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Friedrich Schleiermacher to Friedrich von Schlegel

Donnerst. 10t. Juli 1800
Es ist vortreflich lieber Freund daß Du nun einmal wieder recht ausführlich geschrieben hast; da ist aber auch so viel zu antworten daß ich lieber gleich anfangen will: denn die lezte Zeit wird mir gewöhnlich untreu. Was zuerst Dein schönes Projekt betrift, so kannst Du leicht denken daß ich gar große Lust dazu habe; aber leider kann ich noch gar nichts bestimtes darüber sagen. Höre nur. Zuerst muß ich den Kalender machen von dem mich der Engel und Fichte wieder vertrieben hatten, und ehe der nicht fertig ist kann ich mich nicht von der Stelle rühren. Drei volle Monate brauche ich dazu gewiß dann ist beinahe Winter und es ist fast Schade Jena nicht im Sommer zu sehn. Doch daraus wollte ich mir gar nichts machen und die Natur in Gottes Namen fahren laßen. Zweitens aber müßte sich das doch mit Wilhelms Reise hieher so in einander fügen daß er nicht grade dann hieher wollte. Das ließe sich bei einigem guten Willen von beiden Seiten auch machen. Drittens habe ich zwar keine große, aber doch eine kleine Reise vor nach Landsberg, die müßte ich dann auch bis ins Frühjahr verschieben denn da es grade entgegen gesezte Richtungen sind so läßt sich Beides nicht vereinigen und zwei Urlaube bald hinter einander bekomme ich nicht. Viertens ist es wirklich mit dem Urlaub außer Landes eine schwierige Sache, und er kann mir allemal ohne Gründe abgeschlagen werden, wenn mir also einer einen Schabernak thun will so bin ich gleich drum. Fünftens bedenke nur wie knapp mir die Zeit werden muß für den Plato und die Jahrbücher. Sechstens weiß ich warlich nicht ob ich auch nur so viel Geld haben werde als dazu nöthig ist. Du siehst von allen diesen Punkten ist keiner für sich allein unüberwindlich; aber alle zusammen geben doch klägliche Aspekten. Das erste und vornehmste ist daß ich mein mögliches thue um mit dem Kalender fertig zu werden, und daran will ich es nicht fehlen laßen.
Was ich von Arbeiten gelegentlich gesagt habe hattest Du nicht so streng auf eine bestimmte Zeit beziehen sollen. Die Kritik der Moral indeß soll a[nn]o 1801 gewiß fertig werden wenn nicht ein besonderes Unglük dazwischen kommt. Zur Gottheit aber möchte ich mich gern erst von den Theologen oder Philosophen oder beiden reizen laßen, sonst müßte es wenigstens eine ganz andere Form bekommen als in der es mir jezt innerlich vorschwebt. Mit den Christen, lieber Freund, kann ich Dir gar nicht aufwarten, so sehr Du es auch wünschen magst. Reif ist darüber nichts in mir: Alles würde noch große und sehr fatigante Studien erfordern, und diese würden mich aus allem heraus sezen was mir am Herzen liegt und was ich um mein selbst willen thun und treiben will, wofür denn der Gewinn am Ende nur sehr gering ausfallen dürfte. Uebertrage diese Provinz vor der Hand lieber dem Hardenberg, wenn etwas darüber gesagt werden muß, was ich aber eigentlich nicht einsehe. Ein andres ist es freilich mit dem Böhm. Den werde ich allerdings studiren weil ich mir mit der Mystik noch viel zu schaffen zu machen denke; aber freilich das wann ist mir noch sehr dunkel, und nach allen Berechnungen, die ich vorläufig machen kann ist der früheste Termin 1804. Ad extra dächte ich übrigens wäre das nothwendigste mit dem Böhme daß man ihn skiagraphirte in usum saeculi mit einer rechten hautgout Sauce von Polemik und von Dithyramben für die Mystik. Ist das als dann noch nicht geschehen so will ich mich wol dazu verstehen. Unsere gemeinschaftlichen Philosophumena sollten meinem Wunsch nach nicht nur neben einander stehn sondern mit einer gewißen Nothwendigkeit zusammen gehören, sonst ists doch keine rechte συμφ [Symphilosophie]. Demnach läßt sich nicht so sagen was ich dazu bestimmt habe, am wenigsten von meiner Seite zuerst. Dies ließe sich am besten mündlich abmachen, wo sich eher findet, was der eine zu dem des Andern gehöriges hat – auch darum scheint mirs nothwendig, daß wir wieder ein Endchen zusammenlebten. Und wieviel giebt es nicht zu reden was sich gar nicht so schreiben läßt! Dahin gehört meines Erachtens auch sehr das über die Lucinde und das Verhältniß der Briefe zu ihr. Hierauf kann ich Dir so gar nicht antworten, es muß schlechterdings gesprochen sein. Auf den zweiten Theil bin ich höchst begierig. Tiek meint es sei gewiß daß Du noch nichts davon gemacht hättest als die Gedichte, und wenn Du etwa in Briefen mehr angedeutet hättest, so müße das auf Wilhelms Stube geschehen sein, wo Du es Dir vielleicht selbst einbilden könntest, auf Deiner eignen aber, die es beßer wüßte, gewiß nicht. Ich habe aber steif und fest den buchstäblichen Sinn gegen ihn behauptet. Die Shakspears Briefe haben mich eigentlich nicht außerordentlich interessirt. Von der Form wage ich nicht zu urtheilen wenn nicht Vieles darin rein zufällig und episodisch ist – was doch hier nicht sein sollte – so ist sie auf etwas sehr großes und verschlungenes angesehn; auf jeden Fall aber scheint mir das wenige Objektive und das Subjektive allzuscharf von einander abgeschnitten zu sein. Davon daß Tiek nicht gemacht ist in einen fremden Geist einzudringen werden sie am Ende wol auch einen Beweis geben. Ich habe Tiek und Bernhardis die Unverständlichkeit vorgelesen und sie waren höchst entzükt drüber. Der prikelnde Uebermuth ist ordentlich anstekend und wir waren einig daß Du noch nie so leicht und lustig gewesen bist. Und doch wie gar kein Skaramuz ist drin! Ob es diese Ueberlegung war, oder eine andre, aber über einige Stellen wurde Tiek ganz penseroso. Auf diese Unverständlichkeit kannst Du Dir eigentlich sehr viel zu Gute thun es macht einen göttlichen Effekt und alle die zum Narren gehabt werden müßen mit lachen. Den alten Essay habe ich gar nicht gesehn Du hast ihn glaub ich gemacht als ich in Potsdam war, und er ist mir hernach nie vorgekomen. – Noch etwas hat mir Tiek gesagt was ich nicht verstehe – Du habest nemlich Hardenbergen gar nicht wegen des Judenzolles wirklich geschrieben und es würde diesem eine Kleinigkeit gewesen sein es auszuwirken. Also habt Ihr nicht deswegen euern Entschluß geändert? Charlottens wegen oder weswegen? Mir, ich muß es gestehen schien es immer beßer unter den gegebnen Umständen in Dresden zu sein als in Jena. Es wird doch wenn Caroline wiederkommt ein verzwiktes Verhältniß geben, und überdies so lange Ihr Beide so seid ist es immer bequemer wenn Dorothea noch eine andere Patronage hat als Dich. Doch eure Einrichtungen sind einmal getroffen und so muß es wol daher bleiben[.]
Daß Du das über das Studium ans Ende verschieben willst, will mir gar nicht einleuchten, theils weil es wirklich in jeder Rüksicht beßer ist wenn so etwas voransteht, theils weil Du es in der Ankündigung gesagt hast und ich hoffe da Du doch jezt fleißig liesest und schon die Hauptideen und die Form im Kopf hast wird sichs noch machen laßen daß Du es schreiben kannst. Der Zeit wegen komt es wol auf eins heraus: denn wenn Du es nicht machst müßen wir eben desto mehr Dialogen bringen. Ich bleibe wol beim Philebus und werde ihm den Charmides um so lieber beigesellen da Heindorf nun er den Phädrus vollendet hat diesen bearbeiten wird. Machst Du aber das Studium nicht so werde ich wol noch einen nehmen müßen? Ueber den Timaeus Sophista habe ich Dir schon geschrieben, daß wir ihn allerdings haben müßen; auch ist es ja nur ein kleines Büchlein und macht wenig Umstände. Werden wir nicht aber auch den Kleukerschen Plato und was sonst von Uebersezungen existirt bei der Hand haben müßen? Nicht als ob ich glaubte daß viel daraus zu nehmen sein wird, sondern nur damit man uns keiner Nachläßigkeit zeihen kann. Wir werden überhaupt Alles haben müßen, was nur zu haben ist: denn man wird uns gewaltig auf dem Dach sizen.
Vor ein Paar Tagen habe ich in einer theologischen Zeitschrift die erste Recension von den Reden gelesen. Es stand aber nichts drin als eine Einladung sie zu lesen, es sei eine sehr originelle geistreiche und anziehende Schrift, und herrsche darin ein Mysticismus von der reinsten liberalsten und erhabensten Art. Dann waren einige Stellen aus der zweiten Rede ausgezogen. Von dem über Kirche und Christenthum was doch den Theologen am nächsten angeht kein Wort. Wenn sie mir Alle so kommen, werde ich zu meinen Ergießungen über die Gottheit nicht gereizt werden! Auch habe ich den Titan und die Clavis gelesen: leztere ist sehr dumm und in ersterem ist doch auch nicht das geringste Neue.
Auch Deine metrische Frage soll heute nicht unbeantwortet bleiben, so ordentlich bin ich. – Du mußt nur bedenken daß ich von der ausländischen modernen Poesie so gut als nichts kenne, und so kann es freilich Formen geben die das ausrichten können, wozu weder Sonette und Stanzen noch unsre deutschen melischen Formen (auf die ich übrigens nichts halte) geschikt sind. Indeß scheint es mir als gäbe es eben in der melischen Gattung Fälle wo offenbar ein bestimmtes, höchst bestim[m]tes Sylbenmaaß gefordert wird und nicht unsere gezählten Verse, und da scheint mir eben das Sapphische theils so sehr bestimmt, theils nicht sehr schwierig zu sein. Die Sphäre dieser Forderung getraue ich mir nicht genau zu bestimmen, vielleicht construirst Du sie besser heraus als ich sie herausfühlen kann. Dann hält es auch in Absicht auf den Umfang den es verstattet so schön das Mittel zwischen den modernen welche die höchsten sind, ich nenne das Sonett und die Stanze[.] Auf Deine Gedichte für die Lucinde bin ich höchst begierig. Sollte es wirklich mit dem zweiten Theil noch weitläufiger aussehn als ich wünsche, so könntest Du sie mir vielleicht so schiken auch außer dem Zusammenhange mit dem Florentin, um den ich Dich in jedem Briefe mahnen werde. Ist es nicht himmelschreiend daß er nun schon beinahe ein Vierteljahr fertig ist, und ich ihn noch nicht kenne? ich werde mir ihn bald ohne Deine Correkturen ausbitten.
Freitag 11t. Abend
So eben komme ich von Bernhardi, der mir zu meinem großen Erstaunen sagt Tiek hätte noch zulezt an mich bestellt, daß ich bei der Correktur des Herrmann von Afterdingen die Orthographie durchaus beobachten sollte die – ich weiß nicht Du oder Wilhelm – angefangen hätte. Nun weiß ich gar nicht ein Sterbenswort davon daß ich diese Correctur machen soll, und was noch mehr ist ich kann es auch nicht. Es thut mir sehr leid daß ich Hardenberg diese erste Gefälligkeit nicht erzeigen kann; aber der Kalender drängt mich so daß ich es nicht wagen darf denn Correkturen sind für mich meiner schlechten Manieren wegen etwas sehr zeitspieliges. Bernhardi hat sie sehr bereitwillig übernommen und wird sie gewiß eben so gut machen als ich.
Ueber den Plato solltest Du mir bald recht ausführlich schreiben wahrscheinlich wirst Du auch eher ein Specimen von Uebersezung anfertigen können als ich, und aus dieser Gelegenheit läßt sich dann am allerbesten und anschaulichsten nach allen Seiten hin über das Uebersezen und die ganze Behandlung sich erklären. Sollte man nicht auch zu jedem einzelnen Dialog eine Art von – versteht sich ganz kurzer – Einleitung machen um eine Ansicht aufzustellen und über manches Rechenschaft zu geben, was von der Art ist, daß es sich in Noten nicht so gut thun läßt? – Nach dem was Du mir über Deine Abhandl[ung] vom Studio sagst scheint es als könnte darin von den bisherigen Bearbeitern und Bearbeitungen des Plato gar nicht die Rede sein; willst Du diese ganz mit Stillschweigen übergehen, oder werden sie in der Vorrede ihren Plaz finden? Man kann dadurch den vermuthlichen dummen Kritiken im Voraus eins geben, daß sie sich gar nicht wagen manches Dumme vorzubringen.
Was Dein Projekt mit dem Collegienlesen betrift lieber Freund, so weißt Du einmal wie ichs in der Art habe mit dem Nein sagen anzufangen, und so wirds Dich nicht wundern daß ich es hier auch thue. Wenn Du auf ein bleibendes Etablissement in Jena denken und das Lesen auch jenseit des nächsten Winters fortsezen willst, so hast Du freilich Recht zu promoviren – willst Du denn aber jenes wirklich? a priori zweifle ich dran. Für diesen Winter aber sollte es wol schwerlich der Mühe werth sein, und der Verdrießlichkeiten – denn sie werden Dir gewiß alle ersinnlichen Chikanen machen beim Examen, bei der Dissertation, beim Disputiren und wo es sich sonst thun läßt. Ich dachte es sollte Dir nicht schwer werden die welche Dich hören wollen in ein Privatissimum zusammenzubringen, und dies kannst Du ja lesen – wenn es anders in Jena ist wie bei uns – ohne Doktor zu werden.
Wunderlich bist Du daß Du mir so viel fremde Reize vorhältst um mich zu Euch zu locken! als ob Ihr nicht tausend genug wärt. Glaube nur, daß ich gewiß mein Bestes thun werde um zu kommen, nur daß der verfluchte Kalender erst fertig werden muß.
Adieu lieber Freund. Die kritische Epistel über den Plato erwarte ich wirklich nächstens. Bernhardis grüßen.
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  • Schleiermacher, Friedrich  Zeitverzug  begründen  Historisch-genealogischer Kalender
  • Schleiermacher, Friedrich  Reiseplan  mitteilen  Schlegel, Friedrich von
  • Schleiermacher, Friedrich  Manuskriptabschluss  planen  Schleiermacher, Friedrich: Grundlinien einer Kritik der bisherigen Sittenlehre
  • Schleiermacher, Friedrich  Lektüre  ankündigen  Böhme, Jakob: Werke
  • Schleiermacher, Friedrich  Begegnung  wünschen  Schlegel, Friedrich von
  • Schleiermacher, Friedrich  Erscheinen  erwarten  Schlegel, Friedrich von: Lucinde, 2. Teil (Werkplan)
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  • Schleiermacher, Friedrich  Ratschlag  Schlegel, Friedrich von
  • Schleiermacher, Friedrich  Übersetzung  planen  Plato: Werke [Ü: Friedrich Schleiermacher]
  • Schleiermacher, Friedrich  Übersetzung  planen  Plato: Philebos
  • Schleiermacher, Friedrich  Übersetzung  planen  Plato: Charmides
  • Heindorf, Ludwig Friedrich   Übersetzung  Plato: Phaidros
  • Schleiermacher, Friedrich  Lektüre  empfehlen  Schlegel, Friedrich von
  • Schleiermacher, Friedrich  Lektüre  empfehlen  Ruhnken, David (Hg.): Timaei Sophistae Lexicon vocum Platonicarum
  • Schleiermacher, Friedrich  Lektüre  erfragen  Plato: Werke [Ü: Johann Friedrich Kleuker]
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Metadata Concerning Header
  • Date: 10. Juli bis 11. Juli 1800
  • Sender: Friedrich Schleiermacher ·
  • Recipient: Friedrich von Schlegel ·
  • Place of Dispatch: Berlin · ·
  • Place of Destination: Jena · ·
Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 25. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Höhepunkt und Zerfall der romantischen Schule (1799 ‒ 1802). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Hermann Patsch. Paderborn 2009, S. 137‒142.
Language
  • German

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