Single collated printed full text without registry labelling not including a registry

Friedrich Schleiermacher to Friedrich von Schlegel

Berlin d. 10t. Jan. 1.
Es scheint mir so ungeheuer lange her, seit wir gar nichts von einander gehört haben, daß ich mich nicht länger des Schreibens enthalten kann ob ich gleich in lauter verzwikten Verwirrungen bin, aus denen heraus sich eben nicht viel sagen läßt. Verwirrungen in der Gesundheit, Verwirrungen im Beutel, in den bürgerl[ichen] Verhältnißen und Gott weiß worin sonst. Das einzige Angenehme, was ich Dir zu sagen weiß, ist, daß ich im Platon bin und zwar mit Leib und Seele. Ich überseze am Phädrus, und lese auch waker drauf zu. Von dem ersten hoffe ich Dir noch diesen Monat die erste Ausgabe schiken zu können; von den Früchten des Anderen läßt sich so aus der Mitte heraus wenig sagen.
Nur über den Theages und die Apologie kann ich Dir meine Meinung nicht verhelen – ich habe mein möglichstes gethan und kann doch nicht umhin den ersten für unächt und die andere für ächt zu halten. Wie tief Du auch im Theages die Ironie suchen und von welchem Standpunkt Du ausgehn magst, so wirst Du immer Incohärenzen finden; überdies die schlechte Anlage in der so vieles umsonst steht, die wörtlich ausgeschriebenen Stellen pp[.] Ja manches möchte gar auf einen ziemlich späten Verfasser schließen laßen. Dagegen die Apologie mit dem ziemlich nachläßigen Styl, dem eingemischten Dialogischen schwerlich von einem Redner sein kann am wenigsten wol vom Lysias, gegen deßen Apologie (wenn man dazu nimmt wie Plato den Lysias charakterisirt) sie vielmehr eine Polemik sein möchte. Was die νομους [Gesetze] betrift, die ich noch nicht wieder gelesen habe (so wenig als das Sympos[ion] in Beziehung auf den Lysis) so scheint eine Stelle im Diog[enes] Laert[ius] ziemliche Anleitung dazu zu geben. Sie steht glaube ich bei der Aufzählung von Platons Schülern, ohngefähr so – – – Φιλιππος ο Οπουvτιος, ος λεγεται τους Νομους οvτας εv κηρῳ μεταγραψαι, ού και τηv Επιvομ[ιδα] φασιv εἰvαι. Hieraus läßt sich ohngefähr absehn wieviel Platonisches daran sein mag und beantwortet sich auch Deine Frage über die Zeit. Da der Timäus nach der Republ[ik] geschrieben ist, und gewiß auch das an d[ie]s[e]m Cyclus fehlende entworfen, so kann auch d[ie]s[e]r Entwurf noch gemacht sein, und Plato dennoch in der Rep[ublik] noch immer gefeilt haben, weil sie hernach als Theil des großen Ganzen zum Andern Mal erscheinen sollte. Es ist im Grunde wenig daran gelegen daß wir in d[ie]s[e]n kritischen Conjekturen einig werden; aber wie willst Du es mit dem Uebersezen halten? Soll das was Du für unächt hältst ausgeschloßen werden? Dagegen möchte ich protestiren weil es uns entsezliche Vorwürfe von Anmaßung abseiten der Philologen zuziehen und am Ende auch dem Werke schaden könnte. Mit den kleinen hätte es so viel nicht auf sich; aber die Apologie und die νομους [Gesetze]?! Was mich betrift so wäre ich dafür auch die νοθευομενα [Unechten] besonders da sie so wenig Raum einnehmen zu übersezen; sie sind sehr lehrreich als Gegensaz.
Ueber den Phädrus bin ich auch noch zweifelhaft ob ich ihn für den frühesten halten soll. Platon würde sich als ein junger Mann den Vorwurf des νεανισκευεσθαι [Jung/Unreif-Sein] gegen den Lysias nicht erlaubt haben; auch scheint mir das, was am Ende vom Schreiben überhaupt gesagt wird, keinen Anfänger zu verrathen. Auf der andern Seite ist wieder so sehr vieles was dafür spricht; ganz andere und triftigere Sachen als was Diog[enes] aus einigen Alten von dem μειρακιωδες [jugendlich, knabenhaft] des Inhaltes sagt, was fast eben so dumm ist als Tennemanns Gegengrund daß er erst nach der egypt[ischen] Reise geschrieben sein könne wegen des Aegypt[ischen] Mythos. Ich wollte, Du sagtest mir bald Deine Meinung darüber was man zu jedem Dialog dazu machen soll. Etwas über das Ganze muß man doch sagen noch außer den nöthigen Anmerkungen übers Einzelne, ich wäre aber dafür es nicht vorne als Argument oder Einleitung, sondern hinten zu thun, so macht man den Leuten recht deutlich daß sie nicht zu lesen verstehen und zwingt sie gleich zum zweiten Lesen. Soviel für heute vom Platon.
In der A[llgemeinen] L[iteratur] Z[eitung] habe ich zu meiner großen Erbauung die Rec[ension] von Falk und von den Luc[inde] Briefen gelesen. Recht bei den Haaren haben sie mich zweimal hineingezogen, und die Leute werden nicht wißen wo ein ganz unbekannter Name da auf einmal hergeflogen kommt. Pöbelhafteres kann es doch nichts geben als d[ie]se L[iteratur] Z[eitung] jezt ist. Ich wollte Du nähmest das Anerbieten der Erlanger an dort zu recensiren, man muß doch irgendwo eine Hand in der Kritik haben. Mir sollte es kommen; ich ließe es mir nicht zweimal sagen[.]
Wo bleiben denn die Velin-Florentins? ich sehne mich recht darnach. Viele Grüße an Dorotheen von mir und Jetten. Leztere ist in Verlegenheit mit dem Collekteur der das Loos bezahlt haben will, welches Dorothea eben so gut verloren hat, als ich das meinige und sie hat leider eben so wenig Geld um auszulegen als ich um den Sofa zu bezahlen, welches mir, Ihr glaubt nicht wie fatal ist. Ich soll also fragen ob Jette sich das Geld von Veit unterdeß soll geben laßen, und ob sie bei dem entschiednen Unglük was Dorothea in der Lotterie hat dennoch wieder ein Loos nehmen soll? Bis jezt hat sie es noch nicht gethan.
Grüße Wilhelm, den wir hier bald erwarten. Wann werde ich nur Dich wiedersehn lieber Freun[d]? Du glaubst nicht, wie schlecht mir d[ie]se lange Trennung bekommt. Lebt indeß zusammen wohler als ich.
Schl.
Metadata Concerning Header
  • Date: Samstag, 10. Januar 1801
  • Sender: Friedrich Schleiermacher ·
  • Recipient: Friedrich von Schlegel ·
  • Place of Dispatch: Berlin · ·
  • Place of Destination: Jena · ·
Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 25. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Höhepunkt und Zerfall der romantischen Schule (1799 ‒ 1802). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Hermann Patsch. Paderborn 2009, S. 215‒217.
Language
  • German

Weitere Infos ·