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Dorothea von Schlegel to Friedrich Schleiermacher

Jena den 16ten Juny 1800
Ich hoffe Sie haben Ihrem Genius gefolgt lieber Freund und wirklich an V[eit] geschrieben wie Sie es zu thun willens waren, denn ich kann mir in der Welt nicht denken was Jette bewogen hat, nicht ganz zufrieden damit zu seyn? Waren Sie mit meinen Brief an ihn zufrieden? und haben sie ihn vorläufig abgeschickt? – Wir sizen vor der Hand noch ganz ruhig und erwarten den Lauf der Begebenheiten. Nach Berlin kommen wir also nicht; ob wir nun vor der Hand noch hier bleiben, oder nach Dresden gehen hängt von einer großen Menge kleiner Umstände ab. Ich habe, wie Sie aus meinen Briefe werden gesehen haben, V[eit] um eine Unterredung gebeten; diese soll vieles entscheiden. Wenn nur etwas ordentliches mit ihm zu reden wäre! Gesezt auch ich spreche stark und eindringlich mit ihm, wird er nicht wieder weinen und mich rühren wollen? dafür fürchte ich mich mehr als für kräftigen Wiederstand. Alles wäre entschieden, wenn er sich bereden ließe mir den Philipp zu lassen, auch wenn ich mich mit F[riedrich] trauen lasse! Friedrich kann allerdings viel für ihn thun, und er will es auch sehr gern[,] nur, sagt er, müßte ihn Philipp überlassen bleiben, und er nicht immer in Furcht seyn daß man ihn zurücknimmt; diese Zweifel entfernen sein Herz von den Knaben. Mann würde aber nicht dran denken ihn uns zu nehmen, so lange wir uns nicht heyrathen, ich begreife also nicht recht was Friedrich jezt abhält sich seiner anzunehmen? Warum dringt ihr so sehr auf das trauen lassen auch Friedrich dringt darauf. Er erwartet zu viel von dieser Crisis. Es ist doch nur etwas äußerliches! aber auch als solches will ich es nicht ganz verwerfen, nur kann man keinen innern Vortheil davon erwarten, und zu dem äußern muß man den günstigsten Augenblick abwarten; dieser ist aber noch nicht gekommen; Es will sich durchaus jezt noch nicht schicken, jezt muß es die Verwirrung nur noch mehren. – Philipp hat wieder einen heftigen Fieberanfall gehabt, ich darf ihn noch nicht weggeben. Und wenn er uns gelassen wird, warum sollten wir ihn im Grunde nicht so gut behandeln und Unterrichten können als andre Pensions Herrn? mit Hülsen wär es freilich etwas anders, der Himmel gebe daß seine Frau wieder besser wird. Auch müßte ich erst selbst sehen, und selbst sprechen mit der Frau. Sie sehen lieber Freund, die Fäden sind verworren, man muß sich almählich durchwinden; mit dem Zerschneiden kömt man freilich kürzer auseinander, aber dann sind sie auch völlig unbrauchbar. F[riedrich] wünscht uns vorzüglich darum verheyrathet zu sehen damit wir bey Charlotten leben könnten, es wäre mir auch herzlich lieb, aber übereilen läßt es sich nicht.
Philipp lernt viel, er ist für sein Alter, und seine Kräfte weit genug. Welche Scheu haben Sie für die Veränderung des Orts die Erziehung des Knaben betreffend? Ich bin im Gegentheil recht sehr dafür; und die Folgen rechtfertigen mich. Er wird geschickt, und lernt sich schicken, das ist ja der Zweck und Ziel aller modernen Erziehung; Eine Heymath, ein Vaterland, und väterliche Laren giebt es nicht mehr; die Fremde heißt nicht mehr Barbarey! – Ich wünschte nur ich könnte auch den Jonas einmal mit mir herum ziehen lassen, es wäre ihm gewiß gesund.
Ob, und wenn Caroline wieder kömmt ist uns allen noch verborgen; uns ist es gleichgültig denn wir bleiben auf keinen Fall hier im Hause, wenn wir auch den Winter hier bleiben. Ich habe mit der Madame Paulus jezt eine ziemlich genaue Bekannschaft errichtet, diese will uns in ihrer Nähe, ein kleines Quartier einrichten helfen. Sie ist eine recht artige Frau, und bey weitem die gescheuteste die ich hier so unter den Damen habe kennen lernen. Goethe hat eine Zeit lang mit ihr gespielt, und endlich sie verlassen, wie er es allen macht; doch ist er ihr immer noch gewogen, und bittet sie öfterer als die andern wenn er Gesellschaft hat. Paulus ist ein kluger gescheuter Mann, sie leben zusammen auf einen sehr artigen Fuß, wo auf keine Weise, und in keiner Ecke irgend etwas ungeschicktes hervorguckt; Sie wissen, daß dieses das Verdienst beyder seyn muß; so bald einer von beyden Lächerlichkeiten gut zu machen hat, die der andre vor bringt, so ist es, und bleibt es lächerlich und fatal, so gut er es auch macht! Weil dieß aber bey Paulus und seine Frau niemals der Fall ist, obgleich von einer rechten Ehe wohl keine Spur ist, so sind sie schon deshalb für feine Leute zu achten. Sie haben ein sehr hübsches Kind, eine Tochter die sie sehr sorgfältig erziehen. Ich glaube Madame Paulus möchte Ihnen gut gefallen sie hat etwas capricieuses, das auf eine artige Weise die Stelle des tiefen Charakters ersezt, und im Umgang ist sie leicht und gefällig; auch gehe ich nur mit ihr um, weiter nichts, denn vom Göttlichen hat sie keine Ahndung. – Die Lucinden Briefe habe ich zu mir genommen, und muß Ihnen dafür danken, denn es ist wahr, daß Sie mir manches in der Lucinde haben besser verstehen lernen, wenigstens ihm klar und bestimmt seinen Platz angewiesen wo ich es hin zu thun habe; sie sind eine erfrischend gereifte Frucht aus der LucindenBlüthe gesprossen, und Eleonorens Fragmente waren für mich der süße Kern. Mich dünkt Sie haben so scharfsinnig noch nichts geschrieben und so leicht und klar; Friedrich rühmte auch die religiöse Gewißenhaftigkeit. Soll ich Ihnen aber ein Geständniß ablegen? – eigentlich dürfte ich gar nicht darüber urtheilen, denn ich fühle es deutlich daß Sie es weit schlechter hätten machen können, und ich hätte mich dennoch damit gefreut, ich fühle es daß die Absicht mich besticht; jede andre Polemik wäre überflüßig, die Absicht der Briefe ist an sich schon eine fürchterliche Rache und die Zueignung ist ja vollends das Flammenschwerdt das den Unverständigen an Eingang des Paradieses entgegen blitzt; dem Himmel sey Dank das diese nicht ist weggenommen worden, wie Sie es Anfangs willens waren. Die andern sind sehr vom Versuch über die Schamhaftigkeit entzückt; ich will aber nicht zu schamhaft seyn Ihnen zu gestehen, daß ich ihn noch nicht so recht fort habe; es wird aber wohl noch kommen. Mir war es als zögen Sie Discretion und Bescheidenheit mit hinein; Schamhaftigkeit habe ich mir immer als das Bewußtseyn der Blöße gedacht, das ganz natürliche Gefühl wovon in der Bibel steht, daß die Menschen durch den Fall erhielten, mit dem Verstand zu gleicher Zeit. also je mehr Verstand, je mehr innerliche Schaamhaftigkeit, wegen des bekannten Bewußtseyns, aber auf keinen Fall eine Tugend. haben Sie es eben so gemeint? oder wie? – Der fünfte Brief ist recht Sophistisch, Karoline hat ganz Recht, er geht schlecht mit den Mädchen um; aber Ihre Versuche zu lieben sind exellent, und machen alles klar und gut. – Daß mir nun die Briefe von und an Leonoren die liebsten sind, wird Sie weiter wohl nicht wunder nehmen! – Dürfte ich Eleonoren in Lucindens Namen und in ihrer Seele antworten, so würde ich sagen, über das was ihr ein Mißton im Duett dünkt: eben weil der Grund auf die Ewigkeit der Liebe ruht, darum muß sie entsagen können ohne Furcht die Liebe zu zertrümmern. Sie muß entsagen wollen können, oder sie darf nicht besizen wollen. Außer das Lucinde Julius Geliebte ist, ist sie auch noch ein freyes Wesen, wer nicht entsagen will, der muß es endlich. – Den zweiten Mißlaut den Friedrich will im Duett gefunden haben, wag ich nicht in Julius Namen zu wiedersprechen, darüber hängt der undurchdringliche Vorhang der Individualität, den auch Lucinde wohl niemals hinweg zu heben vermochte, und aus heiliger Ehrfurcht lieber zurück trat. – Sie sehen wie aufmerksam ich die Briefe studirt habe, und wie sehr sie mich interreßiren. Das muß ich Ihnen aber doch sagen, daß sie mir wenigstens so kühn wie die Lucinde selbst zu seyn scheinen, und daß sie der Welt hoffentlich mit ihrer Gründlichkeit den Kopf vollends verrücken wird.
Sie sehen ich habe den Ramdohr ein wenig gewaschen, und zwar auf ausdrücklichen allerhöchsten Befehl; es ist schon seit Ostern fertig nun thut es mir leid daß es im allerlezten Stück kommen soll, wo eigentlich nichts als Hochgebornes hinein kommen müßte. Es ist schlecht geschrieben, und zum abschreiben kann ich mich nicht entschließen, Sie sorgen ja für die Korrectur, daß die Zeilen bald ein, bald hinausgerückt sind bedeutet weiter nichts. Hören Sie Lieber geben Sie doch Ihr Gespräch noch hinein, wollte Gott, daß nicht alle Notizen hinein kommen, was in den beyden lezten Stücken so hübsch ironisch nachläßig als Anhang da war das käme nun im lezten so schwerfällig als Hauptstück; so verlieren die Notizen an Anmuth und das Athenäum an Würde. Schaffen Sie noch etwas, guter Schleyer! Friedrich ist ein Gott an Faulheit, er könnte wohl noch etwas aus seinem Ungeheuern Magazin von Materialien zusammen fügen. Was sollen nur die Papierhaufen die er stündlich mehrt? Auch den Florentin bekommen Sie noch nicht, weil Friedrich une[r]müdlich faul ist.
War denn Jean Paul nicht bey Jetten? über diese Begebenheit müßte sie mir doch schreiben! was hat er zu ihr gesagt? was sagt sie von ihm? hat ihn denn kein Mensch zur Recha Itzig geführt? die müßte ihn ja unendlich interreßiren, der Blindheit halber und der permanenten delicacy! – Daß Sie glauben, er könnte Sie nicht leiden, und daß Sie ihn sich abstemmen, das habe ich aus den Monologen verstehen lernen. – Seinen Titan habe ich lesen wollen, aber es geht nicht, man lernt nichts neues von ihm darin, es sind immer dieselben Narren, mit andern Kappen.
Meinen Brief an die Mutter haben Sie wahrscheinlich besorgt.
Vorige Woche habe ich einen Brief von Humboldt gehabt, also auch wahrscheinlich Jette einen. Seine Frau ist wieder niedergekommen[,] er wird im Herbst hier durch nach Berlin reisen.
Sagen Sie mir nur war denn Ihr Glaube an die Lotterie so sanguinisch, daß Sie ein ganzes Loos für uns genommen hatten?
Wie viel haben wir Ihnen denn nun zu bezahlen? Sie nehmen doch wieder ein halbes Loos für Uns? Mitspielen muß man sich doch nicht nehmen lassen. Wir haben jährlich 24 r[th] für 2 halbe Loose festgesetzt.
Nun einige Oekonomika.
Ich möchte gern von der Herz die Berechnung der paar Thaler haben die sie für mich ausgelegt hat; vielleicht muß ich mit Carolinen etwas davon verrechnen. auch weiß ich noch nicht ob Sie sich schon die 5te Classe bezahlt gemacht haben oder nicht. Ist diese schon gezogen? Wenn wir doch gewönnen!
Dann bitte ich Sie mir bey Bütow auf den Mühlendamm meine Rechnung hohlen zu lassen, damit wir sie gleich mit der Sendung des Lucinden M[a]n[u]s[c]r[ip]t bezahlen können; so viel als sie beträgt wird Fröhlich ja wohl vor Beendigung des Drucks hergeben. Es werden 20 r[th] oder etwas mehr seyn. Die Rechnung bitte ich aber gleich hohlen zu lassen, damit er nicht etwa glaubt, ich hätte es vergessen, und meldet sich hernach bey den Gebrüdern Veit. Das wäre sehr empfindlich für mich.
Jetten bat ich damals sich von der Langen mein Waschgeräth, und noch einige Wäsche einhändigen zu lassen, wenn sie es nicht etwa schon der Bernhardi gegeben hat. Darauf habe ich aber keine Antwort bekommen. Wenn Jette Gelegenheit fände, das Waschgeräth und die Badewanne a tout prix zu verkaufen, das wäre mir sehr angenehm. Die Langen wird doch keine Schwierigkeiten machen es heraus zu geben?
Wenn Sie überhaupt einiges von meinen Sachen unter der Hand gut verkaufen könnten, so hätte ich eine rechte Sorge weniger; denn wenn ich nicht nach Berlin komme müßen sie doch verkauft werden. Hier auf der andern Seite habe ich das Register meiner Sachen gesezt, und wie sie vertheilt sind. Da wo ein Kreuz dabey steht, die möcht ich verkaufen, wenn ich nicht nach Berlin komme; wo aber kein Kreuz stehet, die möchte ich vor der Hand noch behalten. Denn wenn wir den Winter etwa hier bleiben, so brauchen wir einiges davon, was wir uns müssten nachkommen lassen. Das bureau möchte ich als ein Geschenk von Brinkman gern erhalten, auch ist es von großen Werth; auch mit dem Clavier will ich mich nicht übereilen, die Bernhardi nimt es gewiß gut in Acht. Betten und Küchengeräth aber müsste ich mir herkommen lassen, sie sind schwer zu haben, und man bekömt wenn man sie verkaufen will, hier mehr dafür als in Berlin.
bey der Bernhardi
+ Bier und Weingläser
+ Tassen,
Theelöffel
+ Messer und Gabel
+ Theezeug
+ Theemaschine
+ Spiegel
+ Tische
Bureau
Clavier
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Bey Mendelsohns
Betten
+ Sopha
+ Stühle
+ Kommode
+ Bettstellen
+ Waschtisch
einen Kasten mit Küchengeräth
+ ein Küchenschrank
+ Fayance Geschirr
+ einen Stuhl mit einer commodität
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+ Bey Fichte einen Sopha
+ Bey Schleyermacher den Stuhl für Friedrich
Fayance, Theezeug und Meuble ist hier aber um billigen Preis zu haben.
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Schreiben Sie mir was Jette macht, seit Ihrer lezten Nachricht denke ich mit Unruhe an sie.
Uebrigens geht es uns gut; ich bade, und bin recht wohl, aber schlechtes Wetter haben wir jezt. Wir haben hier seit einiger Zeit hübschen Spaß mit einigen Bewundrern und Nachahmern von Tieck und Friedrich, die auch in Tiecks Journal tüchtig persiflirt werden. Der eine ist Clemens Brentano; der legt sich darauf Tiecks Nachahmer zu seyn; und schämt sich seiner Sentimentalen Ader, die er doch gar nicht verleugnen kann. Er hat eine Farce geschrieben, „Gustav Vasa“, worin er glaubt der Tieck des Tiecks zu seyn; es ist aber herzlich dumm und toll, und klingt doch wie Tieck ungefähr, so daß sich dieser tüchtig darüber erboßt, und darum hat er ihn auch so derb mitgenommen im Journal. Uns hat er aber den Anfang eines Sentim[ent]alen Romans zu lesen gegeben der ist ungleich besser, und das verdrießt ihn nun wieder, er will vor Teufels Gewalt satirisch seyn. Kurz es ist ein Hauptspaß!
adieu.
Dorothea
Denjenigen die die Recension der Lucinde schön finden, wünsch ich von ganzen Herzen daß sie niemals etwas schöneres lesen sollen. Amen.
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Metadata Concerning Header
  • Date: Montag, 16. Juni 1800
  • Sender: Dorothea von Schlegel ·
  • Recipient: Friedrich Schleiermacher ·
  • Place of Dispatch: Jena · ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 25. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Höhepunkt und Zerfall der romantischen Schule (1799 ‒ 1802). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Hermann Patsch. Paderborn 2009, S. 121‒126.
Language
  • German

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