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Friedrich von Schlegel to Friedrich Schleiermacher

Jena den 23ten Jan 1801.
Was soll mir das mit den bürgerlichen Verdrießlichkeiten? Die gehören unter allen, dünkt mich, am wenigsten in Dein Leben. Ich bin ganz ängstlich darüber und fast böse daß Du nichts näheres geschrieben hast. –
Traurig sehr traurig ist es daß die Hoffnung Dich hier unter uns zu sehen, sich so weit hinausschiebt. Glaube mir, Du kannst die Lücke nicht tiefer fühlen als ich. Dazu kommt dann noch, daß ich Dich so gern mit Ritter bekannt sehen möchte, daß ich immer klarer und bestimmter sehe was für die Philosophie gemeinschaftlich zu thun, unser Beruf wäre, – endlich daß so gar der Plato sich kaum noch schriftlich abhandeln läßt.
Mit der Aufnahme und Annahme meiner Hypothesen kann ich immer noch sehr zufrieden seyn. Sehr viel ist es nämlich viel gewonnen, daß Du Dich in die Unächtheit der Νομοι [Nomoi] fügen kannst. Die Apologie von neuem zu prüfen beschloß ich gleich auf Deine Einwendungen; dasselbe gilt natürlich auch vom Theages.
Mit dem Charmides das ist ein Misverständniß. Nicht in diesem finde ich das Portal, die Propyläen zum Tempel, sondern im Laches. Der Sophist ist in hohem Grade vortrefflich – wie das Symposium gewiß auch – doch ist sein Zusammenhang mit Theät[et] und Polit[ikus] Faktum und da wirst Du dem Charakter, den ich der zweyten Periode bestimmt habe, doch nicht in Abrede seyn. – Und dann vergleiche die Behandlung desselben Gegenstandes im Cratylus und Timaeus! Wie viel später und anders.
Mehr ans Leben gehen mir Deine Zweifel gegen die Erstheit des Phaedrus; nicht als ob sie hier, wo meine Meynung grade Gewißheit ist, diese so angriffen wie dort. Aber wenn Du hier dauernd zweifelst, so fällt mein ganzes Gebäude für Dich zusammen, und was sollen wir dann machen? – Wenn dem so ist, so verschweige es nur nicht, so müssen wir auf eine große Maaßregel denken. – Das νεανισхευεσθαι übrigens geht nach allgemeinem Sprachgebrauch nur auf Männer. Die Etymologie ist gänzlich verwischt, es wird von alten Greisen sehr oft gebraucht desfalls berufe ich mich auf Heindorf. Zum Beweise dient für das Verhältniß worauf es hier ankommt, daß Lysias von Olymp[iade] 80,2–100 lebte, Plato von Olymp[iade] 87–108, also 28 Jahr jünger war. Die Ansicht vom Schreiben ginge mir freylich ans Leben; denn das ist grade einer von den Lieblingsgedanken, die in allen Schriften, die ich in die erste Periode setze, wiederkommen. Da Plato φσ [Philosophie] zu schreiben anfing war er wo ich nicht irre, schon über 30, hatte Tragödien schreiben wollen, viel gelesen pp[.]
Ueberlege nun ernstlich ob es nach Deinem Gewissen für den 1ten Band bey Phaedrus, Parmenides Protagoras bleiben darf. In der Einleitung will ich mir dann schon zu helfen wissen nämlich so daß wir uns für die Folge nichts versperren, und dann επιхριtisire desto strenger fort.
Noch eins. Soll die Stelle vom Philippus Opuntius was gelten, so können die Νομοι [Nomoi] grade nicht von ihm seyn, weil die Επιvομις [Epinomis] von diesen so merklich verschieden ist.
Du willst von meinen Vorlesungen wissen? – Es geht so ziemlich. Ich lerne viel dabey, nicht bloß daß ich über die Elemente über Plato, Spinosa und Fichte nun fast ins Reine bin, sondern auch wie ich zu reden habe. Ich rede fast ganz frey, anders kann ich nicht. Oft wird mirs sehr schwer, eben weil ich noch so sehr mit der Sache beschäftigt bin und nichts finde worauf ich bauen kann. Das wahre Lesen wird für mich erst möglich seyn wenn ich über das Comp[endium] lesen kann. – Ich habe ungefähr 60 Zuhörer wovon freylich 10 und mehre nicht bezahlen, also stehts auch in dieser Rücksicht nur leidlich. Eben wegen Mangel des Comp[endiums] wird es ihnen schwer zu folgen, oft nehmen sie auch Anstoß an meiner Paradoxie besonders im Anfange war das der Fall: indessen bin ich doch so weit, daß wenn ich mich einmal über eins von den Themas die den jungen Leuten immer sehr am Herzen liegen, dem Feuer überlasse, ich den andern Tag das Auditorium wieder ganz voll habe, wenn ichs auch schon durch Spitzfindigkeit und Polemik fast ausgeleert hatte. Es sind eben Versuche; das beste dabey ist die große Klarheit in den Elementen zu der man gelangt, und dann ist es immer lehrreich die Dummheit in größeren Massen vor Augen zu haben, die sich mit jugendl[icher] Frische immer besser ausnimmt, um die künftige Nullität in bestimmter Form vorauszusehen; und dann doch hie und da an kleinen Funken sich freuen zu lernen.
Ich habe ein drolliges Lied auf Schillers Tragödik gemacht – unter sehr vielen andern Saturnalien – und an Tieck geschickt; wenn Du willst so fodre es von diesem. Nächstens erhältst Du eine große Elegie – Herkules Musagetes. –
Wir beschwören Dich alles was Du kannst zu thun daß der Brief und Florentin durch die Banquiere Levi bald an Henrietten gelangt; sie hat schon lange auf Antwort gewartet.
Du schickst mir doch ja ein Ex[emplar] von Deinen Predigten? – Wenn Du sie auch eigentl[ich] nicht für mich mit bestimmt, so kann ich doch gewiß viel daraus lernen. –
Metadata Concerning Header
  • Date: Freitag, 23. Januar 1801
  • Sender: Friedrich von Schlegel ·
  • Recipient: Friedrich Schleiermacher ·
  • Place of Dispatch: Jena · ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 25. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Höhepunkt und Zerfall der romantischen Schule (1799 ‒ 1802). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Hermann Patsch. Paderborn 2009, S. 222‒223.
Language
  • German

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