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Friedrich Schleiermacher to Friedrich von Schlegel

Berlin d[en] 24t. Jan. 1801.
Es geht mir sehr schlecht lieber Freund, und das bloß weil ich seit einer unerhört langen Zeit gar nichts von Dir weiß. Es ist mir nicht gegeben grade ein Unglük zu ahnden was unter Euch vorgegangen sein sollte; aber nach grade wird mir doch herzlich bange. Doch ist das nur das wenigste; ich leide aber wirklich Noth am Geiste da unsere Gemeinschaft so ganz unterbrochen ist. Zwar habe ich nur kürzlich alle Deine alten Briefe gelesen, die nach Landsberg, die aus Dresden, die nach Potsdam und alle alte Zettelchen von Dorothea und mich aller gelösten Dissonanzen herzlich gefreut und Alles deßen was mir von Deinem Innern dabei wieder recht lebendig geworden ist und so manches Einzelnen in der frühren Zeit was ich aus der späteren beßer verstehe, und noch Gestern habe ich eine Stunde mit Tiek bloß von Dir gesprochen. Du weißt wie viel das ohngefähr sein kann aber es war mir doch ein rechter Genuß denn ob ich gleich nicht glaube daß er vieles von Dir eigentlich versteht so kann er doch manches recht gut wiedergeben – Aber sage selbst ist es nicht eine rechte Hungersnoth, wenn man sich so nähren muß?
Wilhelm hat auch wie mir Tiek sagt gleich nach seiner Ankunft in Jena an mich schreiben wollen der Wohnung wegen, er schreibt nicht, er kommt nicht und wir wißen nicht einmal ist er wirklich in Jena oder nicht, kom[m]t er oder kommt er nicht. Die Florentin Exempl[are] haben auch kommen wollen und kommen nicht ich warte mit Schmerz drauf weil ich ihn gern recht ordentlich lesen und doch dem Veit sein Exempl[ar] nicht ganz zerlesen will.
Im Phädrus mache ich zwar ganz gute Progresse, aber d[ie]s[e]n Monat bekommst Du ihn doch nicht; ich will ihn noch einmal durch arbeiten und auch die Anmerkungen wenigstens anlegen damit Du gleich über das Ganze urtheilen kannst. Willst Du aber aus irgend einer Ursach so bald als möglich etwas so schreibe mirs und ich will Dir wenigstens den ersten rohen Entwurf sogleich schiken.
Ich lese jezt alle Woche zwei Abende Plato mit Heindorf wobei die pünktlichste Kritik sehr heilig getrieben wird; es bekomt uns Beiden aber sehr gut. Du glaubst nicht wie der Heindorf Dich liebt. Daß der Theages (den ich übrigens mit Heindorf nicht gelesen habe) unächt ist getraue ich mir jezt unumstößlich zu beweisen, und eben so bin ich für alle Ewigkeit von der Ächtheit der Apologie überzeugt. Von dieser Idee wirst Du hoffe ich wieder zurük kommen.
Du siehst wie ernst es mir mit dem Plato ist; ich hoffe Dir auch. Nebenbei ist mir denn der philosophische Dialog wieder recht ins Gemüth gekommen und ich habe fest beschloßen diesen Sommer einige zu schreiben. Sie sind moral[ischen] Inhalts und können auf gewiße Weise Avantcoureurs sein. Weißt Du etwas was ich in d[ie]s[e]r Hinsicht lesen müßte so sage mirs. Der Hemsterhuis bei dem ich eben bin erscheint mir jezt als Dialogist doch nur mittelmäßig und ich hoffe es beßer zu machen. Späterhin mache ich vielleicht auch spekulative.
Schreibe, schreibe, schreibe ich bitte Dich um aller Götter willen und Dorotheen auch und laßt mich Gutes hören. Viel liebes an Wilh[elm] wenn Ihr ihn bei Euch habt und er soll ja kommen.
Dein
Freund
Schl.
Metadata Concerning Header
  • Date: Samstag, 24. Januar 1801
  • Sender: Friedrich Schleiermacher ·
  • Recipient: Friedrich von Schlegel ·
  • Place of Dispatch: Berlin · ·
  • Place of Destination: Jena · ·
Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 25. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Höhepunkt und Zerfall der romantischen Schule (1799 ‒ 1802). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Hermann Patsch. Paderborn 2009, S. 224‒225.
Language
  • German

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