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Dorothea von Schlegel to Friedrich Schleiermacher

den 4ten July 1800
Sie thun viel für uns, das ist gewiß, von meiner Dankbarkeit zu sprechen bin ich zu schamhaft. Ihren Versuch über die Schamhaftigkeit werde ich nun mit dem Licht, mit dem Sie mich ausgerüstet aufs neue lesen, so bald mir der Arzt wieder zu denken erlaubt. Ich nahm freylich die Schamhaftigkeit zu grob und primitiv! Deutlicher als Ihnen Friedrich über Wilhelm sein Urtheil, über Ihre Feinheit, und Ihre Kraft geschrieben, werde ich wohl schwerlich können. Es ist simpel; er meynt: daß während der großen Feinheit der Form, vielleicht das Ursprüngliche in Gefahr stehet an Kraft zu verlieren. – Ach was! nehmen Sie es nicht so genau! Auch Friedrich hat es ehrlich gemeynt mit dem was er „Ihre religiöse Gewissenhaftigkeit“ nannte und gar nicht so doppelsinnig als Sie es auslegen ich habe es aber immer gesagt, er würde noch dermaßen in der Virtuosität der Ironie zunehmen, daß seine Freunde selbst ihn nicht über den Weg trauen würden. – Den Florentin sollen Sie auch haben, es ist schwer einen Abschreiber zu finden, ich habe zwar einen recht guten, der kann aber nur schreiben wenn er etwa zwischen den Collegien eine Stunde frey hat, es geht also langsam. Hoffentlich werden Sie ganz ohne Rücksicht mit der Bestimmung verfahren haben, und darauf freue ich mich eigentlich zu sehen welche Wendung Sie höchst geschickt und Meisterhaft nehmen; diese Notiz der Bestimmung soll mir dieses mahl der große Faßsprung werden. Uebrigens können Sie sich denken wie rein meine Freude an dieser Notiz so wohl als am Engel seyn wird, da ich beyde gar nicht gelesen habe.
Um Anonym zu bleiben hätte das Geheimniß mit den Reden besser bewahrt werden sollen. Diesen erkennt man freylich so wohl in den Briefen als in den Monologen wieder; Fichte und Bernhardi waren also eben nicht ungeheuer scharfsinnig. Woher aber in aller Welt weiß Fichte meine Ansicht, des Verhältnißes beyder Geschlechter? habe ich denn darüber eine eigne Ansicht? und woher weiß sie Fichte wenn ich sie habe? – Ob Karoline herkömmt oder nicht ist sehr ungewiß, sie schreibt zwar an Schlegel oft, aber darüber nichts. W[ilhelm] ist schwerfällig und schwach. Er hat keine Idee davon daß Karoline nicht noch einmal herkommen müßte um sich mit ihm auseinanderzusetzen! nemlich etwa ein Dutzend Stühle, Teller, und Bettücher – was sie machen wird wenn sie erfährt daß Friedrich und ich hierbleiben ist zweifelhaft. Ich möchte wetten sie kömt nicht her, und wenn sie nur einiger maßen Nase hat, so kömt sie nicht, denn sie möchte einen schweren Stand hier haben. Sie ist zwar herzhaft genug die Welt zu brüskiren, aber keinesweges stark genug es auszuhalten von der Welt brüskirt zu werden. Sie glaubt tout bonnement daß jedermann das von ihr glaubt, was sie ihm will glauben machen! – Und wenn sie auch wirklich käme so fürchten Sie nichts unsertwegen lieber Schleyermacher. Sie wird uns gar nichts angehen, und thun kann sie uns vollends nichts. Seitdem sie weg ist, fangen F[riedrich] und ich an sehr beliebt bey den Menschen zu werden, man nähert sich uns von mancher Seite man gewinnt mehr und mehr Zutrauen zu uns. So nehmen sich z B. Paulusens mit vieler Freundschaft sich in weltlichen und geistlichen Dingen unsrer an; mit unserm Verhältniß wird man immer mehr gewohnt, und es wird uns nicht schwer ihnen eine Art von Respekt dafür einzuflößen. Die Leute sind hier bey weiten nicht so kraß als in Berlin, sie nehmen weit eher Vernunft an und verwundern sich nicht so gewaltig über jedes fremde; kurz thun kann Karoline uns nichts, auch haben wir schon eine Wohnung zum Winter gemiethet, die uns nicht mehr kostet, als die wir hier hatten; die kleinen Vortheile abgerechnet die das zusammen wirthschaften bringt; doch haben wir auch genug Nachtheil davon gehabt von der andern Seite; jede gene und jeder Verdruß kostet uns baares Geld aus den Beutel. Schleyermacher wenn Sie doch herkämen!
Wenn ich doch nur niemals von V[eit] seine Erbärmlichen Hoffnungen etwas hören sollte! Armer Freund was mußten Sie sich unsertwegen gefallen lassen! Ich warne Sie, und bitte Sie geben Sie sich mit ihm über nichts radicales mehr in ein Gespräch, es ist verlorne Mühe. Wenn d[er]gl[eichen] geschehen muß, (wozu aber durchaus jezt nicht der Moment ist) so muß man ihn ganz annihiliren dabey bleibe ich; ich kenne ja den Patron! Ueber alle kleinen Begebenheiten, und außenwerke kann man sich allenfalls mit ihm befassen so viel als Noth thut. Könnten Sie ihn bereden daß er sich eine Frau nimmt, Fleisch von seinem Fleische, und Geist von seinem Geiste, und mir die Kinder wie in Pension übergiebt, das wäre ein großer coup! Alsdenn verändere ich mein Verhältniß mit F[riedrich] auf keinen Fall; wenn wir hier bleiben, und es tritt keine neue Nothwendigkeit ein, so brauchen wir es ohnehin nicht; Hardenberg wird mir einen neuen Paß nach Dresden verschaffen, wenn wir einmal hinreisen wollten; dort zu bleiben habe ich keine Lust, es gefällt mir hier recht gut, es wäre blos um Charlotten kennen zu lernen und die Gallerie zu sehen; das braucht aber jezt noch gar nicht zu geschehen.
Wissen Sie denn schon daß die Levy her kommen will mit der Gräfin Schlabrendorf? gehen Sie doch einmal zu ihr hin, und horchen Sie ob denn noch etwas daraus wird? sie hat so lange gezögert nun haben wir gar keine Köchinn mehr, und essen Hundemittelmäßig vom Restaurateur, das können Sie ihr nur sagen. Da Rose doch eine von Ihren Mädchen geworden ist werden Sie ja wohl manchmahl hinkommen[.] Seit den 4ten Monolog habe ich mehr Respect für Ihre Mädchenliebe; vordem hielt ich’s für eine Einseitigkeit, was doch zu Ihrer größten Vielseitigkeit gehört. Es ist herrlich daß Eleonore kein Mädchen ist! Mir ist es nicht bestimmt sie kennen zu lernen, aber grüßen Sie sie von mir.
Metadata Concerning Header
  • Date: Freitag, 4. Juli 1800
  • Sender: Dorothea von Schlegel ·
  • Recipient: Friedrich Schleiermacher ·
  • Place of Dispatch: Jena · ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 25. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Höhepunkt und Zerfall der romantischen Schule (1799 ‒ 1802). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Hermann Patsch. Paderborn 2009, S. 133‒135.
Language
  • German

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