[Dorothea Veit:]
Jena den zweyten Juny 1800
Ich erwarte mit der größten Ungeduld Ihre endliche Entscheidung, liebe Levin, denn auf diese kömt es an wie lange ich noch hier bleiben soll. Ich fürchte beinah Sie kommen nicht, da schon zwey Posttage vorüber sind, seit Sie mir haben schreiben können. Sie thäten aber Unrecht nicht zu kommen, denn es ist sehr gut hier. Man wird durch nichts in seiner Existenz gestört, das ist alles dünkt mich, was man im bürgerlichen Leben verlangen kann; nächstdem hat man hier nicht den zehnten Theil der Entsagungen als in Berlin nöthig, auch bey der eingeschränktesten Lebensart; das beste was man hat, nemlich die Natur, wird mit wenigen Unkosten genossen. Also strengen Sie sich ganz erstaunlich an, und kommen Sie; alle die kleinen Reisen, die ich diesen Sommer in der Gegend machen wollte, und die alle sehr erfreulich sind habe ich aufgespart um sie in Ihrer Gesellschaft zu machen.
Von Carolinens Geschichte ist mirs zu weitläuftig zu schreiben, das erzähle ich Ihnen einmal. Sie haben freylich recht mit Nachsicht; das ist das erste was man haben muß; auch bin ich nicht mit dem was unzufrieden, nur mit dem wie! So hätten wir beyde es nicht gemacht! Schelling gefiel Ihnen? Das wundert mich; ich habe gefunden daß man ihn lieben muß um ihn liebenswürdig zu finden. Wollen Sie die Begebenheit als eine Henriade nehmen, so werden Sie den Umstand noch dazu nehmen müßen que l’auguste verité n’y est point descendue des cieux[.] Das ist doch schon sehr schlimm. Wer wird eine Maskerade zur ewigen unabläßigen Beschäftigung machen? – Ob Wilhelm rassasié, occupé ou aveugle ist? – tous les trois, mà chère Enfant! Er hat sich auch eben nicht zum schönsten dabey genommen, und oft hat man nicht gewußt soll man fluchen, lachen oder weinen? und darum hat man alles auf einmal thun müssen. Daß Sie meine Beschreibung des Frühlings kindisch gefunden haben, ist mir sehr lieb. Glauben Sie daß man ohne Kind zu seyn den rechten Sinn dafür hat? – Kinder sind etwas himmlisches liebe Levy! mein Philipp macht die Freude meines Herzens, der Junge hat herrliche Anlagen! Sehen Sie zufällig wohl einmal meinen Jonas? wenn Sie herreisen so lassen Sie sich ihn eigenst einmal kommen damit Sie mir recht von ihn erzählen können. – Und nur recht bald Antwort ob Sie kommen? Daß Sie kommen? Die Furcht vor den Studenten legen Sie ab. Der Humanitäts Ton nimmt immer mehr überhand und man ist sehr sicher, ich gehe allein im Gebirge spazieren, und habe noch nicht die geringste unangenehme Begegnung erfahren. Wie sehr werden Sie den müßigen Muthwillen der Studenten gebildet finden, gegen die geschäftige Rohheit des Berliner Militärs, und Kaufmannsbursche, die doch unaufhörlich die Straßen füllen? Man geht nicht hier aus oder man hört von Wilhelm Meister, von der Transcendental Philosophie und von Sylbenmaßen sprechen! Dabey ertönen aus jedem Hause Guitarren und Geigen! Kann man sich nur für solche Leute fürchten!
Haben Sie etwa die Pauline gelesen so schreiben Sie mir etwas darüber. Ich habe es besonders sehr interressant gefunden wie die schöne Pauline endlich aus lauter Tugend und Edelmuth zur Madame Unger wird! Adieu. Salut et amitié.
DV.
[Friedrich Schlegel:]
Schon neulich wollte ich einen kleinen Zettel beylegen, um meine Freude über Ihr Herkommen zu bezeigen. Ich glaubte wirklich, Sie würden nun in einigen Tagen bey uns absteigen und sah mich schon nach jedem Reisewagen um. – Geht es mit diesem Plan auch wie mit den übrigen? Wenn er auch scheitert, so werde ich mich doch freuen, daß Sie den Gedanken haben so ganz mit uns und nur mit uns zu leben: denn das hätten Sie freylich gemußt.
Mit der Dedikation der Ideen an Nov.[alis] das ist weder so ernstlich noch so schlimm gemeynt, daß ich mich nicht sehr freuen sollte, wenn eine verwandte Seele die ihrige in diesen hingeworfenen Winken wieder findet.
Kömmt Ihnen der sogenannte Jean Paul in Berlin vor, so versäumen Sie ihn nicht. Ich habe ihn neulich kennen lernen und bin sehr zufrieden mit ihm[.]
Warum ist es nur heute so kalt, grade da ich Ihnen schreiben will? Besser wäre es wir sprächen mit einander. Mit Tieck spricht man sich so einen Winter hindurch sehr gründlich zu Ende. Wie macht ers nur, daß er so lange mit sich seyn kann?
Erhalten Sie mir die kleine Stelle in Ihrem freundschaftl[ichen] Andenken an die ich so viel Recht als Glauben habe.
Friedr S.
Jena den zweyten Juny 1800
Ich erwarte mit der größten Ungeduld Ihre endliche Entscheidung, liebe Levin, denn auf diese kömt es an wie lange ich noch hier bleiben soll. Ich fürchte beinah Sie kommen nicht, da schon zwey Posttage vorüber sind, seit Sie mir haben schreiben können. Sie thäten aber Unrecht nicht zu kommen, denn es ist sehr gut hier. Man wird durch nichts in seiner Existenz gestört, das ist alles dünkt mich, was man im bürgerlichen Leben verlangen kann; nächstdem hat man hier nicht den zehnten Theil der Entsagungen als in Berlin nöthig, auch bey der eingeschränktesten Lebensart; das beste was man hat, nemlich die Natur, wird mit wenigen Unkosten genossen. Also strengen Sie sich ganz erstaunlich an, und kommen Sie; alle die kleinen Reisen, die ich diesen Sommer in der Gegend machen wollte, und die alle sehr erfreulich sind habe ich aufgespart um sie in Ihrer Gesellschaft zu machen.
Von Carolinens Geschichte ist mirs zu weitläuftig zu schreiben, das erzähle ich Ihnen einmal. Sie haben freylich recht mit Nachsicht; das ist das erste was man haben muß; auch bin ich nicht mit dem was unzufrieden, nur mit dem wie! So hätten wir beyde es nicht gemacht! Schelling gefiel Ihnen? Das wundert mich; ich habe gefunden daß man ihn lieben muß um ihn liebenswürdig zu finden. Wollen Sie die Begebenheit als eine Henriade nehmen, so werden Sie den Umstand noch dazu nehmen müßen que l’auguste verité n’y est point descendue des cieux[.] Das ist doch schon sehr schlimm. Wer wird eine Maskerade zur ewigen unabläßigen Beschäftigung machen? – Ob Wilhelm rassasié, occupé ou aveugle ist? – tous les trois, mà chère Enfant! Er hat sich auch eben nicht zum schönsten dabey genommen, und oft hat man nicht gewußt soll man fluchen, lachen oder weinen? und darum hat man alles auf einmal thun müssen. Daß Sie meine Beschreibung des Frühlings kindisch gefunden haben, ist mir sehr lieb. Glauben Sie daß man ohne Kind zu seyn den rechten Sinn dafür hat? – Kinder sind etwas himmlisches liebe Levy! mein Philipp macht die Freude meines Herzens, der Junge hat herrliche Anlagen! Sehen Sie zufällig wohl einmal meinen Jonas? wenn Sie herreisen so lassen Sie sich ihn eigenst einmal kommen damit Sie mir recht von ihn erzählen können. – Und nur recht bald Antwort ob Sie kommen? Daß Sie kommen? Die Furcht vor den Studenten legen Sie ab. Der Humanitäts Ton nimmt immer mehr überhand und man ist sehr sicher, ich gehe allein im Gebirge spazieren, und habe noch nicht die geringste unangenehme Begegnung erfahren. Wie sehr werden Sie den müßigen Muthwillen der Studenten gebildet finden, gegen die geschäftige Rohheit des Berliner Militärs, und Kaufmannsbursche, die doch unaufhörlich die Straßen füllen? Man geht nicht hier aus oder man hört von Wilhelm Meister, von der Transcendental Philosophie und von Sylbenmaßen sprechen! Dabey ertönen aus jedem Hause Guitarren und Geigen! Kann man sich nur für solche Leute fürchten!
Haben Sie etwa die Pauline gelesen so schreiben Sie mir etwas darüber. Ich habe es besonders sehr interressant gefunden wie die schöne Pauline endlich aus lauter Tugend und Edelmuth zur Madame Unger wird! Adieu. Salut et amitié.
DV.
[Friedrich Schlegel:]
Schon neulich wollte ich einen kleinen Zettel beylegen, um meine Freude über Ihr Herkommen zu bezeigen. Ich glaubte wirklich, Sie würden nun in einigen Tagen bey uns absteigen und sah mich schon nach jedem Reisewagen um. – Geht es mit diesem Plan auch wie mit den übrigen? Wenn er auch scheitert, so werde ich mich doch freuen, daß Sie den Gedanken haben so ganz mit uns und nur mit uns zu leben: denn das hätten Sie freylich gemußt.
Mit der Dedikation der Ideen an Nov.[alis] das ist weder so ernstlich noch so schlimm gemeynt, daß ich mich nicht sehr freuen sollte, wenn eine verwandte Seele die ihrige in diesen hingeworfenen Winken wieder findet.
Kömmt Ihnen der sogenannte Jean Paul in Berlin vor, so versäumen Sie ihn nicht. Ich habe ihn neulich kennen lernen und bin sehr zufrieden mit ihm[.]
Warum ist es nur heute so kalt, grade da ich Ihnen schreiben will? Besser wäre es wir sprächen mit einander. Mit Tieck spricht man sich so einen Winter hindurch sehr gründlich zu Ende. Wie macht ers nur, daß er so lange mit sich seyn kann?
Erhalten Sie mir die kleine Stelle in Ihrem freundschaftl[ichen] Andenken an die ich so viel Recht als Glauben habe.
Friedr S.