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Friedrich Schleiermacher to Friedrich von Schlegel

B[erlin] d[en] 8t. Aug[ust] 1800.
Mein Signal lieber Freund will ich hiemit gegeben haben. Schike mir nur eine recht ausführliche Ladung über den Plato ich bin in einem so fleißigen Zuge, daß ich troz des Kalenders, mit dem ich nun rasch vorwärts komme, recht ordentlich werde lesen können; bringe mir nur Dein System recht zur Anschauung, und halte Du Dich auch offen für meine Polemik hie und da. Halte es dann nur für kein schlechtes Zeichen wenn ich Dir in den ersten drei Wochen kein Wort darauf antworte, sondern vielmehr dafür daß ich mich recht ernstlich ans Studiren gegeben habe. Wenn Du eine Ordnung gefunden hast die sich durchführen läßt, und die Du für nothwendig hältst, so versteht sich daß der Philebus, der nicht nur in seiner Art das lezte ist sondern deßen ganze Rubrik auch unmöglich unter die ersten gehören kann, nicht den Anfang machen darf. Ich bin und halte mich in dieser Hinsicht ganz offen und wenn ich erst Dein Schema sehe und den Punkt von dem Du ausgehn willst, so wird sich mein Beruf schon einstellen, und sich recht gut in den Deinigen fügen. Was das Wählen betrift, so dürfen wir ja ohnehin immer nur für das Nächste sorgen: denn Jeder muß doch Alles so lesen als wollte er Alles übersezen, sonst dürfte nichts recht ordentlich werden. – Die Amatores kann ich so schlechthin nicht aufgeben, sie platonisiren gar zu stark in Sprache Wendungen und Composition; aber über den Hipparch und Alcibiades II bin ich ganz einig mit Dir[.] Kannst Du den Theages innerlich rechtfertigen so soll mirs sehr lieb sein. Die Ironie drin ist mir nicht fremd sie will mir nur nicht platonisch deuchten, und steht mir eben so allein da; hast Du aber eine Verbindung gefunden die sich mir plausibel macht so submittire ich gleich. Grade beim Theages muß diese Alles entscheiden – die äußeren Gründe gegen ihn dürften doch für sich allein nur sehr unbedeutend sein. Aber lieber Freund die Νομοι [Nomoi]! Das ist mir eine harte Nuß. Bedenke daß sie das Zeugniß des ganzen Alterthums für sich haben, und lies ehe Du diesen Zweifeln Raum giebst die Politik des Aristoteles mit rechter Aufmerksamkeit. Ich habe leztere nur einmal in meinem Leben gelesen; aber wo ich nicht sehr irre fand ich überall die stärksten Andeutungen auf die Platonischen Νομους [Nomous][.] Doch ich will nichts mehr sagen. Du möchtest dieses Brökeln übers Einzelne nur als ein Antisignal nehmen, als ob mirs noch kein Ernst ums Ganze wäre. Also vor allen Dingen das Schema und was Du als Deduktion für nöthig hältst. Nur noch Eins. Wenn beim Uebersezen eine Ordnung zum Grunde gelegt werden soll, so wäre es wol höchst nöthig über diese im Voraus etwas zu sagen. Dies müßte also entweder in der Vorrede geschehen oder Du müßtest das übers Studium doch voranschreiben, und ich hoffe Du wirst das leztere vorziehn weil sonst die Vorrede offenbar aus ihrem Gebiet herausginge, und die Abhandlung beeinträchtigt würde.
Dies wäre der Plato für heute. Nun giebt es noch ein anderes Geschäft abzumachen. Lies ich bitte Dich anliegende zwei Briefe die mir Frölich der Esel geschrieben hat. Den ersten nebst der Assignation schikte er mir Mittwoch Abend mit den Exemplaren. Ich schrieb ihm darauf, weil ich faule Fische merkte, „ich erwartete seine Einlage mit Vergnügen, wünschte aber er träfe die Einrichtung mir von dem Rest wenigstens soviel baar zu bezahlen daß ich die fremden Beiträge die bei diesem Stük nicht unbedeutend wären honoriren könnte[“], darauf antwortet er mir dann mit N° 2. Du siehst es ist nichts als daß der Lumpenhund eben wieder kein Geld hat, und darüber, dächte ich, schriebest Du ihm einen recht ironischen Brief. Vor allen Dingen aber schike ihm sogleich Lucinden Manuskript, wenn nemlich wie ich hoffe einiges ganz fertig ist. Ich werde ihm schreiben er sollte sich mit dem Nichtrechnen ja nicht verrechnen, die Lucinde werde ihn unstreitig nächstens überraschen und er möchte nur machen daß sich alsdann nicht die Lucinde verrechnete in dem worauf sie zu rechnen ein Recht hätte; es wären übrigens noch 7 Wochen zur Messe und mehr brauche es nicht um einen solchen Band zu druken. Wüßte ich nur gewiß daß ich mich nicht verrechnete so machte ichs noch impertinenter. 12 Exempl[are] hat er mir geschickt und 1 habe ich noch von den Aushängebogen darum habe ich unmöglich Bernhardi, der mich bat eins abschlagen können seines Antheils wegen; auch gehen ja wohl mehrere drauf indem die Levi keins bekommt,1 Fichte 1 Hülsen 1 ich bleiben 9 übrig die mit diesem Briefe abgehn werden. Die Honorargeschichte habe ich schon beiläufig an Bernhardi erzählt gleichsam als einen Beitrag zu Frölichs Charakteristik und er kann sich also wenigstens erklären warum er nicht gleich auf der Stelle seinen Antheil bekommt. Daß ich die Notizen auf dem Inhalt habe besonders bezeichnen laßen wird Euch hoffentlich nicht mißfallen; es fällt so den Leuten gleich beßer in die Augen was sie zu suchen haben, und da das Chiffriren doch etwas von den vorigen Stüken abweichendes war, so dachte ich dieses möchte auch leicht hingehn.
Deine Aeußerungen über meine Kritik des Fichte haben mir zum großen Tröste gereicht wenn ich Dir gleich gern bekenne daß ich sie nicht durchaus verstehe. Besonders begreife ich nicht wo es ihr sizt daß man etwas draus lernen kann; in diesem Stük bin ich ganz unschuldig. Daß Du dergleichen von philosophischer Recension noch nicht gesehn noch gehört hast, dies begreife ich, denn ich bin darin in ganz gleichem Falle mit Dir, mir ist eben auch dergleichen noch nicht vorgekommen und insofern mag sie auch wol auf eine eigne Art interessant sein. Deinen Profezeihungen von Fichte’s Denken darüber kann ich die glükliche Erfüllung bis jezt nur wünschen. Ich will ihn nächstens besuchen und dann mehr darüber. In einem Punkt, in der Kunst nemlich das Beste zwischen die Zeilen zu schreiben daß es nur durch Suppliren und Combiniren herausgebracht werden kann, werde ich wol nie wieder eine solche Epideixis machen; deshalb fürchte ich auch Wilhelm wird hier den stärksten Beweis finden für das was er von einer Manier gesagt hat. Dies indeßen kann der Engel wieder gut machen, der denn doch tüchtig genug ist. Dein sprightly gefällt mir, das ist gerade das Prädikat was ihm gebührt, geistreich scheint mir nicht recht drauf zu passen. Was hat denn Goethe zu Deiner Behandlung seiner gesagt? Darauf wäre ich sehr neugierig.
Das mit der Lucinden Anzeige ist lustig, und hat mir ungemein viel Spaß gemacht! Freilich weiß ich um das Geheimniß, und eben deshalb schwieg ich ganz darüber; ich bin auch in einer Rüksicht Urheber desselben: denn daß Ihr nicht gleich erfahren habt, von wem sie ist, geschah auf meine Veranlaßung. Uebrigens ärgert es mich recht daß Fichte sie nicht geschrieben hat damit der Spaß auch einmal so käme daß man etwas von Fichte für meins hielte. Wenn es Euch nur nicht geht wie Hülsen, der nur zwischen Fichte und Schelling schwanken zu dürfen glaubte, und sich gar nicht einfallen ließ daß ein dritter die Reden geschrieben haben könnte. Mein Gott! hinterm Berge wohnen auch manchmal Leute! Aber nun habe ich Euch genug herumgezogen und will mich nun der speciellen Erlaubniß bedienen welche mir der Verfasser sowol als der Herausgeber gegeben haben Euch zu erzählen daß – ich die Ehre gehabt hatte diese Anzeige zu schreiben. Es kam ganz zufällig. Bernhardi sprach mit mir von seinen Kritiken, und sagte, er würde schon lange im Archiv die Lucinde angezeigt haben, wenn er sie nur recht verstünde, es wäre ihm eine zu harte Nuß. Ich entgegnete drauf, ich glaubte wol sie so weit zu verstehen daß ich sie anzeigen könnte, und hätte schon lange ein kleines Lüstchen dazu gehabt; er bat mich drum und ich war sehr bereitwillig. Es war zu der Zeit als ich mit den Briefen beinahe fertig war, und ich hoffte ihm durch dieses Manoeuvre jede Vermuthung wegen der Briefe desto beßer abzuschneiden; aber ganz im Gegentheil, er behauptet aus der Anzeige – die er schon hatte als die Briefe herkamen – diese errathen zu haben. Dies scheint mir aber hyperkritisch: denn was in beiden vorkommt sind wol nur solche Dinge die man gar nicht umgehn kann wenn man von der Lucinde redet, und es freut mich daß Ihr bei euren Divinationen von dieser Uebereinstimmung nicht ausgegangen seid. Mich zu verläugnen darauf bin ich übrigens gar nicht ausdrüklich ausgegangen, sondern nur mich in den Grenzen und der Manier einer solchen Anzeige zu halten, und in einigen Wendungen Bernhardi nachzuahmen, der mir Anfangs sagte es solle unter seinem Namen gehn. Diese Nachahmung ist mir aber wol schlecht gelungen denn er fand es so außer seiner Art, daß er mich bat das Eingesandt drüber sezen zu dürfen. Nun wünschte ich aber wol zu wißen was für Gedanken Wendungen und Ausdrüke Du mir absprechen zu müßen geglaubt hast, ob das die angenommenen sind oder eigne. Bernhardi erwartete für denselben Monat Tieks Anzeige von Wilhelms Gedichten und beschränkte mich deswegen in Absicht des Raumes sonst würde noch manches hineingekommen sein. Wenn Du aus den Briefen eine Ahndung meines Romans nehmen zu können glaubst so mußt Du wenigstens diese Anzeige dazu nehmen. Uebrigens geht mir der Roman sowol als die Moral jezt gewaltig im Kopf herum und beides arbeitet sich innerlich tüchtig aus. Adieu lieber Freund für heute. Wenn du klug bist so sei gesünder als ich; ich habe die verdamtesten Zahnschmerzen[.]
Schl
Heindorf hat ein kleines Mädchen da wird wol fürs erste über die νομους [Nomous] wenig zu sprechen sein[.]
Metadata Concerning Header
  • Date: Freitag, 8. August 1800
  • Sender: Friedrich Schleiermacher ·
  • Recipient: Friedrich von Schlegel ·
  • Place of Dispatch: Berlin · ·
  • Place of Destination: Jena · ·
Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 25. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Höhepunkt und Zerfall der romantischen Schule (1799 ‒ 1802). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Hermann Patsch. Paderborn 2009, S. 153‒156.
Language
  • German

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