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Friedrich von Schlegel to Sophie Mereau

den 30ten
Es ist schön mein süßes Kind, daß Du Dich in der Natur und in Deiner eignen Fantasie erfrischest. Es ist auch viel gewonnen damit, daß Du ohne Störung einmal seyn kannst, was Du bist, um es inne zu werden, und Dich dann über Dich selbst zu wundern daß Du es nicht immer warst, und dann gleich muthig fortann so zu bleiben. Dann würde erst eine Fülle süßer Thorheit aus Dir hervorblühen, anders noch wie es jetzt seyn kann. Verzeih was ich sage, aber es ist hart daß ich den Wunsch aufgeben soll, Du möchtest durch Deinen Aufenthalt im Freyen nicht bloß den Aufenthalt gewinnen, sondern auch die Freyheit zu erringen streben. – Warum darüber kein Wörtchen? – Ich könnte nur wünschen, Du bliebest recht lange damit Du der Freyheit recht gewohnt würdest so gewohnt, daß Deine Verhältnisse Dir dann ganz unerträglich wär[en]. Du magst noch so oft in den Käficht zurückkehren, Du versäumst damit nur die Zeit und erschwerst Dir die Arbeit. Denn endlich mußt Du doch wegfliegen, wofür hättest Du sonst die zierlichen Flügel? – Glaub mir so ist es, und so wird es gewiß seyn. Du gewinnst durch die jetzige Feigheit nichts als einige schlechte Jahre mehr und einige gute weniger. – Verzeih daß ich wieder predige –
Ich dichte und habe gedichtet und werde dichten – Doch dießmal war alles für die Lucinde; nichts für die kleine Hulda. Denn so solltest Du eigentlich heißen, und noch eigentlicher nicht bloß heißen sondern auch seyn. Hat diese Hulda nichts gedichtet? – Daß sie dichtet und sogar an den und von dem der dieses schreibt, sehe ich wohl aus dem was sie geschrieben hat. Aber ich meyne es noch buchstäblicher. Der Vogel soll singen, so lange er aus dem Käficht ist; thut er es nicht, so ist die Erinnerung an den Käficht noch immer der Käficht für ihn.
Siehst Du, so leicht macht Dir die Natur die Dich schon kennt, die Vernunft; alles Gute liegt für Dich auf Einem Wege, und der Weg ist so nah und eben und lustig.
Ich wünsche und ich hoffe noch früher einen Brief von Dir zu bekommen als den, der die Antwort auf diesen seyn wird. Was kannst Du schönes thun als an mich schreiben wenn Du dabey auch nicht immer an mich denkst? –
Du meynst ich wäre ein stiller tiefer See, worin Du Dein huldreiches Bildchen gern ansiehst. Darauf könnte ich nun wieder sagen, Nimm Dich in Acht Kind daß Du Dich nicht zu weit vorbeugst, sonst kannst Du hineinfallen. Aber auch in diesem – Falle verlasse ich mich ganz auf Deine Leichtigkeit, Du kannst gewiß auch schwimmen da Du so gut flattern und fliegen kannst. Vielleicht wäre es sogar um in Deine Natur ganz wieder hineinzukommen gut wenn Du Dich einmal ganz in mich untertauchen könntest und ich würde dann gewiß recht viele kleine Wellen schlagen um Dir meine Freude zu bezeigen. Also denke nur an mich mit und ohne Kleid, über und unter der Erde als Bergmann und wenn Du am Ufer sitzest, als Hulda und als – Freya und in jeder andern Metamorphose.
Deinen Gruß an meine Freundin habe ich nicht bestellt. Denn da Ihr Euch so wenig gesehn habt, und Du eigentlich nicht einmal recht artig gegen sie warst, so würde sie vielleicht nicht gewußt haben, wie sie dazu käme. Von Deiner unterirdischen Reisebeschreibung habe ich ihr etwas mitgetheilt was sie sehr niedlich gefunden hat, wie alles ist was aus Dir und Deinem Innern kömmt, womit ich doch nicht sagen will daß das Aeußre weniger niedlich wäre.
Bleibe leicht werde lustig und sey liederlich.
Ich denke bisweilen an das Heliotrop auf Deinem Zimmer. Eigentlich war es zwar schon verblüht, da meines anfing zu blühen. Aber doch – Hast Du Blumen um Dich? –
Dein Begleiter ist auch gut, wenigstens kann er es seyn, wenn Du ihn recht ansiehst. Er sollte Dich an den erinnern der es noch weniger seyn dürfte.
Metadata Concerning Header
  • Date: Samstag, 30. August 1800
  • Sender: Friedrich von Schlegel ·
  • Recipient: Sophie Mereau
  • Place of Dispatch: Jena · ·
  • Place of Destination: Schwarzburg · ·
Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 25. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Höhepunkt und Zerfall der romantischen Schule (1799 ‒ 1802). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Hermann Patsch. Paderborn 2009, S. 169‒170.
Language
  • German

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