben, fühlte sie sich zu sehr geschwächt. Kurz sie reißt, und wir werden freyen Athem hohlen. Ich glaube nicht daß sie so bald wiederkömt, vielleicht niemals! Aber dem Wilh[elm] wird es so vorgestellt als ob sie gar bald wiederkommen will; blos um sich nicht völlig von ihn los zu machen, oder vielmehr ihn von ihr!
Ueber unsre liebsten wichtigsten Angelegenheiten schreibe ich Ihnen ein andermal. Ihre Gründe gegen die Heimlichkeit sind triftig, auch war mir diese gleich ängstlich, nur in der Angst dachte ich sie mir. – Wenn Sie an Veit schreiben sollten Sie wenigstens etwas davon fallen lassen, daß ich wahrscheinlich noch nicht nach Berlin zurück kann. Vom Taufen schreiben Sie aber noch nichts. Mir aber lieber S[chleiermacher] schreiben Sie mir etwas genauer von Hülsens Pädagogischen Einrichtungen. Auch thäten Sie vielleicht nicht übel vorläufig auch bey Hülsen anzuklopfen, ob er nemlich meinen Philipp nehmen kann, nemlich vorläufig nur zum Unterricht, und ob ich für mich eine kleine häußliche Einrichtung in seiner Nähe haben kann? auch wird sich Friedrich wohl entschließen wenn ich dort wohne seine Zeit zwischen mir und Ihnen zu theilen. Um alles dies fragen Sie doch, so wie vorläufig den Hülsen. Und sagen Sie ihm nur hübsch was Gutes von mir, denn werth bin ich es!
Die L[ucinden]Briefe mein guter Freund, sind rechte Briefe, und nehmen Sie dafür meinen Lob und Dank. Was noch mehr ist, sie sind weiblich; was mehr ist, mädchenhaft! Der von Car[oline] transcende[n]tal mädchenhaft! Gegen den Effekt hatte ich ein kleines Gefühlchen darin. Was meynen Sie? – Den lezten Brief habe ich povera me! noch nicht lesen können, auch den 4ten Monolog in Grunowscher Hinsicht noch nicht, der Roman und der Frühling nehmen mir Zeit und Gedanken: Himmel welch ein Frühling! welches schöne Land!
Wilhelm läßt Sie grüßen er hofft Sie werden in seinen Gedichten einiges gefunden haben was Ihnen gefällt; was über die Broschüre gegen die A[llgemeine] L[iteratur]Z[eitung] erfolgt ist werden Sie von Bernardi erfahren können er hat es ihm geschrieben. Wie verhasst ist mir dieser Uebermuth ohne Freudigkeit!
Gehen Sie doch zu den Antiquaren und suchen Sie sich Flemmings Gedichte anzuschaffen, der vollständige Titel ist: Geist und Weltliche Poemata Paul Flemmings – Im Jahr 1685 auf’s neue aufgelegt. – Dieser ist jezt mein Studium und mein Liebling. Ich will Ihnen nur eins seiner Sonette abschreiben, damit Sie ihn ein wenig anschauen mögen.
An Sich.
Sey dennoch unverzagt. Gieb dennoch unverlohren.
Weich keinem Glücke nicht. Steh höher als der Neid.
Vergnüge dich an dir, und acht es für kein Leid,
Hat sich gleich wider dich Glück, Ort, und Zeit, verschworen.
Was dich betrübt und labt, halt alles für erkohren.
Nimm dein Verhängniß an. Laß alles unbereut.
Thu, was gethan muß seyn, und eh’ man dirs gebeut.
Was du noch hoffen kannst, das wird noch stets geboren.
Was klagt, was lobt man doch? Sein Unglück und sein Glücke
Ist ihm ein jeder selbst. Schau alle Sachen an.
Dieß alles ist in dir, laß deinen eitlen Wahn
Und eh du fürder gehst, so geh in dich zurücke.
Wer sein selbst Meister ist, und sich beherrschen kan
Dem ist die weite Welt und alles unterthan.
– – – – – – – – – –
Ist das nicht herrlich? Und ist dies einzige Sonnett nicht ein ganzer Eyerstock für eine Brut moderner Dichter? Aber es nimmt sich beym Abschreiben gar nicht so recht aus. Sie müßten die alten treuherzigen Buchstaben sehen, und wie es so demütig eng gedruckt ist, die Thränen können einem ordentlich dabey in die Augen kommen!
Nun leben Sie wohl, ich muß noch ein Briefchen schreiben, und zwar, ein zierliches, wenn es mir gelingt; am jungen Brentano, der verreist ist und uns einen Brief voller Anbetung geschrieben hat. Schade daß er eine Art von Hasenfuß ist, es fehlt ihm nicht an allerley hübschen Eigenschaften: besonders kann er anbeten; das ist doch schon recht hübsch!
Könnt Ihr uns bald einiges Geld zukommen lassen Ihr Freunde so zögert ja nicht; denn wir sind arm an Beutel, obgleich Gottlob nicht krank an Herzen; wiewohl das erste einen etwas asthenischen Zustand hervorbringt. Wie wohlfeil will denn die Bernhard[i] den Sopha und die Maschine haben? sind 20 r[th] für beydes noch nicht wohlfeil genug? So mag sie 3 L[ouis]d’or in Golde geben, ist ihr auch dieses zu viel, so kann ich gar nichts mehr fordern, so mag sie geben was sie will; nur quält euch nicht lange mit den Sachen, und werdet sie nur bald los. Wenn ich bedenke welche Mühe ihr von mir habt, so möcht ich – – –
Was werden Sie zum Doktor vielleicht gar Professor Friedrich sagen? Da kriecht er ja nun doch hinein in die Bürgerlichkeit! Daß es nur fürs erste noch geheim bleibt. Und seyn Sie mir in Gnaden gewogen.
Dorothea
Der Euripides ist hier.
Friedrich schreibt wohl heute nicht mehr, er ist nicht mehr faul, aber vielleicht zu sehr beschäftigt; er macht einigen hübschen Damen hier die cour; dagegen kann ich nichts haben, er möchte sonst gar glauben es giebt noch mehr Dorotheen[.]
Ich habe ihn diese Zeilen zu lesen gegeben er lacht, und sagt: er dächte mehr am Plato als an allen hübschen Damen der Welt, Dorothee mit eingerechnet; und wird Ihnen nächstens eine lange kritische Epistel darüber schreiben.
auch dieses hat er gelesen, und findet mich unaussprechlich gehorsam[.]
Metadata Concerning Header
  • Date: 28. [–30.] April 1800
  • Sender: Dorothea von Schlegel ·
  • Recipient: Friedrich Schleiermacher ·
  • Place of Dispatch: Jena · ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 25. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Höhepunkt und Zerfall der romantischen Schule (1799 ‒ 1802). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Hermann Patsch. Paderborn 2009, S. 100‒103.
Language
  • German

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