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Clemens Brentano to Dorothea von Schlegel

Es ist mir sehr leid geweßen daß ich Sie und H[errn] Schlegel vor meiner Abreiße nicht mehr sprechen konnte, meine Abreiße war schnell und gewaltsam, wie alles in meinem Leben. Ich muß mich ewig selbst überraschen, wenn ich mir etwas abringen soll, denn meine Wirklichkeit ist zu sehr von meiner Anlage verschieden, als daß sie freundlich Hand in Hand mit einander gehen, sich wechselseitig in die Augen sehen solten. Man kann mir nicht zusehen wie ich lebe, und mir selbst kömmt meine Geschichte selten zur augenbliklichen Anschauung. Ich lebe innerlich in einem Lande, das ich selbst nicht begreife, und bin in der Heimath selbst oft von einem schmerzlichen Heimweh ergriffen, im äußerlichen Leben habe ich fremde Sitten angethan, und mein Herz erkennt mich nicht, und in mir füge ich mich nach Herkommen, und nehme from[m] die stillen Zeichen meiner vaterländischen Geister an, aber dann wird mir die Außenwelt unheimlich, und gafft mich an, und ich muß ihr mein hölzernstes, und schlechtestes künstlich zu bereiten, und bin aus den geheimnisvollen Schäzzen der Berggeister zu einer Kinderrassel umgekünstelt in der Hand der Familie, und zu silbernen Würfeln in der muntern Gesellschaft jugendlicher Freunde geworden. Es ergreift mich ein Unmuth, wenn ich mich so wieder finde, so unerkant und mishandelt, und ich wollte ich hätte nie eine Nimpfe vergänglicher Blumen in die ewige Tiefe gediegener Metalle geführt, von den hallenden Wänden klangen die Elegien verlorner schönheit[,] wie aus den edelsten Gesteinen sind wenige Blumen geschliffen um im künstlichen Lokenbau zu zittern, und aus dem Herzen ist ein unverständliches Grabmal gebrochen, die inneren Gluthen sind entzündet, der Feenpallast meines innersten Weßens ist zertrümmert, und zu einer Wohnung höllischer Geister geworden, der Vulkan ist erregt, und bald wird er aus meiner Brust heraus sich über mein Daßein ergießen, die freundliche Gestalt meines Lebens flieht dann in die Nacht, des Natürlichen Tages, ein glühender Schmuck stürzt über mein Haupt herab, und vernichtet mich selbst. Ist der Vesuv nicht groß und ungeheuer, ist die Gewalt nicht mächtig? ach ist der feurige Tag des Vesuvs nicht eine Sternschnuppe in der Unendlichkeit, und die Gewalt zwingt sie das stille Gesezz.
Mir ist nicht mehr zu helfen, o ja! ich werde vergnügt und recht glüklich und wenn es recht hochkömmt liebenswürdig in der Welt herumgehen, aber Madam, das ist noch gar wenig, gegen das, was möglich war, und ich werde mir immer wie eine Lumperei vorkommen, wenn ich auch von den meisten für was rechtes gehalten werde. Ich habe sollen ein Frühling, ein Sommer, ein Herbst, und Winter werden, und eine Natur, und werde es höchstens zu einem Mailied, Schnitterlied, Weinlied, und Punschlied bringen, und zu irgend einem Wetter.
Ich wäre doch ein ganz andrer Mensch, wenn mir die Welt nicht aus Bequemlichkeit, sondern um mich zu umarmen, auf dem Hals läge, ich liebe das Volk noch zu sehr, das mich mit Füßen tritt, und gebe mir oft eine gutherzige [Miene] dieße Fußtritte für die pas de Contre eines ihm eigenen vielleicht vortreflichen Tanzes zu halten, den ich eigentlich bewundern sollte, obschon er mir zusetzt, und wünsche dabei recht heimlich, daß die Antipoden der Seele eine ebenso dicke Weltkugel zwischen sich hätten als die der Körper. Ich würde schon eher an [S]ie geschrieben haben, wenn mich das gemeine Leben hier nicht so gewaltig überschwemmte, daß ich vor innerer Wehmuth und Mitleid kaum mit aller Gewalt mich über der Meeres Fläche erhalten kann, um den stillen ruhigen Himmel mit den Diminutiven seiner Welten anzubeten. Und wäre ich nicht zu Trages auf dem Gute meines Savigny, wäre hier nicht alles so still und der Spiegel so hell, daß rund mich das hohe Gewölbe des Himmels in der ruhigen Fläche des ländlichen Lebens schwimmt, spielten nicht die Sterne und der Mond hier um mein Herz, so könnte ich auch izt nicht sprechen. O! was habe ich verlohren, und was habe ich zu besizzen geglaubt? Und was glauben sie verlohren zu haben! höre ich die freundliche Mutter meines Geistes sagen – nein ich habe es wirklich verlohren, denn ich habe den Glauben verlohren. – Die Kunst? o die Kunst sie ist nur künstlich. Aber sie ist nie mehr als ein Grabmahl der Liebe geweßen. Sie ist ein scharfes Augenglaß, wir sehen als mit den Farben des Regenbogens umspielt, nie ersezt sie das reine Sehen der Liebe. Alles ist zerlegt und im einzelnen zusammen gestellt, die Liebe ist das Leben, die Kunst ist allgemeiner Nahmen aller Sinne, das Sehen, Fühlen, und Hören, ect. jedes in sich selbst lebendig allein hingestelt, mit den traurigen Spuren, des Vermissens des Ganzen Zusammenhangs. Ich habe auf Punkten gestanden, wo mir die Kunst ein recht erbärmliches Suplement erschien, für Dinge die uns genommen sind, wenn wir nicht mehr um uns sehen sollen, so wird sie uns wie die mit Spiegeln gefütterten Scheuleder dem Pferde vor die Augen gebunden, wir sehen nur unser Sehen, und den Enthusiasmus verschäumen wir am Gebiß, das uns auf der Zunge spielt, und unser Meister ist.
Ich schreibe [I]hnen, und nicht H[errn] Schlegel, weil ich lieber mit Weibern zu thun habe, bei den Weibern geht nach meiner Meinung noch alles mehr von sich selbst. Die Männer sind mir zu tieranisch sie wollen immer mehr als sie können, und geben sich dazu eine so große Mühe, daß sie viel Zeit damit zu bringen, ihr Leben zu veranstalten, welches höchstens von einem freien zügelloßen Schritt zu einem künstlichen Hinken kömmt. Ob das bei H[errn] S[ch]legel auch so ist, weiß ich nicht, aber nur in der Mitte zwischen Ihm und Ihnen liegt für mich waß ich in ihm lieben kann. Meine Flucht hierher ist ebensosehr durch Ihn als Madame Mereau begründet. Meine Verbindung, meine Annäherung zu ihm gieng von einem Punkte aus, in dem ich wahrlich stärker bin als er, indem ich wahrlich mehr fühle als er, und das ganz natürlich, weil ich die Mereau liebe, und nicht er. Meine Liebe ist so unendlich verschieden von allen Arten, das sie sich ihrer Unverständlichkeit halben, und wegen ihren fremden Sitten, die bis zur Unsittlichkeit von den Sitten seiner Art von Liebe abweichen, vor ihm hätte verbergen müssen, und nun stand sie so Nakt vor ihm und er gieng mitten drinne herum, sie schämte sich fast zu tode, und wäre sie nicht unsterblich, so hätte sie wirklich sterben müssen waß nach seiner Meinung von Hofnung für mich, das wahre und beste für mich wäre. So war ich ihm hingegeben, durch meine Krankheit, und ohne meinen Willen war ich in seinen Händen, waß man nicht sein darf, um jemanden zu vertrauen. Wenn ich alle Umstände betrachte, so bleibt die Sache nach wie vor das gröste Unglück der Mereau, das sie sich durch die größte Thorheit, die sie je begieng, zuzog. H[err] Schlegel kennt mich nicht und ebensowenig dies Weib „Sie sagte mir einst. Lieber Clemens ich liege in einem Meere von Elend und was ich berühre, sinkt unter mir mit mir.[“] So ist es mir ergangen, ich bin elender als sie, denn ich büße für nichts, und ertrage alles[.]
Metadata Concerning Header
  • Date: [zwischen dem 9. und dem 14. September 1800]
  • Sender: Clemens Brentano ·
  • Recipient: Dorothea von Schlegel ·
  • Place of Dispatch: Trages ·
  • Place of Destination: Jena · ·
Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 25. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Höhepunkt und Zerfall der romantischen Schule (1799 ‒ 1802). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Hermann Patsch. Paderborn 2009, S. 174‒176.
Language
  • German

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