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Johann Gottlieb Fichte to Friedrich von Schlegel

Berlin, d[en] 16. August. 1800.
Herzlichen Dank, theuerster Freund, daß Sie mich mit einem Beweise Ihres freundschaftlichen Andenkens erfreuen wollten.
Daß Ihre und Ihrer Freundin Versuche misglükt, thut mir sehr leid. Veits Bekanntschaft habe ich noch nicht gemacht. Ist dieser allein Schuld am Mislingen? – Unter diesen Umständen ist es wohl am besten in Jena zu bleiben, wenn Sie nicht nach Berlin zurükkehren wollen. Der Aufenthalt zu Dresden wäre durchaus unrathsam. Ich habe nur dabei zu beklagen, daß ich Ihres so sehr gewünschten Umganges entbehren muß. Ich lebe jezt durchaus einsam. Nur den einzigen Bernhardi sehe ich zuweilen. Die Freimäurerei hat mich so ennuyirt, und zulezt indignirt, daß ich ihr gänzlich Abschied gegeben habe.
Mit der innigsten Freude habe ich an der sichtbaren Entwiklung Ihres Talents Theil genommen. Ich freue mich auf den zweiten Theil Ihrer Lucinde, daß ich’s nicht zu sagen vermag. Ihre Versuche in Versen werden den herrlichsten Einfluß auf Ihre Prosa haben: überdem haben sie an sich viel Werth, z.B. ihr „an die Deutschen“ im lezten Stüke des Athenäum scheint mir diejenige Art zu bezeichnen, in der Sie es zur Meisterschaft bringen werden. Ihr System über Poesie, über welches wir uns vorigen Winter zu Jena unterredeten, glaube ich nun durch die beiden lezten Stüke des Athenäum ganz zu verstehen. Es ist Ihres Geistes, und Ihrer Liebe zu Fleiß, und historischer Forschung würdig; ohnerachtet ich für meine Person es nur für vorläufig, und bloß auf die Zeit passend halte. Etwas am Stoffe der Poesie ist allerdings individuell; aber was die Hauptsache an ihr ist, ihre Form, ist durchaus allgemein: und ich würde in dieser Rüksicht im Gegensatze mit Ihnen sagen: so wie es nur Eine Vernunft giebt, giebt es auch nur Eine wahre Poesie. Wir sollen durch Studium uns die Werke großer Künstler der Vorzeit aneignen? – Es kann seyn, daß wir in unsern ausgetrokneten Zeitaltern nichts besseres thun können: aber woher entfloß denn die Quelle dem ersten Künstler, der keinen vor sich hatte? Sollte denn dieser Urquell nun zu ewigen Zeiten ganz vertroknet seyn. O, hätten wir doch erst eine reine Aesthetik!
Ich freue mich über Ihren Entschluß in der Wissenschaft auch mit der Form Ernst zu machen, wie Sie sich ausdrüken und in dieser Absicht Vorlesungen zu halten. In Ihren Ideen, die ich bei dieser Gelegenheit wieder durchgedacht, glaube ich noch immer Spuren von der Verwechslung der philosophischen Denkart die allerdings in das Leben übergehen muß, und der Philosophie, im objectiven Sinne, der Philosophie, als einer Wissenschaft, zu entdeken. Der wissenschaftlich idealistische Standpunkt kann nie in das Leben einfließen; er ist durchaus unnatürlich. Die Denkart, die eine durchgeführte Philosophie für das Leben erzeuge, glaube ich im 3ten Buche der Bestimmung des Menschen dargestellt zu haben.
Mit Schleyermacher habe ich weder vor Abdruk seiner Critik über die Best[immung] d[es] M[enschen], noch seitdem gesprochen. Einige Einwendungen verstehe ich nicht: soviel aber sehe ich, daß er das endliche Resultat des 3ten Buchs dem, was ihr unter einander Spinozismus nennt, ganz gegen meine Absicht zunahe gerükt hat. Jener Mysticismus liegt nach mir durchaus im Felde der Transcendenz, auf welchem der Mensch nichts mehr versteht. Der Glaube an Freiheit und Selbstständigkeit bleibt nach mir in der vollendeten menschlichen Denkart unangetastet. Der Form nach, der Materie nach aber ist mir ein Plan vorgezeichnet, mir bestimmt, was ich werden soll. Zu diesem macht mich nun keine fremde Macht, auch nicht des Unendlichen, sondern ich mache mich dazu.
Die Anzeige der Lucinde im A[rchiv] d[er] Z[eit] ist an Bernhardi eingesandt, und ihm Stillschweigen darüber aufgelegt. Ich weiß nichts näheres darüber: aber meine herzliche Freude daran habe ich, eben sowohl als an den in Hamburg darüber erschienenen Briefen: ohnerachtet ich mit den leztern nicht durchaus einig bin; und ich auch nicht glaube, daß Sie es seyn werden. Der Verf[asser] macht, scheint es mir, die Luc[inde] zu sehr zu einem Lehrgedicht, das da diene zur Lehre, Ermahnung, Zucht in der Gerechtigkeit der Liebe. Das war wohl Ihre Absicht nicht. Mich in die litterarischen Welthändel mischen! Ja, lieber Freund, wer nur dazu kommen könnte, etwas zu lesen. So weit geht bei mir der Ekel. Ueberhaupt, vornehmen muß ich mir nichts. Man stößt wohl etwa einmahl von Ohngefähr auf etwas; dann erregt sich Indignation, und dieses ist meine Muse, deren Inspiration ich in Geduld erwarten muß. Was sagen Sie dazu, daß ich die Zeit daher über „Handel, und Wandel, Geld, National⸗Reichthum, und dergl[eichen] geschrieben („der geschloßne Handelsstadt“ wird das Kindlein getauft werden) und die Geburt soeben zur Presse überliefere. Auch wird, geliebt’s Gott, gleichfals noch zur Michaelis[-Messe] ein sonnenklarer Bericht, was es mit der W[issenschafts]L[ehre] eigentlich für eine Bewandniß habe, als Versuch, die Leser zum Verstehen zu zwingen – erscheinen.
Ich habe an Paulus einen Sie eben so angehenden Brief für Ihren Bruder geschikt. Er wird ihn doch hoffentlich nicht nach Bamberg geschikt haben. Erbrechen Sie ihn, wenn er noch da ist, und melden Sie mir Ihre Entschliessung.
Ich habe Ihrer Freundin nicht, Ihnen nicht, keinen Menschen nicht – Exemplare der Bestimmung d[es] M[enschen] gesandt, da mir hier doch mehrere im Wege liegen. Das kommt lediglich daher, daß ich in eine fertige Arbeit von mir gar keinen Werth setze, und meine, es sey andern auch so. Ich werde aber zur Stunde anstalt treffen durch Buchhändler Gelegenheit (ich mag das große Post Porto nicht veranlassen, sonst schikte ich sie mit diesem Brief) Ihnen deren genug zu übersenden.
Die herzlichsten Empfehlungen von meiner Frau (die seit einigen Tagen krank liegt – wir hoffen aber, daß es nicht von Folgen seyn werde) an Sie, und Ihre Freundin.
Der Ihrige
Fichte.
Verzeihn Sie, daß ich Sie mit dem Einschlusse bemühe.
Metadata Concerning Header
  • Date: Samstag, 16. August 1800
  • Sender: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Recipient: Friedrich von Schlegel ·
  • Place of Dispatch: Berlin · ·
  • Place of Destination: Jena · ·
Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 25. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Höhepunkt und Zerfall der romantischen Schule (1799 ‒ 1802). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Hermann Patsch. Paderborn 2009, S. 156‒158.
Language
  • German

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