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Friedrich von Schlegel to Friedrich Schleiermacher

Jena. Den 5ten May 1800.
Endlich, mein Freund, wird es Zeit seyn, Dir ausführlich und gründlich zu schreiben. Ich bin in Weimar gewesen, Hardenberg war hier, wir haben ihn begleitet, Caroline ist weggereist. Dieses sind neben den permanenten Entschuldigungen ja wohl genug. Doroth[ea] musst Du damit entschuldigen, daß sie noch immer noch begriffen ist, den ersten Theil des Florentin zu endigen.
Die letzten Briefe über die Lucinde haben mir sehr gefallen und mich sehr befriedigt. Die Weiblichkeit im Styl hast Du unvergleichlich getroffen, und die Briefe von Eleonore und Karoline sind in dieser Rücksicht classisch und äußerst anzüglich. – Es sind nun schon mehre Bogen gesetzt, doch hab ich noch nichts zur Correctur gehabt. Da es sehr rasch gedruckt werden wird, so kann es wohl eben vor Thorschluß noch fertig werden, besonders da Bohn sehr lange in Leipzig bleibt. Es werden 750 Exempl[are] gedruckt, aber mit einem Carolin für den Bogen wirst Du Dich wohl begnügen müssen. – Ich habe die erste Hälfte des M[anu]scr[i]pts schon lange in die Censur und den Satz geben müssen; daher mußt Du wegen des Essay noch Geduld [haben]. Denn so unmittelbar wie bey den Briefen wollte mir Form und Styl nicht einleuchten; doch achte dieß nicht für mein Urtheil, ehe ich urtheilen kann, muß ich noch einmal mit voller Ruhe lesen. Es interessirt mich sehr, Deinen Studien der Prosa zu folgen, und es gewährt mir große Freude, zu sehn wie glücklich es dir gelingt. – Nun nimm noch meinen Dank für das Ganze. Ich kann Dir nicht sagen, wie sehr mir das Ganze recht und lieb ist, ad intra und nebenher auch ad extra, wie es ist und daß es von Dir ist.
Da ich in Weimar war, bin ich viel mit Fr[iedrich] Richter zusammengewesen, und habe mich recht gut mit ihm gehabt. Er ist unergründlich, unbeschreiblich und ganz ausschweifend redlich, und wallfarthet nächstens nach Berlin, wo er mich sehr quälte um interessante Frauen. In der Angst meiner Seele nannte ich ihm endlich auch die Herz, es wird ihr ja wohl nicht unangenehm seyn, wenn er sie besucht. Auch Dich empfahl ich ihm zu besuchen, da er doch schon einigermaßen wußte, was die Welt von Dir sagt. Ich gab ihm des Versuchs wegen auch die Monologen zu lesen; es gereut mich nicht, denn er sprach nicht unverständig und sogar herzlich besonders über die Stelle vom Sterben der Freunde usw. Doch wittert er überall bey Dir verhüllten Fichtianismus, und das ist nun eben der Nerve, wo sein Verstand Geister spürt. Es ist Schade, daß er in so schlechter Gesellschaft lebt, die ihn sehr verdirbt. Mit uns müßte er noch wieder jung werden können. – Hardenb[erg] war zu kurz hier als daß er die Monol[ogen] hier hätte lesen können. Ich habe sie ihm mitgegeben. – Ritter meynt, sie wären höher und heiliger noch als die Reden, in denen ihn eben die Pracht der Rede eher abstößt als anlockt. – Da hast Du eine ganze Menge Resultate von Experimenten, mit denen du nun wieder experimentiren kannst! – Was sagt denn Hülsen dazu? – Wenn es auch nicht immer merkwürdig ist wie er merklich fehlt, so ist er doch würdig und für mich sehr freudenreich. – Auf die Mnemosyne bin ich sehr begierig, weniger auf das Maximum, in das ich nur einen Blick bey Richter that, dem’s der schwedische Autor geschickt. Hat ers etwa auch dir gesandt? Schreibe mir mehr darüber, ehe ich mich entschließe es aufzutreiben.
Das Geheimniß in Rücksicht der Luc[inden] Briefe hab ich Frommann sehr eingeprägt, und aus dieser Quelle wird es Tieck gewiß nicht erfahren.
Die Antwort von der Mutter ist gekommen, und ich werde sie Dir beylegen. Nach dieser kann nun Doroth[ea] nicht füglich nach Berlin zurückkommen, und wird dieß, sobald sie mit dem Florentin fertig ist, in wenigen Tagen an Veit schreiben, bittet Dich aber, wenn Du dasselbe nicht schon gethan, damit zu warten, bis Du ihren nächsten Brief erhältst. Charlotte lädt uns nach Dr[esden] ein, und ich denke wir werden diese Einladung annehmen. Es stößt sich nur an der Abgabe; ich habe mit Hardenb[erg] darüber gesprochen, und ich denke es soll keine Schwierigkeit haben. Da müßtest Du uns durchaus künftigen Sommer besuchen da Dr[esden] Dir ohnehin so viel Neues und Schönes darbieten kann. Ich hätte große Lust, wenn Geld und Zeit nicht fehlten, im Herbst auf 4 Wochen nach Berlin zu kommen. Aber da ich mit beyden auf so schlechtem Fuß stehe, wirds wohl bleiben müssen bis auf bessere Zeiten.
Heindorf hat ganz meine Ansicht von der Art und Ordnung wie wir mit dem Plato anfangen müssen. (Ich gebe zwar die Hoffnung nicht auf, die historische Ordnung und die Bildungsgeschichte seiner Werke zu entdecken, aber freylich werde ich wohl am Ende der Arbeit mehr darüber wissen als jetzt, wo ich natürlich nichts darüber haben kann, als einige gute Conjecturen und Ahndungen.) Also rüstig an das Größte und Kühnste! Die Theilung denke ich, wird sich wohl am besten von selbst machen: ich wünsche nur eine Rücksicht dabey, nämlich daß jeder von jeder Gattung Werke bekömmt, um die Uebung und die Freude so vielseitig als möglich zu haben. Hast Du besondere Anmuthung zu diesem oder jenem Werk, etwa zum Philebus, so eximire Dir das gleich; vielleicht folge ich Dir dann darin, wenigstens habe ich zum Timaeus immer einen ganz besondern Drang gehabt. Ueber die kritischen Grundsätze denk’ ich, ist keine besondre Verabredung nöthig. Laß uns nun zunächst einen Dialog wählen und übersetzen, und mit dem breitesten möglichen Rand dem andern zusenden, der dann verpflichtet seyn muß, (besonders bey den ersten Versuchen) überall nachzuarbeiten, nachzuforschen und zu kritisiren. Vielleicht schenkt uns auch Heindorf einige kritische Bemerkungen, wie sie sich ihm bey einer vergleichenden Lektüre von selbst darbieten würden. Grüße ihn herzlich von mir; ich bin sehr ergrimmt über die Plattheit von Wolf, denn etwas anders kann es doch nicht seyn. Wie könnte aber nur in aller Welt ein solcher Familienzwist zu einem öffentlichen Anlaß geben? – Schreibe mir das, es interessirt mich sehr, nämlich aus Ingrimm.
Bey dem was ich diesen Winter laß, hatte ich zu dem Protagoras viel Anmuthung. Indessen bleibt das wohl besser für jetzt. Denn wenn wir auch sonst die histor[ische] Anordnung aufgeben, so möchte ich doch daß wir sie für die versuchten, die sich auf das ει διδαχτον η αρητη beziehn. Denn von diesen schien mirs, daß sie eine Suite bilden, die es nicht sehr schwer vollständig zu ordnen seyn kann, und in der sie ungleich verständlicher und bedeutender sind. – Nächstens schreibe ich Dir, was ich gewählt habe. Ein Punkt des Contracts ist, daß ich Griech[ische] Bücher mit starkem Rabatt auf Credit bekomme. Ich habe dieß bis jetzt nur für das Schmidtsche Lexikon benutzt, welches mir zwar zum Plato nur selten aber doch sonst immer nothwendig ist. – Frage doch Heindorf was das Timaei Sophistae Lexicon Platonicum edit[io] Ruhnken[ii] – sey, und ob wir gut thäten es anzuschaffen. –
Daß Deine Kritik der Moral ein besondres Werk werden will, ist zwar an sich sehr gut, denn ich schließe daraus, daß es nicht so ganz Kritik oder Polemik, sondern eine indirecte Constitution der Moral seyn wird. Aber für die gemeinschaftl[ichen] φιλοσοφουμενα [Philosophumena] ists doch ein großer Verlust. Mir ist es fast eben so gegangen, und was ich zunächst und bald Philosophisches und Ueberphilosophisches geben will und kann, scheint sich auch zu einem eignen kleinen Werk gestalten zu wollen; so daß mir jener Plan nun wieder etwas weiter hinaus zu treten scheint.
Machst Du bald mit der Notiz über die Bestimmung des Menschen? – Bernhardi hat vor einiger Zeit die über die Metakritik geschickt: hättest Du nicht anfangs so unendlichen Eckel gehabt, so würde eine bessre zum Vorschein kommen. Indessen ist doch diese gut genug, und einiges darin ist sehr gut. – Den Brief an Veit habe ich anfangs aufgeschoben, um die Antwort der Mutter abzuwarten; und nun findet es doch Dor[othea] gerathener daß sie an ihn schreibt. Das erste könnte leicht zu weit führen, da sie wegen Philipps doch durchaus für einen gelinden Gang ist.
Ueber das schöne Exempl[ar] habe ich mich gefreut, noch mehr über Deine Zufriedenheit mit meiner Freude daran. Ich wünschte sehr, mit Dir sprechen zu können. Es sind heute überdem so viele facta zu schreiben gewesen, daß der geistliche Theil fast darunter leiden muß.
Wie viel Exempl[are] brauchst Du von den Briefen über die Luc[inde]?
Zeltern bitte ich vorläufig herzlich zu grüßen, ich schreibe ihm gewiß bald. So eben erscheint die Recens[ion] der Lucinde – die ganz so ist wie sichs erwarten ließ – und eine andre von Bardili's Grundriß der ersten Logik, die darum merkwürdig ist, weil sie von Reinhold herrührt, der dem Fichte in optima forma abtrünnig geworden ist. Vom Buche giebt die Rec[ension] keine zureichende Idee; doch hat sie mir ein sehr übles Vorurtheil gegeben. Er scheint von denen, die noch mit Kant skiamachiren, und noch von einem neuen System der φσ [Philosophie] träumen, welches aber der alten Philisterey so ähnlich ist wie ein Ey dem andern. Von dem was wir wollen, also keine Ahndung; sondern die wahren Antipoden. – Man will diesen Bardili wahrscheinlich hieher ziehn als Professor und also in der Schnelligkeit berühmt machen. Dabey braucht man dann auch des Moyen des Lügens sehr reichlich. So hörte ich von ganz unbefangenen Fichte habe d[en] Bardili sehr gepriesen, da ich doch aus einer bessern Quelle weiß, daß er ihn so sehr verachtet, wie es fast nicht anders seyn kann. – Theile ihm das letzte bey Gelegenheit mit; es wäre sehr an der Zeit, daß er nicht bloß dem Bardili und dem Reinhold, sondern der A[llgemeinen]L[iteratur]Z[eitung] auf die Finger klopfte: denn eigentlich ists doch ein indirekter Angriff von dieser auf ihn, oder eigentlich ein sehr direkter. – Vielleicht könntest auch Du darüber notiziren! – Vielleicht auch über das Maximum! – Notizire nur, die Notizen sind ja nun permanent erklärt; was nicht ins Athen[aeum] geht, bleibt uns gut. –
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  • Date: Montag, 5. Mai 1800
  • Sender: Friedrich von Schlegel ·
  • Recipient: Friedrich Schleiermacher ·
  • Place of Dispatch: Jena · ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 25. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Höhepunkt und Zerfall der romantischen Schule (1799 ‒ 1802). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Hermann Patsch. Paderborn 2009, S. 104‒107.
Language
  • German

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