Single collated printed full text without registry labelling not including a registry

Friedrich Schleiermacher to Friedrich von Schlegel

Berlin d 13t Sept. 1800.
Mit dem Plato lieber Freund hast Du mich gar sehr provisorisch abgespeist, und meine Wißbegierde mehr erregt als befriedigt denn es ist mir vor der Hand nicht möglich aus diesem Fragmente der Reihe den Exponenten zu finden. Deine Hypothesen Masse wohnt doch wahrscheinlich in Chiffren in Deinen Papieren[;] hättest Du mir diese nur mit ein Paar erläuternden Zeilen schiken können, so würdest Du mich sehr glüklich gemacht haben; aber freilich vielleicht wohnen in denselben Papieren auch andere Studien die Du nicht missen kannst, und so muß ich mir dieses Lüstchen schon vergehen lassen. Wärest Du nur erst mit Leib und Seele über die Lucinde hinaus! Hast Du noch gar keine bestimmte Aussicht, wann das sein wird?
Du weißt übrigens, daß ich von dem Gesichtspunkte der Nicht Ordnung ausgegangen bin, also kann von Vergeben für die Zukunft von meiner Seite gar nicht die Rede [sein], vielmehr finde ich Deinen Vorschlag für den ersten Band, bis ich die Ordnung einsehen lerne als NichtOrdnung sehr schön. Auch das Wählen steht mir eigendich nicht zu. Du hast seit kurzem schon viel Studien zum Plato gemacht und Dich dabei auch gewiß wenigstens im Vorbeigehn mit dem Einzelnen in manchen Dialogen beschäftigt, und es wäre ja ein unnüzer Aufwand von Kräften, wenn ich Dir dies wegnehmen wollte, da ich alle diese Studien noch zu machen habe. Den Parmenides und den Protagoras hast Du Dir namentlich schon vindicirt, und also bleibt mir natürlich von diesen dreien der Phädrus, für den ich wiederum hier den Vortheil habe den Du entbehrst Heindorfs Arbeiten handschriftl[ich] benuzen zu können. Indeß ist dies in jeder Rüksicht eine sehr ungleiche Vertheilung, Du hast Dir weit mehr aufgeladen und so schwere Sachen daß ich nicht weiß wie ich um Dir nicht zu weit nachzustehen für den Parmenides und Timaeus – den Du Dir auch schon vindicirt hast – nur einigermaßen das Gleichgewicht halten soll, als wenn Du mir für die Zukunft den Politicus und Sophista überläßt, welches doch auch artige Nußknaker sind. Ueber die Abhandlung schreibst Du mir nichts, und ich muß daraus leider den eben nicht günstigen Schluß machen daß Du nicht sonderlich daran denkst. Ich beschwöre Dich aber Dir noch einmal recht gründlich zu überlegen ob es nicht nothwendig ist hierin der ersten Idee getreu zu bleiben, sollte es auch Zeit und Raumes halber mit Aufopferung eines Dialogen für den ersten Band geschehen müßen.
Hätte ich gewußt, daß Dir daran läge, so hätte ich leicht meinen Brief an W[ilhelm] über Jena schiken können; aber Deine bekannte Passivität in diesen Dingen ließ mich es nicht vermuthen. Fichte hat sich übrigens einige Zeit nachher zu Bernhardi geäußert: „es sei eine fatale Verwirrung, man müße sich aber drein finden, er sähe wol, daß wir nicht zurük könnten, er könne aber auch nicht zurük, nur wiße er noch nicht wie ers machen werde.[“] Gestern sah ich ihn dort auf einen Augenblik, er holte Bernh[ardi] zur Spazierfahrt ab, viel war also nicht mit ihm zu reden. Er fragte mich ob ich an W[ilhelm] geschrieben und wo dieser sei, er habe einen fertigen Brief an ihn liegen. Ich sagte ihm was Du mir von ihm geschrieben und er solle der Sicherheit wegen seinen Brief an Dich schiken, welches er auch versprach. Wahrscheinlich erhältst Du ihn mit dieser selben Post; da F[ichte] etwas argwöhnisch ist in d[ie]s[e]r Sache so wollte ich ihm nicht vorschlagen ihn mir zur Einlage zu schiken. Schreibst Du an W[ilhelm] so mache ihn doch aufmerksam darauf daß F[ichte]s Entschluß seinen Plan auch auszuführen doch wol nöthig mache uns mit den associirten Mitgliedern nicht zu verspäten: denn er muß doch nun zusammenjagen was er kann und das möchte die unangenehmen Collisionen noch vervielfältigen. An die Jahrbücher denke ich übrigens auch schon. Die Clavis Fichtiana werde ich nächstens machen, und leider habe ich auch schon die beiden diken Bände der Apodiktik vor mir liegen. Jene macht mir Spaß, Richter hat sich ausdrüklich bei den Gegnern ironisches Lob bestellt und das denke ich ihm so reichlich zu ertheilen daß ihm die Herausforderung leid thun wird. Die Apodiktik erpreßt mir bis jezt nur Seufzer, inzwischen wenn ich mich hineinstürzen werde, soll es wol auch gehen, und ich denke es recht apodiktisch zu machen. Bernhardi will sich die Wallensteins fordern; ich wollte, daß die guten Götter und Wilhelm das abwenden könnten! Ueberhaupt ist mir etwas bange vor dem großen Werth den Wilhelm auf Bernhardi legt – hintennach wird er sehen was er eigentlich an ihm hat. Jezt läßt er sich bis zur Unanständigkeit ausführlich mit erbärmlichen Subjekten ein wie der Rhode ist (Besiehe das neueste Stük des Archivs) und kaum hat Merkel von seinem Schimpfblatt (Briefe an ein Frauenzimmer über die neuesten Produkte der schönen Litteratur) ein Paar Bogen herausgegeben, so will er auch schon etwas dagegen schreiben; das wird nun alles erschreklich manierirt und mit derselben Manier – denn ich habe noch keine Spur einer andern in ihm entdekt – wird er hernach den Schiller behandeln wollen. Der erste Band seiner Sprachlehre ist erschienen, ich möchte sie aber nicht gern eher lesen bis der zweite auch da ist.
Sage mir nur habe ich Dir denn nicht über Deine Canzone (es ist doch eine?) an Ritter schon meine Freude und Bewunderung bezeugt? Es ist mir zu Muthe als hätte ich Dir nicht wenig davon geschrieben, wenigstens wollte ich es im lezten Briefe, und es wäre wunderbar wenn ich nichts davon wirklich gesagt hätte. Nun könnte ich Dir nur den schönen Eindruk des Ganzen wiedergeben, über Manches Einzelne aber nichts sagen, was ich Dir damals sagen wollte, weil ich es nicht bei der Hand habe. Tiek hat noch keine Journale hergeschikt und ich hatte es hier nur auf einen Tag. Daß es bei weitem das poetischste und auch das kunstreichste in diesem poetischen Journale ist weißt Du wol selbst. Auf mich hat es noch nebenbei den Effekt gehabt, daß ich den Ritter recht lieb gewonnen habe, weil du dies an ihn richten konntest. Die Poesie habe ich freilich lange gekannt in Dir, wie Du aber auf einmal zu einem solchen Grade der Mechanik in ihr gekommen bist, das ist zum Erstaunen und unbegreiflich.
Mein Kommen bleibt gewiß, und eure Freude drauf freut mich herzlich und würde mich dazu bestimen wenn ich es nicht schon wäre: nur über die Zeit kann ich leider noch immer nichts sagen. Es gewinnt das Ansehn als würde ich über meine neue Wohnung einen Prozeß mit dem ArmenDirektorium bekommen, das könnte mich wieder länger aufhalten als ich wünsche. Es ist als sollte ich schlechterdings die Polemik üben nolens volens und in jeder Gattung. Mit dem Stuhle, lieber Freund, mußt Du mir schon eine Ausnahme für meine Freundin gestatten. Sie behauptet ihr Recht darauf und läßt Dich versichern, wenn sie mit inniger Freude über die zum Theil darauf geschriebne Lucinde darin size, und ich um sie her sei, werde er nicht profanirt. Ich hoffe Du wirst Dir das gefallen laßen.
Die Idee mit der Anzeige ist ja Bohn sehr spät gekommen; wahrscheinlich erst seitdem Vermehrens Briefe da sind. Sage mir doch etwas von d[ie]s[e]n, und ob es der Mühe werth ist sie zu lesen, und mache die Anzeige hüsch bald – auch auf die bin ich neugierig. Und nun lebe für heute wohl ich muß noch an Dorotheen schreiben[.]
In der A[llgemeinen] L[iteratur] Z[eitung] habe ich Ruhnkenii Scholia in Platonem angezeigt gesehn. Die werden wir doch wol haben müßen. Wie steht es denn mit der Promotion, davon habt Ihr ja kein Wort geschrieben.
Metadata Concerning Header
  • Date: Samstag, 13. September 1800
  • Sender: Friedrich Schleiermacher ·
  • Recipient: Friedrich von Schlegel ·
  • Place of Dispatch: Berlin · ·
  • Place of Destination: Jena · ·
Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 25. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Höhepunkt und Zerfall der romantischen Schule (1799 ‒ 1802). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Hermann Patsch. Paderborn 2009, S. 180‒182.
Language
  • German

Weitere Infos ·