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Dorothea von Schlegel, Friedrich von Schlegel to Clemens Brentano

Jena den 25ten Juli 1800
Ich darf es nicht länger dulden daß Sie so sehr auf den armen Pyrmonter schimpfen, der doch weis Gott nicht Schuld ist daß ich Ihnen noch nicht geschrieben habe! Wer durfte am Pyrmonter trinken denken? es war kalt daß man hätte einheizen mögen; so kalt, daß ich Sie um Ihre Influenza beneidete die Ihnen Gelegenheit gab im Bette zu bleiben. Nun lacht der Himmel einmal wieder, und morgen früh soll die Wal[l]fahrt wieder beginnen, die Flasche mit perlendem Wasser in der Hand. Aber wie gesagt, die Kur hatte nicht Schuld an meinem Nichtschreiben, auch wie ich sie brauchte nicht; denn der Arzt hat unter den nöthigen diätetischen Regeln besonders gegen alle Gemüthsbewegungen, und gegen das Schreiben insistirt, da ich nun dem ersten dieser beyden Gesetze täglich tapfer entgegenarbeitete, so wäre es leicht gewesen auch das zweyte nicht zu halten; aber ich schrieb nicht, weil ich nicht gern schreibe, und mir im stillen Sinn einbildete: „schiebst du es noch etwas hinaus so kömt er wohl selber zurück, ein Gespräch von drey Minuten ist mir lieber als ein ellenlanger Brief, und wär er auch so geistreich und witzig, im Schmerz und in den Hoffnungen wie Brentano seine Briefe!“ – So kommen Sie her, es ist recht hübsch hier, obgleich wir ein rechtes Unglück hatten, und das Haus öde und leer ist. Aber ein recht reines Unglück hat immer etwas gutes, es ist wie ein rechter Gewitterschlag, das die Atmosphäre reinigt von drückenden Dünsten. Aber was sagen Sie zu Augusten[,] muß dieses blühende Mädchen sterben können? es ist als ob man sich schämen müßte vor ihr.
Auf Ihre Briefe wäre viel zu antworten, aber so etwas verstehe ich nicht. – Wollen Sie mich zugleicher Zeit für Ihre geistliche Mutter erkennen, indem Sie des Friedrichs geistlicher Sohn werden, so kommen Sie daß wir Sie anerkennen! – Ich bin schon in einen Streit Ihrentwegen gewesen mit Ihren Meister; er sagt er hätte Ihnen einige Worte aufgegeben ihn eine romantische Dichtung in Philipps Manier draus zu machen, (dieß ist die erste Arbeit die der poetische Jünger von seinen Meister bekömmt)[.] Sie hätten dann so viel Wahrheit als möglich mit einmischen dürfen; aber Sie haben es nicht gethan; Sie haben so etwas von einer mystischen Antwort gegeben, dieß wurde aber gar nicht verlangt; Sie sollen weniger Subjektiv und mehr romantisch naiv und treuherzig erzählen; Ihr Meister ist berechtigt dieß von Ihnen zu fordern[.] Sie werden es selbst wissen wie so, es ist also gar nicht indiskretion. Nun sehen Sie, wir haben also gestritten, er sagt: Sie hätten ihn nicht verstanden; und ich behaupte: Sie werden der Mutter lieber beichten als dem Vater! Auch sagt der Meister Sie müßten sich mehr lernen auf das Gewicht verstehen; Sie haben den Scherz mit den Kochlöffel zu schwer seine Frage wegen des Verhältnißes, zwischen Clemens und Sophie aber zu leicht genommen. Vertheidigen Sie sich also, oder besser, bessern Sie sich! – Ihr Brief aus der Influenza ist allerliebst, sie kleidet Ihnen recht gut. – Den beyden lieblichen Mädchen aller Seegen des Himmels! Minna ihre Augen sind göttlich beynah eben so göttlich wie Juliens Güte. Warum machen Sie aber so vergebliche Spekulationen ihnen die zukünftigen Ehemänner zu prophezeyen? Sie könnten eben so gut Wetterprophet werden. Apropos von Prophezeyungen, Sie haben eine recht gute, auf sich selber im Wasa ausgesprochen, nemlich „daß Richter nicht mein Gott sey –“ Nehmen Sie sich in acht sage ich Ihnen, daß er es nicht doch noch einmal wird! – Ich habe Ihnen eine Lehre über das Gewicht gegeben, geben Sie mir eine über das rechte Maß, denn ich wollte nur die Worte schreiben kommen Sie, und nun sehen Sie den Ellenlangen Brief! adieu wir sehen Sie bald.
Dorothea
Philipp empfiehlt sich Ihnen[.]
Eigentlich wollte ich Ihnen auch sagen, daß ich gar nicht geglaubt hatte, daß Sie Ihr Wort halten und schreiben würden, es hat mich also recht überrascht wie es dennoch geschah. Es ist so Mode geworden, daß man um recht klug zu seyn die Menschen für treulos hält, damit sie einen nicht betrügen können. Mir will aber diese Klugheit nie gelingen, ich werde also künftig bey meiner alten Mode bleiben, und die Menschen für besser halten; wenn man sich irrt so ist der letzte Irrthum immer nicht so drückend als der erste; denn muß ich Sie jetzt nicht um Verzeihung bitten? und bin ich nicht ganz beschämt?
[Friedrich Schlegel:]
Dringt noch die Stimme der Menschen zu Ihnen mein verlaßner Freund, so werden Sie wissen daß wir manche neue Unfälle erlebt, die auch eine Menge kleine Geschäfte für mich zur Folge gehabt, nicht unmittelbar aber mittelbar durch die Abreise meines Bruders. Also heute müssen Sie mit sehr wenigem zufrieden seyn, aber sagen wollte ich Ihnen doch wenigstens daß ich mich herzlich gefreut habe, daß Sie mir geschrieben, und daß ich (wie Mereau sagen würde) alles was Sie mir anbieten utilissime acceptire. Ich meyne Sie selbst und Ihre Freundschaft; und darum wünsche ich nichts mehr als daß Sie recht bald wieder zu uns kommen, und ich bitte Sie ausdrücklich darum, wenn kein Verhältniß Sie abhält, wie ich aus dem was Sie darüber sagen, schließen darf. – Wir wollen recht froh zusammen seyn. Altenburg scheint Ihnen nicht recht zuzuschlagen. Kommen Sie zurück: hier giebts keine Influenz. Wenn ich nur sicher seyn dürfte, daß Ihr innres Unwohlseyn nicht aus irgend einem positiven Misverhältniß herrührt, so würde ich gute Hoffnung hegen und es schlechtweg für den Geburthsschmerz einer neuen Jugend halten.
Leben Sie sehr wohl bis ich wieder schreibe.
Friedrich Schlegel.
  • Schlegel, Dorothea von  tadeln  Brentano, Clemens
  • Schlegel, Dorothea von  Nicht-Briefsendung  begründen  Brentano, Clemens
  • Schlegel, Dorothea von  Stilkritik  Brentano, Clemens
  • Veit, Philipp  grüßen  Brentano, Clemens
  • Veit, Philipp  grüßen lassen  Schlegel, Dorothea von
  • Schlegel, Friedrich von  Brief  sich freuen  Brentano, Clemens
  • Schlegel, Friedrich von  Freundschaft  bekräftigen  Brentano, Clemens
  • Schlegel, Friedrich von  Begegnung  wünschen  Brentano, Clemens
Metadata Concerning Header
  • Date: Freitag, 25. Juli 1800
  • Sender: Dorothea von Schlegel · , Friedrich von Schlegel ·
  • Recipient: Clemens Brentano ·
  • Place of Dispatch: Jena · ·
  • Place of Destination: Altenburg (Thüringen) · ·
Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 25. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Höhepunkt und Zerfall der romantischen Schule (1799 ‒ 1802). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Hermann Patsch. Paderborn 2009, S. 143‒145.
Language
  • German

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