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Friedrich von Schlegel, Dorothea von Schlegel to Friedrich Schleiermacher

Es ist endlich Zeit, einmal vernünftig an Dich [zu] schreiben, und überhaupt muß es nun wieder öfter und ordentlicher geschehn da die Hoffnung, uns zu sehen, für jetzt verschwunden ist. Ich kann mich noch gar nicht darin finden, habe auch keine Lust es zu thun, sondern habe etwas anders ausgedacht, was mir sehr thunlich scheint, und womit ich gleich anfange, denn es liegt mir sehr am Herzen.
Du weißt wir haben auf den Winter ein Logis gemiethet; das ist nun geräumig genug für noch einen Freund. Wie herrlich wäre es wenn Du uns im Herbst besuchtest auf einige Wochen, und wie leicht muß das eigentlich zu machen seyn. Die ganze Reise kann Dir nicht über 40 r[th] kosten; Du bist in 3 Tagen hier, und in eben so vielen zurück. Mir kostete damals die Reise noch nicht 18 r[th], und ich hatte gewaltige Ueberfracht und weiß es nicht so oekonomisch einzurichten wie Du. – Ritter allein würde Dir die Reise lohnen, auf Hardenberg bist Du wohl ohnehin begierig genug; Goethe würde Dir wohl eine ungleich interessantere Bekantschaft gewähren wie Fichte, und würde Dich gewiß sehr freundschaftlich aufnehmen. Die Hauptsache aber ist, daß wir hier in acht Tagen mehr wirklich beysammen seyn können, als in einem halben Jahre zu Berlin, wo die langen Straßen und die breiten Menschen einen so sehr trennen. Danach verlangt mich recht herzlich. Ueberlege Dir ernstlich; wenn Du nicht schon eine große Reise etwa nach Preußen in diesem Jahre machen mußt, wovon ich doch seit langem nichts gehört habe, so kann ja der Urlaub wohl auch keine Schwierigkeit machen.
Kannst Du mir eine Uebersicht von dem geben was Du eigentlich von Deinen Arbeiten für unsre gemeinschaftl[iche] philosoph[ische] Schrift bestimmt hast; denn da ich immerfort construire, so kann ich es nicht früh genug wissen. – Da ich nun einmal länger hier bleiben soll, so denke ich den Winter zur Veränderung auch einmal transcend[entalen] Idealismus zu lesen, wenn das Glück gut ist.
Neulich gabst Du große Hoffnungen von der Ŧ Ansicht der Gottheit, der Kritik der Moral, und ich bin im Hoffen auch für andere sehr sanguinisch; daher hat es mich traurig überrascht daß Du bei genauerm Ueberschlage auf diesen Winter keinen Raum dafür gefunden hast. Sage mir etwas tröstliches darüber. Was ich ganz unsäglich wünschte, wäre daß Du recht bald etwas über die Christen schreibst, Deine Ansicht der Gnostiker[,] der vorzüglichsten Socinianer, alles was über die Geschichte der Christen reif in Dir ist, und dessen kann doch nicht wenig seyn. Mir däucht es wäre am populärsten und am polemischsten, das gleich auf die Reden folgen zu lassen, und mir wäre es am erwünschtesten. Für Styl und Form würde Dir der mehr historische Stoff gewiß sehr gut thun. Fast möchte ich es Dir zur Pflicht machen, den Jak[ob] Böhme zu studiren. Es muß noch viel von ihm die Rede [seyn], weil in ihm grade das Christenthum mit zwey Sphären in Berührung steht, wo jetzt der revoluzionäre Geist fast am schönsten wirkt – Physik und Poesie. Ritter hat ihn sehr studirt und will auch über seine Physik schreiben; das ist aber nur eine Seite. Tieck legt sich gewaltig auf ihn und wird ihn hinlänglich tieckisiren; denn in einen andern Geist einzudringen, das ist diesem Menschen nicht gegeben. Also wird Böhme vielleicht für den Tieck etwas thun, Tieck für d[en] Böhme aber gewiß sehr wenig. – Noch ein Grund, warum ich es besonders schicklich finde, den Böhme zu predigen, ist daß sein Nahme schon den größten Anstoß bey den Philistern erregt; kein andrer kann mehr polemische Energie haben.
Da Du einmal so viel metrisches Zutrauen zu mir hast, so bitte ich Dich mir zu sagen was Du in der Sapphischen Form suchst. Ich glaube man sollte keine antiken Sapphischen Oden machen, weil das was man damit wollen kann, durch romantische Formen (die freylich bis jetzt im Deutschen noch nicht versucht sind außer von mir) für uns besser erreicht werden kann. Mit der Elegie ists freyl[ich] etwas anderes. Das Kunststück in Nikon und Heliodora ist eben keins der schwersten: ich habe noch gar andre Dinge versucht. Ich wollte Dir aber auch in W[ilhelm]’s Sonetten einige zeigen, in denen mehr Kunst und mehr Künsteley ist. Daß diese Fichten so gefallen können, gefällt mir wieder sehr an diesem.
Bleibt es nun noch dabey, daß Du den Philebus und den Charmides oder Lysis für den ersten Theil übersetzest? – Ich bin jetzt wieder am Lesen, schon mit dem bestimmten Zweck des Wählens, und wenn das erst geschehen ist, werde ich auch gleich an die Ausführung gehen. – Die Rede über das Studium aber dürfte wohl bis zuletzt bleiben. Denke sie Dir etwa in der Art wie die über die Mythologie, aber in größeren Verhältnissen, also historischer und durchgearbeiteter. Aber wenn ich nur erst wieder von neuem mit Plato recht gesättigt bin, hoffe ich sie doch sehr schnell schreiben zu können. Die Hauptideen dazu habe ich.
Endlich erfolgen die Exemplare! Ich hoffe die intellektuale Anschauung des Velin wird Dich noch mehr mit dem Totaleindruck des Ganzen aussöhnen. In einer Rücksicht hast Du mir zu einer Enttäuschung geholfen, die mir sehr lieb ist. Bey einer so complicirten Idee wie die der Luc[inde] kann sich leicht ein Fehler in die Construction einschleichen, und schon ein falsch gewähltes Wort kann einen solchen Fehler constituiren. – Scherz kann mir gar nicht zu viel in der Luc[inde] seyn; und auch des Naiven nicht zuviel und nicht zu naiv. Aber Ironie gehört nicht hieher, und die welche im Meister und Sternbald ist, möchte ich hier nicht haben. Die Täuschung ist hier sehr fein und leicht; grade auf diesem Punkt denkt man sich jenes Naive was jeder als nothwendig und fast das wesentlichste fühlt, leicht als Ironie, die ohnehin die Seele der arabesken Form ist. – Manches beziehst Du nun freylich darauf, was ich nicht darauf beziehe; so würde ich die Reflexion bey einer Umarbeitung nur noch weiter und stärker entwickeln. Meine Absicht damit zu rechtfertigen, das würde wie so manches andre zu weitläuftig seyn, und muß ichs mir aufs Mündliche vorbehalten. Einiges wird auch schon der 2te Theil erklären.
Frage doch Heindorf was eigentl[ich] mit d[em] Timaei Sophistae Lexicon (ed. Ruhnken[ii]) ist und ob wirs wohl haben müssen?
W[ilhelm] bittet sehr die spanischen ñ zu respektiren, und nicht zu leiden daß sie etwa als nn gedruckt werden, da jenes ein ganz andrer Buchstabe ist. Ich wiederhole die Bitte um die sorgfältigste Correctur.
[Dorothea Veit:]
Die Freundin grüßt, und entschuldigt sich mit den Pyrmonter Brunnen. Friedrichs Einladung bitte ich aber gehörig zu Gemüthe zu ziehen. Meine Bitte vereinigt sich mit der seinigen.
Der arme arme Hülsen! – Wir müßen alles sacht angehn lassen.
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Metadata Concerning Header
  • Date: Dienstag, 1. Juli 1800
  • Sender: Friedrich von Schlegel · , Dorothea von Schlegel ·
  • Recipient: Friedrich Schleiermacher ·
  • Place of Dispatch: Jena · ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 25. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Höhepunkt und Zerfall der romantischen Schule (1799 ‒ 1802). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Hermann Patsch. Paderborn 2009, S. 130‒133.
Language
  • German

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