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Friedrich Schleiermacher to Friedrich von Schlegel

Berlin d 20t. Oktob. 1800.
Das ist zu arg mit Euch, wie Ihr gar nichts von Euch hören laßt! rein als ob Ihr aus der Welt wäret. Am Ende bin ich Euch freilich nach der Arithmetik einen Brief schuldig – wenigstens Dorotheen, denn Dein lezter Zettel ist gar nicht zu rechnen – aber denkt nur an die Trubeln die ich gehabt habe: dergleichen könnt Ihr Euch gar nicht rühmen. Acht Tage beinahe hat mich das verdammte Ausziehn geschoren, und nun wohne ich denn endlich in der lieben Charite. Von dieser großen Begebenheit wäre noch viel zu sagen wenn nur Zeit dazu wäre, ich kann aber auch heute noch kaum so viel aufbringen daß ich über die nöthigsten Dinge mit Dir reden kann.
Zuerst über den Plato. Das ist mir einmal eine wunderliche Idee daß ich den Phädrus nur gleich übersezen und so Gott will gleich mitbringen soll. Wenn ich auch Zeit hätte so wäre das doch gar nicht in meinem Stil. Erst mußt Du mir Dein System ordentlich mittheilen, dann muß ich in Bezug auf dasselbe den Plato soviel nöthig durchlesen dann haben wir noch viel über die Uebersezungstheorie mit einander abzumachen, und dann erst könnte ich anfangen zu übersezen. Aber nun treten noch andere Dinge ein. Heindorf nemlich hat grade den Phädrus jezt völlig so zu sagen zum Druke fertig bearbeitet; er wird zwar jezt noch nicht gedrukt; aber ich werde die Handschrift benuzen können und warte deshalb auf ihre Zurükkunft von Wolf aus Halle. Anfängen könnte ich zwar auch ohne sie zu haben, aber doch nicht vollenden und mitbringen. Die Philologischen Hülfsmittel mehren sich übrigens, und von dieser Seite betrachtet sind wir mit unserer Unternehmung grade zur rechten Zeit gekommen. Vielleicht hast Du in der A[llgemeinen] L[iteratur] Z[eitung] auch bemerkt daß Ruhnkenii Scholia in Platonem nun erschienen sind, daß leider von seiner Bearbeitung derselben nur ein Blatt abgedrukt ist kannst du aus jener Recension auch schon gesehen haben; indeß auch so müßen wir es auf jeden Fall zu erhalten suchen. Schneider aus F[rank]f[ur]t der es von Wyttenbach bekommen hat Heindorf sein Exemplar zur Durchsicht geschikt und d[ie]s[e]r meint auch: recht viel wäre nicht drin, aber man müße es doch haben. Ich habe auch schon Commission drauf gegeben, thue Du es nur auch so bekommt es doch einer gewiß. Es ist nur ein dünnes Bändchen und kann nicht viel kosten. Nächstdem wird auch jezt die Fischersche Bibliothek versteigert in der kommt auch ein dikes Volumen handschriftl[icher] Arbeiten über den Plato vor, woran der alte Hamster sein ganzes Leben gesammelt hat; Heindorf hat große Lust es coute qu’il coute zu erstehen, und manches Gute wird doch gewiß auch darin sein.
Du siehst ich gedenke wenigstens des Plato. Thue Du nur Deine Schäze mir auf, so werde ich baldmöglichst dabei sein. Noch Eins aus Gelegenheit desselben. Heindorf behauptet ein Paar Dir gehörende Bände des Stollbergischen Plato bei sich zu haben; ich habe fast dagegen protestirt weil ich nichts davon weiß – sind sie denn wirklich Dein?
Zweitens über die Kritischen Jahrbücher. Wilhelm hat mir aus Gotha die sonderbare und wilde Prozedur von Schelling gemeldet. Daß es höchst unrechtlich ist, darüber ist kein Wort zu verlieren, aber für sehr schädlich halte ich es nicht, wofern nur Cotta Stich hält. Einmal habe ich von Schellings kritischem Talent nach den Uebersichten zu urtheilen keine außerordentliche Vorstellung, und dann gewinnen wir oder vielmehr die Jahrbücher dieses dadurch daß seine Arbeiten die doch von großer Wichtigkeit sind nun ordentlich beurtheilt werden können, welches er durch Selbstanzeigen schwerlich so gut gethan haben würde. In der Naturwissenschaft wird Ritter wol ein guter Ersaz sein, und in die Transcendentalphilosophie werden wir beide uns vor der Hand wol theilen müßen. Sein tr[anscendentaler] Idealismus muß wo möglich gleich im ersten Bande beurtheilt werden, das halte ich zum Heil der Jahrbücher fast für nothwendig. Ich habe mich gegen Wilhelm dazu erboten, aber nur im Nothfall. Der Nothfall ist nemlich nicht der wenn Du keine Zeit haben solltest, dieser Grund wird in Sachen der Jahrbücher gar nicht angenommen, sondern der, wenn Wilhelm aus überwiegenden Gründen wünschen sollte daß Du ihn nicht bearbeitetest. Wilhelm glaubt in Fichte’s Aufhezung habe Manches von Deinen Gesinnungen gegen Schelling gestanden, und da konnte es wohl sein daß W[ilhelm] um das Verhältniß nicht ganz zu verderben Dich nicht zum Beurtheiler wünschte. Indeß kommt ja dabei Alles darauf an wie Dein Urtheil im Ganzen ausfallen würde; das kannst Du ja sagen, denn Du mußt es wissen und findet dann W[ilhelm] kein Bedenken, so beschwöre ich Dich übernimm Du dieses Stük Arbeit, da es Dir, der jezt mitten im transcendentalen Idealismus drin sizt ungleich leichter werden muß als mir. Eben so möchte ich Dir Fichte’s sonnenklaren Bericht p zuschieben aus demselben Grunde; ich kann Dir, wenn Du es verlangst, da ich den Verleger sehr gut kenne das erste Exemplar schiken was aus der Presse kommt. Dagegen übernehme ich Fichte’s Handel und Gewerbe, den Bardili, und wenn es der Mühe werth sein sollte und Du Dich nicht dran geben willst Kants Logik. Laß Dir das Heil der Jahrbücher auch von mir dringend empfohlen sein, und uns auch in der äußern Wirksamkeit fest zusammenhalten. Dazu lieber Freund gehört aber nothwendig daß Du Dir eine Tugend annimmst von der Du eben noch keine sonderliche Probe gegeben hast nemlich etwas Uebernommenes auch zur rechten Zeit fertig zu machen sonst bleiben Wilhelm[,] Bernhardi und ich am Ende auf dem Troknen sizen. Nimm nur mit Wilhelm, dem ich noch nach Braunschweig geschrieben der aber nun gewiß schon wieder in Jena ist bestimmte Abrede was Du im Fache der spekulativen Philosophie übernehmen willst und was ich machen soll, und laßt es mich baldmöglichst wißen.
Was macht denn die Lucinde? und was hast Du denn im Meßkatalogus üb[er] den transcendentalen Idealismus angekündigt? Ist es etwa der Leitfaden zu Deinen Vorlesungen? Sage mir bald etwas darüber, ich bin sehr neugierig darauf. Nach Deiner Anzeige von meinen Lucinde Briefen habe ich mich auch vergeblich umgesehn; auch stehn die Briefe nicht einmal im Meßkatalogus. Hättest Du diese Anzeige gemacht so würde ich Dich auch um eine von den Monologen gebeten haben, aber auch um eine recht populäre. Der Spener der sie vorm Jahr theils weil es zu spät war, theils weil es an einer Anzeige fehlte so gut als gar nicht in den Buchhandel gebracht hat quält mich sehr darum und hier weiß ich keinen Menschen. Einen großen Gefallen thätest Du mir wenn Du Dich der Sache annähmest.
Zu Fichte gehe ich jezt gar nicht mehr außer wenn Wilh[elm] mir etwas an ihn aufträgt. Es sieht mir nachgrade zudringlich aus wenn ich ihn besuche, da er nie bei mir gewesen ist – ohnerachtet er oft bei Bernh[ardi] war der so sehr in meiner Nähe wohnte – und mich auch nie zu sich eingeladen hat. Auf der Straße sehe ich ihn fleißig mit Woltmann. Tiek ist hier; ich habe ihn aber auch noch nicht gesehen. Richter ist auch wieder hier.
Wenn Du Paulus siehst so grüße ihn unbekannter Weise von mir, und sage ihm viel Schönes über seinen Commentar den ich jezt studiere. Wilhelm sage doch, ich mahnte Schadow alle Woche um die Zeichnung, hätte sie aber noch nicht bekommen können; vielleicht wäre es am besten wenn er ihm selbst einmal ein Paar Zeilen schriebe. Dorothea grüße herzlich von mir und der Herz und Eleonoren, und was denn der Florentin machte? Ueber die äußerlichen Angelegenheiten schreibe ich ihr nächstens.
Und nun lebe wol lieber Freund und schreibe auch einmal ordentlich
Schleiermacher
Der arme Hülsen hat vor acht Tagen seine Frau verloren.
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  • Date: Montag, 20. Oktober 1800
  • Sender: Friedrich Schleiermacher ·
  • Recipient: Friedrich von Schlegel ·
  • Place of Dispatch: Berlin · ·
  • Place of Destination: Jena · ·
Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 25. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Höhepunkt und Zerfall der romantischen Schule (1799 ‒ 1802). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Hermann Patsch. Paderborn 2009, S. 190‒193.
Language
  • German

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